Harburg. Monatelang gaben Schüler tagsüber ihr Smartphone ab. Wie eine Hamburger Klasse das AOK-Projekt gewann

Ein Leben ohne Handy ist möglich, aber: Wer will das schon? Es erscheint umständlich und schwierig, vielleicht zu schwierig. Hamburger Schüler haben genau das ausprobiert. Sie haben sich darauf eingelassen, zumindest von 8 bis 16 Uhr ihre Smartphones nicht zu benutzen.

Gleich nach dem Aufwachen geht bei vielen in der Klasse 10 vL (vL steht für verantwortungsvolles Lernen) der Harburger Goethe-Schule der erste Blick auf ihr Smartphone. Dann überfliegen Berfin, Lisa und Mick – wie die meisten Schüler – Nachrichten und lesen, was im Klassenchat auf WhatsApp in der Nacht passiert ist, sie hören übers Handy Musik auf dem Schulweg, gucken auf Facebook nach Neuigkeiten über amerikanische Stars oder sehen sich Filme auf YouTube an. „Ich gucke morgens vor allem ans Schwarze Brett, um zu gucken, ob Unterricht ausfällt“, sagt Pascal. Das Schwarze Brett erscheint längst in digitaler Version auf dem Handy. Praktisch eigentlich. Und doch: „Geht das? Aufs Handy zu verzichten? Man benutzt es ja doch sehr viel“, sagt Pascal.

Eine App überwacht die Nutzung des Smartphones

Diese kurze Zeit zwischen Aufwachen und Unterrichtsbeginn um 8 Uhr haben Pascal und seine 22 Mitschüler in den vergangenen drei Monaten voll ausgenutzt. Denn um 8 Uhr gingen sie jeden Schultag acht Stunden lang auf Sendepause und verzichteten darauf, ihre Pausen am Handy zu verbringen.

Die Idee zum digitalen Fasten kam ausgerechnet von den Schülern selbst und nicht etwa von den Lehrern. Lisa und Florentine, beide 15, schlugen ihrer Klasse vor, bei dem Projekt „Sendepause“ der AOK Rheinland/Hamburg mitzumachen. „Es waren eigentlich gleich alle begeistert“, sagt Florentine. Bei der Aktion messen sich mehr als 340 Schulklassen im Rheinland und in Hamburg. Die Herausforderung: möglichst wenig das Smartphone zu nutzen.

Überwacht wird das Ganze durch eine App, die misst, wie häufig das Handy von jedem Schüler genutzt wird. Je weniger, desto mehr Punkte gibt es für die Klasse. Die Goethe-Schüler waren gut dabei: Sie gehören zu den Gewinnern und werden zum DJ-Gig mit Felix Jaehn am 11. Februar eingeladen.

Ziel der Aktion ist es, die Schüler mit ihrem Medienkonsum zu konfrontieren. „Das Thema Onlinesucht gewinnt an Bedeutung. Es stellt sich die Frage, ob die jungen Leute überhaupt noch einschätzen können, wie oft und wie lange sie online sind“, sagt AOK-Regionaldirektor Thomas Bott.

Wie schwer dieser Verzicht ist, zeigt das Beispiel einer achten Klasse am Gymnasium Christianeum in Othmarschen: „Einige Schüler wollten am Schuljahresbeginn teilnehmen und haben sich angemeldet, allerdings sind sie dann nicht dabei geblieben“, heißt es. Von den Hamburger Schulen hat es außerdem lediglich die Stadtteilschule am Hafen überhaupt ins Ranking geschafft.

Berfin und ihre Mitschüler haben durchgehalten, und sie sind sich ihres Medienkonsums durchaus bewusst. Die 15-Jährige weiß: „Es ist gut für uns, aufs Handy zu verzichten, weil man immer am Handy ist. Es ist eine Gewohnheit.“ Sie verbringe bis zu sechs Stunden am Tag am Smartphone. Der Verzicht fiel ihr zumindest an den langen Schultagen bis 15.25 Uhr leicht. An den kurzen Tagen bis 13.10 Uhr war es schwieriger. „Ich höre gern Musik übers Handy, wenn ich unterwegs bin“, sagt Lisa. Ihre Entdeckung: „Aber man kann auch gut ausweichen und zum Beispiel auf die analoge Uhr gucken, wenn man wissen will, wie spät es ist.“ Überhaupt ist ja nicht alles schlecht. Im Unterricht dürfen die Schüler ihre Handys zum Recherchieren benutzen. Klassenlehrerin Sabine Kramer: „Es gibt dann eine Recherchegruppe, die ihre Handys im Unterricht anschaltet.“

In Mathe dienen Handys als Taschenrechner, in Englisch als Wörterbuch. Das sei praktisch, sagt Lehrer Lars Freitag. Und doch fällt ihm auf, dass viele Schüler in den Pausen auf ihre Smartphones starren, sogar beim Mittagessen in der Kantine. An der Goethe-Schule denken Lehrer, Schüler und Eltern derzeit über strengere Handyregeln nach. „Es gibt die Sorge, dass die Kinder immer weniger miteinander sprechen“, sagt Schulleiterin Vicky-Marina Schmidt. Ein absolutes Verbot werde es aber nicht geben.

Ob die Sendepause von langer Dauer ist? Das wissen Florentine und die anderen nicht. Sie sind sich aber bewusster geworden, dass es Wichtigeres gibt. Wenn Florentine mit ihrem Mischlingsrüden Oskar trainiert, hat sie gar keine Zeit, auf ihr Handy zu gucken.