Neustadt . Der ZDF-Moderator darf nur sechs Zeilen seiner Kritik wiederholen, urteilten Hamburger Richter. Sein Anwalt gibt sich nicht zufrieden.
Simone Käfer, Vorsitzende Richterin am Landgericht, sorgte bei der Urteilsverkündung unfreiwillig für einen komischen Moment. Mit tonloser Stimme, ganz im Stil einer amtlichen Bekanntmachung, verlas sie am Freitagmorgen jene an Derbheit kaum zu übertreffenden Passagen der sogenannten „Schmähkritik“ des ZDF-Moderators Jan Böhmermann, die das Gericht nun untersagt hat und die der Satiriker nicht mehr öffentlich wiederholen darf. Die darin enthaltenen Schmähungen bedienen vor allem sexistische und rassistische Vorurteile gegen Türken im Allgemeinen und gegen den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Speziellen. Es geht um Geschlechtsverkehr mit Tieren, verkümmerte Geschlechtsteile, Kinderpornografie, Sexorgien.
Von dem ursprünglichen, als satirisch zugespitzte Auseinandersetzung mit dem türkischen Staatschef gedachten „Gedicht“ des Komikers ist nun nicht mehr viel übrig: Gerade mal sechs Zeilen der „Schmähkritik“, die vergleichsweise harmlosen, erklärte das Gericht für zulässig. Die übrigen 18 kassierte es. Weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, bleibt die Unterlassungsverpflichtung aus der bereits im Mai 2016 erlassenen einstweiligen Verfügung vorerst bestehen: Sollte Böhmermann gegen das Urteil verstoßen, droht ihm ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro.
Erdogan wollte Totalverbot
Ein Triumph ist das Urteil für beide Parteien jedoch nicht, denn ihre Maximalforderungen konnten weder der Kläger Erdogan, noch der beklagte Böhmermann durchsetzen. Böhmermanns Anwalt Christian Schertz hatte während der Verhandlung im November beantragt, das Schmähgedicht im Ganzen zu erlauben. Erdogans Anwalt Michael-Hubertus von Sprenger wiederum wollte es im Ganzen verbieten.
Böhmermann hatte das Schmähgedicht am 31. März 2016 in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ vorgetragen. Zuvor hatte er noch betont, dass es sich dabei eben nicht um „erlaubte Satire“ handele. Vor der türkischen Flagge und einem Porträt Erdogans brachte er dann den Präsidenten mit Kinderpornografie und Sex mit Tieren in Verbindung. Es folgten: eine Staatsaffäre und auf Antrag Erdogans Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mainz gegen Böhmermann. Weil die Behörde „keinen subjektiven Beleidigungsvorsatz“ bei dem Moderator feststellte, stellt sie die Ermittlungen aber wieder ein.
Kunstfreiheit ja, sexuelle Beleidigungen nein
Im Zentrum der Auseinandersetzung vor dem Hamburger Landgericht stand die Frage, was Satire darf und was nicht. Hier Böhmermann, der für sich und sein Gedicht die Kunst- und Meinungsfreiheit reklamiert; dort Erdogan, der sich in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und seiner Menschenwürde verletzt fühlt. Zwischen beiden Polen hatte die Kammer eine Abwägung zu treffen – die im Ergebnis eindeutig zulasten Böhmermanns ausfiel.
Zwar dürfe sich der Moderator bei dem Gedicht auf die Kunstfreiheit berufen. Auch genieße Satire einen großen Freiraum. Gerade jemand wie Erdogan, ein Staatsoberhaupt, müsse sich „besonders heftige Kritik“ gefallen lassen, da „die Meinungsfreiheit aus dem besonderen Bedürfnis der Machtkritik“ erwachsen sei. Dennoch müsse er die im Gedicht hervortretenden Beschimpfungen und Beleidigungen nicht hinnehmen, insbesondere nicht die mit sexueller Komponente, und selbst dann nicht, wenn die Schmähungen erkennbar ins Absurde abdriften.
Böhmermanns Anwalt kündigt Berufung an
So werde der Kläger in dem Gedicht als sexbesessen dargestellt, als jemand, der „Kinderpornos schaue“ und gleichzustellen sei mit einem österreichischen Sexualstraftäter; als einer, der noch unterhalb eines „Schweinefurzes“ stehe, wobei gerade für einen Moslem die Verbindung mit einem Schwein als besonders ehrverletzend gelte. Diese Verunglimpfungen berührten das allgemeine Persönlichkeitsrecht Erdogans „in seinem Kernbereich“ und seien deshalb zu untersagen, so Käfer. Die Schmähkritik bleibe aber auch ohne die inkriminierten Passagen verständlich.
Genau das stellt Böhmermanns Anwalt Christian Schertz in Abrede. Das Gedicht – eine Kritik am Umgang Erdogans mit der Meinungsfreiheit – sei als „Gesamtperformance“ zu betrachten, es sei „absurd, wenn ein deutsches Gericht aus einer derartigen Kunstform einzelne Sätze herausreißt“. Schertz kündigte nach der Urteilsverkündung an, Berufung einzulegen. Das Landgericht habe „erneut nicht die Kunstfreiheit, insbesondere die Einbettung des Gedichts in den Gesamtkontext, hinreichend berücksichtigt“. Damit habe sich die Kammer gegen die einhellige Auffassung der Rechtswissenschaft und die jüngsten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Schmähkritik gestellt. „Ich bin gewiss, dass die Entscheidung kassiert wird – wenn nicht in der nächsten, dann in der übernächsten Instanz.“
Türkische Medien berichten neutral
Wie berichtet strebt Schertz eine Klärung in der Sache durch das Bundesverfassungsgericht an. In der nächsten Instanz wäre aber erst einmal das Hanseatische Oberlandesgericht am Zug. Dort müsse dann geklärt werden, ob eine Revision zum Bundesverfassungsgericht überhaupt möglich sei, sagte Gerichtssprecher Kai Wantzen.
Türkische Online-Zeitungen wie die Hürriyet berichteten am Freitag überwiegend sachlich-neutral über das Urteil. Michael-Hubertus von Sprenger, Erdogans Anwalt, feierte es wie einen Sieg. „Ich bin voll zufrieden, ich habe auch nicht mehr erwartet“, sagte von Sprenger dem Abendblatt. Das Urteil sei ein „Sieg des Rechtsstaates“.
„Das Gericht ist standhaft geblieben und hat sich nicht von Sympathisanten des Herrn Böhmermann unter Druck setzen lassen“, so von Sprenger weiter. Offen ließ er, ob er ebenfalls Rechtsmittel einlegt, da das Gericht das Gedicht nicht komplett verboten hatte. Er werde das Urteil nun erst einmal besprechen – allerdings nicht mit seinem Mandanten Erdogan persönlich.