Große Ketten wie Alnatura expandieren in Hamburg, klassische Supermärkte stocken ihre Sortimente mit Ökolebensmitteln auf.

Es herrscht nicht gerade Hochbetrieb an diesem Vormittag im Bioladen am Hammer Park. Eine Studentin besorgt sich rasch noch einen Joghurt für die Mittagspause, eine Mutter hat einige Äpfel aus dem Alten Land in ihren Einkaufskorb gelegt, ein älterer Herr beäugt ein wenig skeptisch das Angebot an Milch für 1,59 Euro pro Liter. Dazwischen steht Inhaber Felix Schmidt – Jeans, grüne Schürze, jungenhaftes Lächeln – und plaudert mit den Kunden. Der blonde 34-Jährige kennt viele Besucher schon seit Jahren, manch einer ist Mitglied in seinem Laden und kauft gegen einen monatlichen Beitrag zu reduzierten Preisen bei ihm ein.

Das Mitgliedermodell ist ein Weg für Schmidt, um sich gegen diewachsende Konkurrenz im Ökomarkt zu wappnen. „Die Bioszene hat sich drastisch gewandelt“, sagt der Chef, der das kurz nach der Tschernobyl-Katastrophe gegründete Traditionsgeschäft im Jahr 2006 übernommen hat. War Schmidt anfangs noch mit ein paar Mitstreitern allein auf weiter Flur, so gibt es in Hamburg mittlerweile rund 30 Filialen der großen Bioketten. Hinzu kommen die prall gefüllten Regale mit Ökowaren in den normalen Supermärkten. „Für die inhabergeführten Läden wird es da immer schwerer zu überleben“, sagt Schmidt.

Neun Milliarden Euro für Biolebensmittel

Regelmäßig tauscht sich der Inhaber in seiner „Ladner-Gruppe“ mit anderen Chefs kleiner Hamburger Biogeschäfte aus. Ein Dutzend seien sie in der Gruppe mal gewesen, erzählt er, mittlerweile seien sie noch fünf. Zuletzt musste ein Kollege aus Ottensen sein Geschäft im Einkaufszentrum Mercado aufgeben. 20 Jahre lang verkaufte Alexander Reinke Biodelikatessen und Wildspezialitäten, doch Wettbewerb und Kostendruck waren einfach zu hoch in Hamburgs Ökostadtteil Nummer 1, wo es an jeder Ecke Biolebensmittel zu kaufen gibt.

Es klingt paradox: Bundesweit eilt die Biobranche von Rekord zu Rekord. Wenn sich die Szene Mitte Februar zur Weltleitmesse Biofach in Nürnberg trifft, dann werden mehr als 2500 Aussteller und 48.000 Facheinkäufer erwartet. Gut neun Milliarden Euro dürften die Deutschen 2016 laut einer Schätzung des Branchenverbands BÖLW für Biolebensmittel ausgegeben haben – ein neuer Höchststand.

Bioeier zu Kampfpreisen

Doch mehr als die Hälfte dieses Umsatzes wird heute nicht im Naturkostfachhandel, sondern in ganz normalen Supermärkten erwirtschaftet. Große Handelsketten wie Edeka und Rewe haben ihre Biosortimente in den vergangenen Jahren kräftig aufgestockt. Selbst bei den Discountern Aldi und Lidl finden die Kunden heute Ökomöhren oder Bioeier zu Kampfpreisen von 1,55 Euro für sechs Stück.

Bei solchen Preisen kann und will Felix Schmidt nicht mithalten. Bei ihm kosten sechs Bioeier 3,30 Euro, dafür stammen diese allerdings auch vom Hof Wörme in der Lüneburger Heide, der nach den Standards des Demeter-Verbands wirtschaftet und den der Biohändler persönlich kennt. „Da weiß ich, dass die Hühner wirklich gut behandelt werden“, sagt Schmidt. „Eier, die nur mit dem europäischen Biosiegel ausgezeichnet sind, würde ich nicht mehr verkaufen. Da unterscheidet sich die Haltung heute kaum noch vom konventionellen Bereich.“

Massenproduktion und Filialisierung

Es scheint so, als würden in der Ökobranche zunehmend jene Regeln gelten, gegen die die Pioniere der Bewegung einmal angetreten waren. Preiskämpfe, Massenproduktion und Filialisierung pflügten gegenwärtig das deutsche Ökogeschäft um, urteilte jüngst das Magazin „Wirtschaftswoche“. Es gilt: Bio gegen Bio.

