Waltershof. Zoll stellt Rekordmenge von 717 Kilogramm sicher. Nach Geiselnahme wurden weitere Gewalttaten befürchtet
Der Zoll kann einen großen Erfolg gegen den internationalen Rauschifthandel verbuchen: Im Hamburger Hafen hat er 717 Kilogramm Kokain entdeckt, die größte Menge, die der deutsche Zoll jemals sichergestellt hat. Der Fund hat auf dem Schwarzmarkt einen Verkaufswert von etwa 145 Millionen Euro.
Die Umstände des Zugriffs waren dramatisch. Eigentlich hatten die Beamten noch geheim weiterermitteln wollen. Doch Hintermänner der Täter hatten in Holland eine Geisel genommen, weil sie den Verdacht hegten, dass der Spediteur das Kokain gefunden und versteckt haben könnte. Dessen Entführung wurde inzwischen unblutig beendet.
Die Tätergruppe soll äußerst brutal sein und auch vor Gewaltverbrechen nicht zurückschrecken. Deswegen hat der deutsche Zoll den Fund gestern aus Sicherheitsgründen öffentlich gemacht, um weitere Gewalttaten zu verhindern. „Diese Gruppe soll auch schon Menschen getötet haben“, so der Leiter des Hamburger Zollfahndungsamtes, René Matschke. Es ist ein Signal an die Täter, dass dieses Kokain „vom Markt“ ist und sich jetzt in den Händen der Behörden befindet.
Die Szene ist hoch kriminell: Selbst gegenüber Zöllnern in Europa und Deutschland sollen die Täter Drohungen ausgestoßen haben. Sie wollen einen ungestörten Handel – und es geht um riesige Geldsummen. „Wir haben hier eine Rekordmenge. Ich bin jetzt seit fünf Jahren Präsident des Zollkriminalamtes“, sagt Norbert Drude über die Sicherstellung in Waltershof. „Aber eine solche Menge Kokain auf einen Haufen habe ich noch nicht gesehen in der Zeit.“ Das sei auch „symptomatisch“. „Wir haben es seit Jahren mit steigenden Mengen auf dem Gebiet zu tun“, so Drude. Das Rauschgift kommt per Schiff, so gelingen den Behörden die großen Funde in den europäischen Seehäfen. Die großen sichergestellten Mengen bereiten ihnen „ zunehmend Sorgen“. 2015 wurden in deutschen Seehäfen 732 Kilo Kokain sichergestellt; 2016 waren es 1116 Kilo. „Jetzt haben wir gerade den Januar hinter uns und sind schon bei 906 Kilo nach einem Monat“, sagt Drude. „Man kann schon jetzt sagen, dass wir ein Rekordjahr erleben werden.“
Ähnlich sieht es im europäischen Ausland aus. „Exorbitant“ sei die Steigerung bei den Kokainmengen, die sichergestellt werden. 31,5 Tonnen Kokain wurden 2015 in Europas Häfen beschlagnahmt. 56 waren es bereits im vergangenen Jahr. Der Preis für Kokain, so Drude, ist in Deutschland stabil geblieben. Das ist ein klares Indiz dafür, dass die vielen Beschlagnahmen nicht zu einer Verknappung führen. Kokain ist im Überfluss vorhanden. „In Kolumbien haben sich die Anbauflächen in den letzten Jahren verdoppelt“, so Drude.
Die Tätergruppen arbeiten nach Erkenntnissen des Chefs des Zollkriminalamtes „hoch professionell“. Drude: „Sie sind auch sehr gefährlich.“ Auf den Container mit dem Kokain waren Zöllner bereits in Rotterdam aufmerksam geworden. Er sollte von dort nach Hamburg weitertransportiert werden, um dann per Laster wieder zurück in die Niederlande gebracht zu werden. „Das ist ein etwas ungewöhnlicher Transportweg“, sagt Michael Schrader, Chef des Hauptzollamtes Hafen. Bereits am 9. Januar wurde der Hamburger Zoll benachrichtigt. Als der Frachter am 12. Januar in der Hansestadt einlief, stand der Zoll bereit. Erst am 18. Januar wurde der Container, der auf der Karibikinsel Curacao verladen worden war, von einer deutschen Spedition abgeholt. Der Zoll durchleuchtete das Fahrzeug in der Containerröntgenanlage in Waltershof.
Um die Drogen vor den Beamten zu verstecken, hatten sich die Täter einiges einfallen lassen: Die Kokainpakete waren in Bleibleche eingeschlagen und in Big Bags verstaut, die ebenfalls mit Blei ausgekleidet und unter Metallschrott versteckt waren. Dadurch sollte wahrscheinlich erreicht werden, dass die Drogen nicht durch Röntgenaufnahmen entdeckt werden könnten. Außerdem waren die Bleiblöcke noch mit Benzin getränkt, um die Nasen der Drogensuchhunde zu täuschen. Allerdings war der ganze Aufwand vergebens: Sowohl die Containerröntgenanlage als auch die Spürhunde zeigten das Kokain an.
Mitte dieser Woche eskalierte die Situation mit der Geiselnahme in Holland: „Zwei Täter haben Mitarbeiter einer Logistikfirma, die im Umfeld dieses Transportes zu sehen ist, als Geiseln genommen“, sagt Zollfahndungsamtschef Matschke. Die Geiseln waren in einem Lieferwagen eingesperrt. Einem der Opfer gelang die Flucht. Die alarmierte Polizei konnte die Täter festnehmen. Es waren Handlanger. Die Niederländer ahnten, wer die Hintermänner sind. „Sie ließen uns wissen, dass im Umfeld dieser Gruppe schon Menschen liquidiert wurden“, so Matschke. „Deswegen haben wir uns entschieden, die Sicherstellung kurzfristig öffentlich zu machen.“ Man befürchtete weitere Gewaltakte der Hinterleute, „wenn sie nicht wissen, wo ihre 717 Kilo Kokain abgeblieben sind“.
Selbst beim Zoll fürchtete man noch Aktionen der Drogenhändler. Während der Präsentation wurde das Kokain von bewaffneten Zöllnern bewacht. „Das ist keine Dekoration“, sagt Maschke. „Es sind riesige Werte. Die Täter aus Holland würden das Kokain gern wieder an sich bringen.“