Hamburg. Antonio Portela, Unterhaltungspianist aus Portugal, kam vor 54 Jahren in Hamburg an – mit großen Träumen, aber ohne Plan.

Es war gegen 8 Uhr morgens. Aus dem Zugfenster sah er zum ersten Mal die Halle des Hamburger Hauptbahnhofs. Er sah die Menschen, die auf den Bahnsteigen warteten. Und die Züge, die irgendwie anders waren als die in seiner Heimat Portugal. Es war der 24. September 1962, und Antonio Portela erinnert sich daran bis ins kleinste Detail. „Noch heute bekomme ich Gänsehaut“, sagt der 75-Jährige. Es war der Tag, an dem sich für ihn alles veränderte. An dem sein neues Leben begann. Ein Leben mehr als 3500 Kilometer von Eltern und Geschwistern auf der Azoren-Insel São Miguel entfernt.

„Ich habe damals kein einziges Wort Deutsch gesprochen“, sagt Antonio Portela mehr als 54 Jahre später in nahezu akzentfreiem Deutsch. „Mein Vater war dagegen, dass ich nach Deutschland ging.“ Doch davon ließ sich der Sohn eines Textilienhändlers nicht aufhalten. Er hatte Pläne, wollte eine technische Ausbildung beginnen. „Deutschland war damals eines der führenden Länder in der Rundfunktechnik. Ich wollte lernen, wie Radio und Fernsehen funktionieren.“ Der damals 21-Jährige hatte weder eine Lehrstelle in Aussicht noch irgendwelche Kenntnisse der Sprache oder von Land und Leuten. Und trotzdem machte er sich auf den Weg.

Der Weg führt zunächst nach Paris

Vom portugiesischen Coimbra aus führte ihn sein Weg zunächst nach Paris, von dort aus fuhr er mit dem Nachtzug weiter nach Hamburg. „Eigentlich wollte ich nach Bremen, aber dorthin habe ich es nie geschafft“, erzählt Portela und lacht. Angekommen am Hamburger Hauptbahnhof, lenkten ihn seine Schritte zunächst durch St. Georg. Ein Ziel hatte er nicht, auch keine Unterkunft. „Ich ging die Lange Reihe entlang und erkundigte mich bei einer Tankstelle mit Händen und Füßen nach dem Weg zur Universität“, erzählt er. Sein einziger Plan: mithilfe des Allgemeinen Studentenausschusses nach einer Übernachtungsmöglichkeit suchen. Und tatsächlich: Der junge Portugiese wurde noch am selben Tag fündig. „Schon die erste Nacht habe ich in meinem eigenen kleinen Zimmer geschlafen“ – bei einer älteren Dame an der Bleichenbrücke. Dies sollte für die nächsten Jahre sein Zuhause bleiben.

„Ich war so abenteuerlustig“, sagt Portela rückblickend. Er sitzt im Wohnzimmer seines Einfamilienhauses in Halstenbek. Neben ihm knistert das Feuer im Kaminofen. Seine beiden Hunde tollen herum, beide Mischlinge aus Labrador und Münsterländer. Im Vorgarten weht die Flagge von Portugal am Flaggenmast. „Heute hätte ich nicht den Mut, diesen Weg noch einmal zu gehen.“ Zwar führte ihn die Reise im Nachtzug zunächst ins Ungewisse. Doch Hamburg wurde für Portela zu seiner neuen Heimat. Hier an der Elbe gründete er eine Familie, zog einen Sohn und eine Tochter groß, inzwischen ist er Großvater von drei Enkeltöchtern. Auf seinem Weg hatte er immer einen Begleiter: die Musik.

Antonio Portela ist leidenschaftlicher Klavierspieler. Sobald er die ersten Töne auf seinem Keyboard anstimmt, lässt ihn die Musik strahlen. Ob Ray Charles’ Klassiker „Georgia“, ein langsamer Walzer oder die südamerikanischen Rhythmen von „The Girl from Ipanema“ – flink und sicher gleiten seine Finger über die Tasten. Dabei ist es ihm fast schon unangenehm, dass nicht alle Lautsprecherboxen perfekt aufgebaut sind. Denn die Profi-Ausrüstung lagert im Nebenraum zur Garage. Immer griffbereit für den nächsten Auftritt. Denn Portela tritt seit mehr als 50 Jahren als Pianist und Entertainer auf, spielt auch in Hotels und Seniorenresidenzen in Hamburg und Umgebung. Sein Repertoire umfasst rund 1000 Titel.