Seit Jahren schon liefern sich die größten deutschen Bioketten einen erbitterten Kampf um die besten Standorte. Am kräftigsten expandiert Denn’s Biomarkt, eine Tochtergesellschaft des oberfränkischen Großhändlers Dennree. Vierzig Jahre ist es her, dass Gründer Thomas Greim mit einem Opel-Blitz-Lastwagen biologisch-dynamisch erzeugte Milch von Bauern aus dem Chiemgau nach München kutschierte, um sie dort zu verkaufen. Aus diesen bescheidenen Anfängen ging das größte deutsche Biohandelshaus mit einem Umsatz von 820 Millionen Euro hervor, das rund 12.000 Ökoprodukte an selbstständige Bioläden verkauft.

43 Läden im vergangenen Jahr eröffnet

Mit Denn’s Biomarkt hat sich der Großhändler ein zweites, ausgesprochen lu­kratives Standbein geschaffen. 43 neue Filialen hat Dennree allein im vergangenen Jahr eröffnet. In Hamburg hat die Kette nach der Biohochburg Ottensen und dem Schanzenviertel nun den Nordosten der Stadt ins Visier genommen. So macht heute die achte Hamburger Filiale in der Massaquoipassage unweit des U-Bahnhofs Barmbek auf. Im Verlauf des Jahres soll ein weiterer Markt am Stratenbarg in Sasel folgen.

Die deutsche Nummer 2 – Alnatura aus dem hessischen Bickenbach – will angesichts dieser Pläne nicht hintanstehen und nimmt 2017 einen Markt in der HafenCity in Betrieb. An der Überseeallee wird die nunmehr siebte Hamburger Filiale an den Start gehen. Mehr als 6000 Produkte wird das Sortiment umfassen, das auf rund 600 Quadratmetern angeboten wird.

Nachfrage nach attraktiven Standorten

Auch andere größere Player der Branche bauen ihr Netz in der Hansestadt weiter aus. So wird die Bio Company voraussichtlich in Juni einen neuen Markt in Hoheluft-West eröffnen. Es ist die dritte Filiale des Berliner Unternehmens in der Hansestadt, das 2016 einen Umsatz von 150 Millionen Euro erwirtschaftete. „In Hamburg gibt es noch Möglichkeiten zu wachsen, auch wenn die Nachfrage nach attraktiven Standorten sicherlich steigt“, sagt eine Sprecherin dem Abendblatt.

Im Schatten der großen, national aufgestellten Ketten hat sich die Hamburgerin Petra Tjaden mit ihrem Tjaden’s Biomarkt eine nicht unerhebliche Marktbedeutung erarbeitet. Begonnen hat die öffentlichkeitsscheue Unternehmerin im Jahr 2002 mit einem gerade einmal 120 Quadratmeter großen Geschäft in Wandsbek und wuchs im Anschluss unter anderem durch Übernahmen von Flächen, die andere Betriebe aufgeben mussten. So zog sie etwa im Jahr 2012 an die Friedensallee in Bahrenfeld, wo zuvor der Naturkostmarkt Hamburg gesessen hatte. Acht Filialen in der Hansestadt betreibt Tjaden mittlerweile, dazu kommt noch eine in Neu Wulmstorf.

Die Bioketten sind heute Jäger und Gejagte zugleich. Zum einen erhöhen ihre neuen Filialen den Druck auf inhabergeführte Läden wie den von Felix Schmidt. Seit an der Wandsbeker Marktstraße vor ein paar Jahren ein Alnatura-Markt eröffnete, muss der Einzelkämpfer aus Hamm noch härter kalkulieren als vorher. Andererseits sind die Fachhandelsketten selbst zum Wachstum gezwungen, um gegen die konventionellen Handelskonzerne und ihre gewaltige Einkaufsmacht bestehen zu können.

