Hamburg. An der Entwicklung des Volksfestes auf dem Heiligengeistfeld zeigen sich im Kleinen die große Politik und wirtschaftliche Umbrüche.
Fischbrötchen, Pommes und Schmalzgebäck, Autoscooter und Karussells – auf dem Hamburger Dom erwartet die Besucher heutzutage hauptsächlich Genuss und Belustigung. Wenn es dort mal knallt, dann während des spektakulären Feuerwerks jeden Freitagabend.
So sorglos ging es dort nicht immer zu. 10. Dezember 1930, ein Trupp Kommunisten skandiert Parolen an einer Wurstbude auf dem Dom. Nationalsozialisten greifen sie an. Als die Lage zu eskalieren droht, trennt die Polizei die Menschenmenge mit Gummiknüppeln. Nach der Machtübernahme sprechen die Nazis 1934 vom „tausendjährigen Dom“, instrumentalisieren das Volksfest für ihre Propaganda.
Zutage gefördert hat diese Begebenheiten Alina Laura Tiews von der Forschungsstelle Mediengeschichte des Hans-Bredow-Instituts in Hamburg. „Der Dom ist geschichtlich betrachtet viel mehr als nur ein Vergnügungsmarkt“, sagt die Historikerin. „Wie in einem Brennglas zeigt sich dort die große Politik im Kleinen.“
Die Wissenschaftlerin hat mit ihrer Kollegin Yvonne Robel von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg eine Tagung organisiert, die von Donnerstag bis Sonnabend stattfindet. Etwa 50 Forscher aus dem In- und Ausland werden dort über das „spannungsreiche Verhältnis zwischen einer Geschichte des Vergnügens und einer sozialen Geschichte der Stadt“ von 1890 bis 1960 diskutieren.
Spannungsreich ist insbesondere die Entwicklung des Hamburger Doms, zu der Tiews wochenlang im Hamburger Staatsarchiv recherchierte. „Es gibt noch viele Lücken in der Aufarbeitung der Geschichte des Volksfestes“, sagt Tiews. Ihre Recherchen sollen sie teilweise schließen.
Aus den Akten werde deutlich: „So, wie sich die Gesellschaft, die Stadt Hamburg und ihre Bewohner veränderten, so hat sich auch das Volksfest verändert“, sagt Tiews. Lange Zeit ein reiner Verkaufsmarkt, der nur im Winter stattfand, verwandelte sich der Hamburger Dom im Zuge der Industrialisierung und Elektrifizierung in einen Vergnügungsmarkt. Das führte zu Platzproblemen: Standorte wie der Großneumarkt und der Spielbudenplatz boten nicht mehr genügend Fläche. Als erstes Schaustellerunternehmen zog die Firma Hugo Haase 1896 auf das Heiligengeistfeld um; seit 1900 beziehen dort regelmäßig alle Buden und Fahrgeschäfte ihre Plätze.
Wegen der Weltwirtschaftskrise fand 1930 erstmals der Frühlingsdom statt – nicht erst 1948, wie bisher angenommen wurde und es etwa im Onlinelexikon Wikipedia dargestellt werde, sagt Tiews. Die Behörden ließen den Frühlingsdom zu, „weil die Not namentlich bei den kleineren Schaustellern sehr groß ist, denn auch in diesem Gewerbe wirkt sich die schlechte Wirtschaftslage katastrophal aus“, berichtete das „Hamburger Fremdenblatt“ am 21. März 1931 anlässlich der Wiederholung des Frühlingsdoms.
Sommerdom als Reaktion auf die deutsche Teilung
Wirtschaftliche und politische Gründe hatte die Einführung des Sommerdoms, der erstmals Ende der 1940er-Jahre stattfand und zunächst „Hummelfest“ hieß. Diese Veranstaltung im August sei etabliert worden, „um den Schaustellern eine Erwerbsmöglichkeit zu geben als Ausgleich für ihre verloren gegangenen Reisegebiete in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands“, heißt es in einer Aktennotiz vom 21. Februar 1961, die Alina Tiews im Staatsarchiv fand.
Nicht nur die Schausteller hatten zu kämpfen. In den ersten Jahren der Nachkriegszeit war der Dom ein Ort der harten Kontraste, der auch die Entbehrungen großer Bevölkerungsteile spiegelte. „Die Farbenpracht des Domes kann nicht über die soziale Not in Westdeutschland hinwegtäuschen“, schrieb die „Hamburger Volkszeitung“ am 24. November 1951. „Zwischen den einzelnen Verkaufsbuden in der Feldstraße oder auch am Millerntor stehen und sitzen Schwerkriegsbeschädigte mit Orgeln, Ziehharmonikas, eine alte Oma versucht, Zündhölzer zu verkaufen, weil ihre geringe Rente nicht zum Leben ausreicht. Die Kinder, die mit glänzenden und frohen Augen mit ihren Eltern durch die Domstraßen gehen, müssen auf manchen Wunsch verzichten, weil Papa erwerbslos ist oder so wenig verdient, daß er jeden Groschen zweimal umdrehen muß, bevor er ihn ausgibt.“
Doch bald ging es langsam aufwärts – auch für die Schausteller. Große Politik im Kleinen zeigt sich Alina Tiews zufolge erneut in der Entwicklung des Doms ab 1952, als die Stadt erstmals plante, die Werbung für das Volksfest zu bezahlen. Es gab Entwürfe für ein erstes Dom-Plakat. „In den folgenden Jahren trieb die Stadt die Institutionalisierung des Doms als „größtes Volksfest des Nordens“ voran, indem sie mit der Anwerbung von Besuchern aus Dänemark und Schweden begann“, sagt Tiews. „Damit begann die Internationalisierung des Hamburger Doms. Davon profitierte die ganze Stadt.“
In jedem Jahr noch prächtiger, noch sensationeller
Der „Hamburger Anzeiger“ schrieb am 29. November 1952: „Heute werden Attraktionen immer größer, jedes Jahr was Neues (...). Aber das will der Besucher. Er will in der Brandung stehen, er will geschüttelt, geschwenkt und auf den Kopf gestellt werden. Und der erfindungsreiche Manager sorgt dafür, daß die Darbietungen des Doms in jedem Jahr noch prächtiger, noch sensationeller sind – in bezug auf die Domgroschen – noch verlockender werden.“
Infolge der Werbemaßnahmen seit 1952 sei die Zahl der Besucher auf dem Winterdom von 800.000 im Jahr 1950 auf über 1,8 Millionen bis zum Jahr 1960 gestiegen. 2016 besuchten den Winterdom nach Angaben der Veranstalter mehr als zwei Millionen Menschen.
Filmvergnügen: Passend zum Thema der Tagung wird im Metropolis Kino (Kleine Theaterstraße 10) am 9. Februar um 17 Uhr der Film „Große Freiheit Nr. 7“ mit Hans Albers gezeigt. Die Tagungsleiterinnen Yvonne Robel und Alina Tiews geben vor der Filmvorführung eine historische Einführung. Eintritt 7,50.