Hamburg. Der Vorstoß von Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) zum Dialog mit Umweltverbänden markiert eine Wende im Regierungshandeln.

Kurz nachdem bekannt geworden war, wie das Bundesverwaltungsgericht (BVG) über die Elbvertiefung denkt, äußerte sich der Bürgermeister ungewöhnlich angefasst dazu: „Wir haben anderes erhofft“, sagte Olaf Scholz. „Und ich will nicht verbergen, dass ich wie viele, denen der Hamburger Hafen am Herzen liegt, enttäuscht bin.“

So klang der Senatschef in seiner Regierungserklärung vor der Bürgerschaft am 8. Oktober 2014, nachdem die Bundesrichter in Leipzig die Elbvertiefung zwar nicht grundsätzlich beanstandet, aber kein Urteil gesprochen, sondern offene Fragen dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hatten. In kleinem Kreis wurde der Bürgermeister damals noch deutlicher. Hamburg sei, wie so viele Städte, entlang von Flüssen entstanden – Alster, Bille, Elbe. „Die Idee“, sagte Scholz seinerzeit bei einer Barkassenfahrt auf der Bille, „diesen Lebens- und Wirtschaftsraum überhaupt nicht mehr zu verändern, ist absurd.“

"Ja, aber"

An diesem Donnerstag nun sprach das BVG sein Urteil, und auf den ersten Blick war es erneut ein „Ja, aber“: Wegen möglicher Auswirkungen auf den nur an der Elbe vorkommenden Schierlings-Wasserfenchel und wegen der mangelhaften Ausgleichsmaßnahmen sei das Vorhaben zwar „rechtswidrig“ und „nicht vollziehbar“, teilte das Gericht mit, um dann klarzustellen: „Diese Mängel können aber geheilt werden und führen daher nicht zur Aufhebung der Planfeststellungsbeschlüsse.“ Anders ausgedrückt: Die Elbvertiefung ist zulässig, Hamburg muss aber erneut nachsitzen.

"Elbvertiefung wird kommen"

Wer nun erwartet hatte, dass der Bürgermeister sich ähnlich enttäuscht zeigen würde wie 2014, irrte jedoch: Scholz hatte sich am Donnerstagvormittag auf der Autofahrt zu einem Treffen der Ministerpräsidenten in Berlin per Mail auf dem Laufenden halten lassen. Dabei wurden die Nachrichten, die ihm Wirtschaftsstaatsrat Rolf Bösinger aus Leipzig schickte, immer positiver. In der Hauptstadt angekommen, telefonierte Scholz mit Wirtschaftssenator Frank Horch, der die Stellung in Hamburg hielt, und danach stand die Interpretation: „Die Elbvertiefung wird kommen“, sagte Scholz vor Journalisten in Berlin und sprach von einem „Meilenstein für die Wirtschaftsnation Deutschland“. Alle schwierigen Fragen seien geklärt, die letzten Aufgaben werde man auch lösen.

Nun gehört das Verbreiten von Optimismus, um keine Unsicherheit aufkommen zu lassen, zum politischen Handwerk. In diesem Fall dürfte Scholz vor allem die großen Reedereien im Sinn gehabt haben, denen keine Zweifel an der Schiffbarkeit der Elbe kommen sollten. Doch in seinem Umfeld wird beteuert, dass der Bürgermeister tatsächlich zufrieden sei mit dem Urteil. Dass es Auflagen geben würde, habe sich ja angedeutet. Aber entscheidend sei doch der zweite Teil der Gerichtsmitteilung, der aufzähle, was an der Elbvertiefung unbedenklich sei: nämlich alles – bis auf die zwei genannten Punkte. Daher herrscht im Rathaus die Sichtweise vor: „Wir wissen jetzt, dass wir es machen dürfen.“

FDP: Herber Rückschlag

Das sehen nicht alle Experten so. Wie viel Interpretationsspielraum die Worte der Richter bieten, zeigten die politischen Reaktionen, die ein Spek­trum von „herber Rückschlag“ (FDP) bis „gute Nachricht“ (SPD) abdeckten. Sogar innerhalb der CDU war die Kakophonie groß: „Ein ,Ja, aber ...’ ist eine positive Entscheidung für beide Seiten“, verkündete CDU-Bundestagsabgeordneter Rüdiger Kruse, der als Beauftragter für maritime Wirtschaft der Union Experte auf dem Gebiet ist. Nur sechs Minuten später meldete sich André Trepoll zu Wort, als Chef der CDU-Bürgerschaftsfraktion auch mit dem Thema vertraut: „Dieses Urteil ist eine bittere Enttäuschung für die maritime Wirtschaft Hamburgs und unsere Stadt insgesamt.“ Ja, was denn nun?

Nur Stunden nach dem Urteil deutete sich ferner an, dass die Elbvertiefung ein neuer Fall für das A-Team werden könnte. Sowohl SPD-Fraktionschef An­dreas Dressel als auch sein Pendant bei den Grünen, Anjes Tjarks, riefen zum Dialog mit den Umweltverbänden auf, die das Projekt durch ihre Klagen immer wieder verzögert hatten. Reden sei jetzt das „Gebot der Stunde“, sagte Tjarks, und Dressel wurde noch etwas deutlicher: „Vielleicht gelingt es trotz unterschiedlicher Grundpositionen, ein erneutes, zeitaufwendiges Gerichtsverfahren zu vermeiden.“

Zwar sind Politiker, die „das Gespräch suchen“, in etwa so ungewöhnlich wie Fußballer, die ein Tor schießen wollen, aber diese Wortmeldungen ließen dennoch aufhorchen. Denn Dressel und Tjarks, wegen der Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen und in Anlehnung an eine TV-Serie „A-Team“ genannt, haben bislang so ziemlich jeden Konflikt wegmoderiert, der Rot-Grün im Weg stand: von der Busbeschleunigung über die Volksinitiative „Guter Ganztag“ bis hin zum Krach um die Flüchtlingsunterkünfte – mit ihrer pragmatischen und kommunikativen Art fanden die beiden Fraktionschefs immer eine Lösung.

Die Lesart der Genossen

Ihr Vorstoß markiert auch eine Wende im Regierungshandeln. Sah vor allem die SPD bislang keinen Grund, mit den Umweltverbänden, die die Elbvertiefung in Gänze ablehnen, in Verhandlungen zu treten, hat sich die Lage nun geändert: Nach Lesart der Genossen ist die Entscheidung für die Maßnahme gefallen, daher könnte man jetzt über das Wie reden – etwa über die vom Gericht geforderten Ausgleichsmaßnahmen. Dass die Umweltschützer dieses Angebot am Freitag dankend ablehnten, ließ Dressel unbeeindruckt: „Unser Dialogangebot gilt“, sagte er. Jedes Gespräch sei „besser als kein Gespräch“. Allerdings wolle man erst die schriftliche Ur-teilsbegründung abwarten. Zunächst redet daher der Bürgermeister: Scholz will am Mittwoch in der Bürgerschaft eine Regierungserklärung abgeben – auch eine Form von Dialogangebot.