Diese haben nicht nur ihr Sortiment an Bio-Eigenmarken ausgeweitet, sondern sind auch mit eigenen Ökoketten an den Start gegangen. So hat der Kölner Konzern Rewe mit seinen Temma-Märkten eine Mischung aus Tante Emma- und Naturkostläden geschaffen. Die edel gestalteten Filialen mit angeschlossenem Deli und Café zielen auf eine umweltbewusste und zugleich zahlungskräftige Konsumentengruppe. Den ersten Temma-Markt machte Rewe in Blankenese auf, den zweiten in Eppendorf.

Berliner Kette Veganz in Schwierigkeiten

Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass sich Rewe mit Temma verkalkuliert haben könnte. Die Expansion ist vor zwei Jahren quasi zum Stillstand gekommen, neue Märkte sind erst einmal nicht geplant. Laut „Lebensmittelzeitung“ leidet das Format an zu wenigen Kunden und eher mäßigen Standorten. Auf Nachfrage erklärte ein Rewe-Sprecher dazu lediglich, man konzentriere sich derzeit auf die Verbesserung des Services und des Sortiments bei Temma.

Die Berliner Kette Veganz, die neben rein pflanzlichen Lebensmitteln auch auf ein großes Biosortiment setzt, ist angesichts der harten Konkurrenz in ernste Schwierigkeiten geraten. So droht der Filiale in Bahrenfeld die Schließung, weil die Muttergesellschaft Veganz Retail in die Planinsolvenz geschlittert ist. Gründer Jan Bredack hat das Konzept des veganen Supermarkts für gescheitert erklärt. Rein pflanzliche Lebensmittel gebe es heute auch in jedem normalen Supermarkt, meint er. Überleben soll Veganz als Großhändler und Produzent.

Alte Allianzen zählen nicht mehr

Wie sehr sich einst feste Allianzen in der Bioszene auflösen, zeigt der Streit zwischen Alnatura und dem einstigen Partner dm. Jahrzehntelang gab es die ökologisch korrekten Müslis, Joghurts und Kekse von Alnatura in der größten deutschen Drogeriekette zu kaufen. Die dm-Gründer Götz Werner und Alnatura -Chef Götz Rehn verband nicht nur der gleiche Vorname, sondern auch eine familiäre Beziehung und die gleichen Grundüberzeugungen. So stehen beide der anthroposophischen Bewegung von Rudolf Steiner nahe.

Doch die Partnerschaft ist dahin, dm und Alnatura haben sich heillos über die Rechte an der Biomarke, den einstigen Kooperationsvertrag und Einkaufskonditionen zerstritten. Nach dem abrupten Ende der Allianz musste dm in Rekordzeit eine eigene Ökolinie aus dem Boden stampfen, die mittlerweile schon mehrere Hundert Produkte von der Reismilch über Müslis bis hin zur Biomarmelade umfasst.

Nische werden immer wichtiger

Alnatura musste sich seinerseits neue Partner für den Vertrieb der Eigenmarke suchen. In Hamburg waren die Verluste nicht allzu groß, weil die Hessen hier schon lange mit dem lokalen dm-Konkurrenten Budni kooperieren. Nun sind allerdings auch in der Hansestadt Edeka und Rossmann als neue Vertriebspartner hinzugekommen, was wiederum die Hamburger Drogeriekette unter Druck setzt.

Für die kleinen, eigenständigen Biogeschäfte bleibt in diesem Umfeld nur, sich eine Nische zu suchen, die die großen noch nicht für sich entdeckt haben. So hat im November vergangenen Jahres in Wilhelmsburg der erste Bioladen namens Deichgrün eröffnet. Noch verkaufen die Gründer ihre Ökoprodukte auf Zeit in einem Eiscafé an der Veringstraße. Mitte März wollen sie auf eine größere Fläche am Wilhelmsburger Inselpark wechseln. Finanziert wurde der Bioladen ganz zeitgemäß über Crowdfunding im Internet, was für eine zwar noch kleine, aber eingeschworene Fangemeinde spricht.

Für Felix Schmidt aus dem Bioladen am Hammer Park ist die Neugründung ein Lichtblick. „Das zeigt, dass es für die inhabergeführten Geschäfte nicht nur bergab geht und Biokonzepte auch jenseits der großen Ketten funktionieren können“, sagt er.