Mit dem Klavier im Alter von vier Jahren begonnen

Schon im Alter von vier Jahren lernte Portela Klavier zu spielen, mit acht kam das Akkordeon hinzu und später auch der Bass. „Ich bin Autodidakt“, sagt er. „Meine Klavierlehrerin sagte zu meinem Vater, ich würde es nicht schaffen. Dabei hatte ich einfach nur keine Lust, nach Noten zu spielen. Ich habe mir lieber alles nach Gehör beigebracht.“ Und das ziemlich erfolgreich. Seine erste Jugendband, Os Babies (Die Babys), sei in Portugal als eine der ersten Rock-’n’- Roll-Gruppen des Landes bezeichnet worden – „obwohl wir eigentlich eher Jazz und Pop gemacht haben“. In den 1970ern begleitete Portela mit seiner damaligen Band Windrose Schlagersänger wie Andrea Horn oder Wyn Hoop auf Tournee. Später trat er mit seiner Band Insiders in Hotels wie dem Vier Jahreszeiten, dem Atlantic, dem Elysée oder dem Anglo German Club auf.

Da lag es natürlich nahe, dass schon Portelas erster Job in Hamburg mit Musik zu tun hatte. „Ich habe als Musiker in einem Striptease-Club auf der Großen Freiheit gegenüber dem berühmten Starclub gearbeitet“, erinnert er sich. Davon durfte seine katholische Familie in Portugal allerdings nichts erfahren. Aber die Nachtclubs hätten zu jener Zeit eine gute Möglichkeit geboten, Geld zu verdienen, sagt Portela. „Das war, als die Beatles, Ray Charles und Fats Domino dort auftraten.“ Während er die Nächte in Tanzlokalen verbrachte, paukte er tagsüber Deutsch. Und Fleiß und Ehrgeiz zahlten sich aus: Eines Tages bekam er tatsächlich den lang ersehnten Ausbildungsplatz zum Rundfunk- und Fernsehtechniker.

Fortan war das sein Hauptberuf, aber immer war nebenher Platz für die Musik. Als er vor elf Jahren in den Ruhestand ging, galt das nur für den Techniker. Als Pianist aufzuhören kam nicht infrage. „Die Musik hält mich frisch im Kopf“, sagt der Portugiese. Auch die Finger blieben durch das Klavierspielen geschmeidig und rosteten nicht so schnell ein. „Sie bewegen sich viel schneller.“ Drei bis vier Auftritte im Monat nimmt er heute noch an. Eines seiner nächsten Engagements ist für Anfang März im Hotel Hafen Hamburg geplant. Regelmäßig sitzt er auch im Privathotel Lindtner hinter dem Flügel.

Musik, Tennis und Tanzen – auch mit 75

„In meinem Leben sind so viele Wünsche in Erfüllung gegangen“, sagt Portela dankbar. „Ich fühle mich verwirklicht.“ Das war auch so, als er mit 57 Jahren noch eine Ausbildung zum Tonassistenten an der School of Audio Engineering in Hamburg beendete. „Dadurch bin ich für meine Band immer ein kompetenter Fachmann, der den Ton bestens aussteuern und die Geräte bei Problemen instand setzen kann.“

Und auch ein Traum aus seiner Kindheit erfüllte sich für Portela vor einigen Jahren: Auf der königlichen Yacht „Britannia“, die heute als Museumsschiff im schottischen Edinburgh liegt, durfte er einen Champagnerabend musikalisch untermalen. „Ich hatte das Schiff mit der englischen Queen an Bord bereits als Kind auf den Azoren gesehen“, erzählt Portela. „Seit dem Moment hatte ich den Wunsch, einmal an Bord der ,Britannia‘ zu sein.“

Auf den gebürtigen Insulaner übten Schiffe schon immer eine Faszination aus. „Meine erste Kreuzfahrt ging mit der MS ,Berlin‘ von Acapulco nach Genua. Zweieinhalb Monate habe ich auf dem Schiff verbracht.“ Als Pianist, versteht sich. Damals waren die beiden Kinder gerade aus dem Haus. Elf Jahre lang, bis 2015, unterhielt Portela während der Sommermonate die Passagiere von Kreuzfahrtschiffen mit seiner Musik. In See stach er unter anderem mit der MS „Fram“ und der MS „Deutschland“. „Für eine Episode des ZDF-,Traumschiffs‘ ­habe ich einmal André Rieu am Klavier begleitet.“

Portela ist wahrlich viel herumgekommen. Noch viele Geschichten könnte er erzählen. Er hat sein Leben nicht nur ge-, sondern auch erlebt. Und so soll es selbst nach 75 Jahren noch eine Weile bleiben. Auch wenn er nicht mehr durch die Weltgeschichte schippert, kommt Herumsitzen nicht infrage. Wenn Portela nicht gerade für einen Musikauftritt unterwegs ist, verbringt er viel Zeit mit Tennisspielen oder Tanzen. Und dem Gemüse, das er gemeinsam mit seiner Frau im Garten seines Hauses zieht. Regelmäßig steht auch ein Familienbesuch in Portugal an. Dort freuen sich Schwester, Schwägerin, Nichte und Neffe auf ihren Antonio.

Ein Andenken darf übrigens auch nach Jahrzehnten in Deutschland morgens am Frühstückstisch nicht fehlen: schwarzer Tee von den Azoren. Denn seine Heimat trägt Antonio Portela im Herzen. Ein Gefühl, das gerade den Hamburgern sehr bekannt vorkommt.