St. Georg. Nach Schüssen eines Beamten auf Afrikaner sorgt Abgeordneter mit Äußerung für massive Empörung – selbst bei der eigenen Fraktion. Gewerkschaft fordert Ermittlungen

Sie sprechen von gezielten Schüssen auf Schwarze, von Zuständen wie in Amerika – rund 150 Menschen, darunter Angehörige der sogenannten Lampedusa-Gruppe und linke Protestler, haben am Mittwoch in St. Georg gegen „rassistisch motivierte Polizeigewalt“ demonstriert. Anlass für die Protestaktion waren Schüsse eines Polizisten auf einen Schwarzafrikaner eine Woche zuvor. Die Demonstranten zogen vom Lampedusa-Zelt am Steindamm zur Polizeiwache und von dort aus zum Tatort an der Robert-Nhil-Straße. Während die Demonstration ruhig und friedlich verlief, hatte der linke Bürgerschaftsabgeordnete Martin Dolzer hinter den Kulissen jede Menge Unruhe und Unfrieden gestiftet – mit seiner Äußerung, bei den Schüssen auf den Schwarzafrikaner handele es sich um einen möglicherweise „rassistisch motivierten Hinrichtungsversuch“. Dolzer erntete dafür heftigen Widerspruch – auch in eigenen Reihen.

Der am 1. Februar angeschossene Mann soll laut Polizei und Zeugen aggressiv mit einem Messer herumgefuchtelt haben. Passanten riefen einen Zivilpolizisten zur Hilfe; als sich der Beamte an den aus Ghana stammenden Mann wandte, soll dieser sofort mit dem Messer auf ihn losgegangen sein. Um ihn zu stoppen, setzte der Polizist Pfefferspray ein. Weil der 33-Jährige weiter auf ihn einstechen wollte, streckte er ihn mit Schüssen in die Beine nieder. Obang A., dreimal getroffen, musste notoperiert werden. Die Polizei geht von einer Notwehrlage aus.

Dolzer sagte, er habe mehrere Tage in St. Georg recherchiert und mit drei Augenzeugen gesprochen. „Dadurch drängt sich eher der Eindruck auf, dass der Polizist nicht aus Notwehr gehandelt hat“, so Dolzer. „Es muss geklärt werden, ob es sich um ein lebensgefährliches Fehlverhalten oder im schlimmsten Fall sogar um eine rassistisch motivierte Hinrichtung gehandelt hat.“

Diese angeblichen Zeugen hätten ihm berichtet, der später Angeschossene sei sichtlich angetrunken und „zu keinem Zeitpunkt“ eine Gefahr für den Polizisten gewesen. Dennoch habe der Beamte geschossen. Als Obang A. bereits wehrlos am Boden lag, sei ein weiterer Schuss gefallen. Auch hätten ihm Zeugen, denen der Polizist bekannt sei, berichtet, dass der Beamte Schwarzafrikanern gegenüber häufig „unfreundlich, übergriffig bis erniedrigend“ aufgetreten sei. Dolzer: „Der Fall muss schnell und gründlich aufgeklärt werden.“

Allerdings von den dafür zuständigen Stellen, betonte Arno Münster, Innenexperte der SPD-Bürgerschaftsfraktion. „Herr Dolzer wäre gut beraten, diese Untersuchung abzuwarten, anstatt sich als Privatdetektiv zu versuchen und solch schwerwiegende Vorwürfe in die Welt zu setzen.“ Einen Mordversuch aus rassistischen Motiven zu unterstellen, sei „absolut inakzeptabel“, sagte Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. „Durch Privatermittlungen alternative Fakten zu fördern und medial zu verbreiten, macht den Rechtsstaat kaputt.“

Zu Details der Ermittlungen wollte sich die Staatsanwaltschaft nicht äußern, auch weil der Beschuldigte noch nicht habe befragt werden können. Der von Dolzer geschilderte und so von der „taz“ rapportierte Geschehensablauf decke sich aber in „keinster Weise mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen“, sagte Behördensprecherin Nana Frombach. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sprach von „einer infamen und niederträchtigen Hetzkampagne“. Es sei „widerwärtig und linkspopulistisch“, dass Dolzer die Hamburger Polizei „in die Nähe einer Ku-Klux-Klan-ähnlichen Organisation“ rücke, so Landeschef Joachim Lenders. Die Staatsanwaltschaft müsse ihn nun zu seinen „Ermittlungen“ befragen und gegebenenfalls wegen „falscher Anschuldigung, Verleumdung und Beleidigung“ ermitteln. Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Dennis Gladiator nannte die Äußerungen „niederträchtig und aufhetzend“. Er erwarte „nicht nur eine Entschuldigung gegenüber der Polizei, sondern dass seine Fraktion hier auch Konsequenzen zieht“. Kurz und knapp reagierte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer: „Der Vorwurf und die Wortwahl disqualifizieren sich von selbst.“

Sogar die Linken-Fraktion distanzierte sich. „Anhaltspunkte für einen ,rassistisch motivierten Hinrichtungsversuch‘ können wir nicht erkennen“, hieß es in einer Stellungnahme. Auch könne die Fraktion nicht beurteilen, ob „Racial Profiling“, wie von Dolzer unterstellt, bei den Schüssen ausschlaggebend gewesen sei. Dolzer selbst ruderte am Mittwochnachmittag zurück. „Den Begriff ,rassistisch motivierte Hinrichtung‘ habe ich leider aus großer emotionaler Betroffenheit genutzt“, sagte er dem Abendblatt. Heute würde er das neutraler als „Tat“ formulieren.

Der Zustand des angeschossenen, bisher nicht vorbestraften Mannes hat sich stabilisiert. Er gehört der Lampedusa-Gruppe an, die 2013 widerrechtlich von Italien nach Hamburg geschickt worden war. In einer sogenannten aktiven Liste der Ausländerbehörde sind noch 74 Angehörige der Gruppe gelistet. Drei Anträgen auf Aufenthaltserlaubnis sei stattgegeben, 14 seien abgelehnt worden, sagte Norbert Smekal von der Ausländerbehörde. In den übrigen Fällen stünde eine Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus.