Hamburg. Bürgermeister hält energisches Plädoyer für religiöse Toleranz. Opposition fordert Aussetzung oder Kündigung der Abkommen

Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat in einer eindringlichen Rede in der Bürgerschaft die zuletzt kritisierten Hamburger Verträge mit den Islamverbänden verteidigt – und vor einer Kündigung gewarnt. Mit Blick in die Welt, wie sie sich derzeit darstelle, und auch in die eigene Geschichte seien die Verträge „kostbar“ – und „wir sollten dankbar sein, dass es so weit gekommen ist“, sagte der Bürgermeister. Dabei betonte Scholz, dass bei einem Vertragspartner, dem Rat der islamischen Gemeinschaften (Schura), Schiiten und Sunniten und Muslime unterschiedlichster Herkunft zusammenarbeiten, was keinesfalls der Normalfall sei.

Zugleich sagte Scholz, dass es „völlig richtig“ sei, dass die Bürgerschaft die zuletzt erhobenen Vorwürfe gegen einzelne Vertragspartner debattiere – etwa im Internet verbreitete Karikaturen, in denen ein Weihnachtsmann niedergeschlagen wurde, sowie Bespitzelungsvorwürfe gegen die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) oder Aufrufe zu antiisraelischen Demonstrationen. „Wir müssen aber immer sehr grundsätzlich denken“, sagte der Bürgermeister. „Ein Blick in die Geschichte lohnt.“ So sei die religiöse Toleranz keinesfalls immer akzeptiert worden. Reichskanzler Otto von Bismarck habe im „Kulturkampf“ in den 1870er-Jahren noch katholische Geistliche mit Gefängnis und Festungshaft bedroht, der Kirche Befugnisse genommen und Redakteure ins Gefängnis werfen lassen. Dass der Staat heute mit Religionsgemeinschaften Verträge schließe, zeige seine Neutralität, so Scholz. Die in Hamburg seit dem vergangenen Jahrzehnt mit Kirchen, jüdischer Gemeinde und 2012 mit muslimischen und alevitischen Verbänden geschlossenen Abkommen seien ein „Zeichen gegenseitigen Respekts“.

Zugleich wies Scholz darauf hin, dass im Falle einer Kündigung des Vertrags die muslimischen Verbände das Recht hätten, einen eigenen, islamischen Religionsunterricht an den Schulen einzuführen. Stattdessen hätten sich die Vertragspartner darauf eingelassen, von dieser Möglichkeit Abstand zu nehmen und mit den anderen Religionsgemeinschaften einen gemeinsamen Religionsunterricht zu organisieren. In diesem Zusammenhang dankte Scholz der „dafür unverzichtbaren, großartigen evangelischen Kirche in Hamburg“. Dabei betonte Scholz, dass „Hasspredigten schlimm sind und nicht akzeptiert werden dürfen“. Verstöße gegen die Gesetze seien eine Angelegenheit der Strafverfolgungsbehörden. Wohl mit Blick auf die Steuerung von Ditib aus der Türkei wies Scholz darauf hin, dass auch Kirchen aus Deutschland weltweit aktiv seien und „wir das für richtig halten“.

Alle großen Religionsgemeinschaften hätten den Senat aufgefordert, an den Verträgen festzuhalten, sagte Scholz. Natürlich werde es immer wieder Probleme geben. Die Verträge seien aber „der Beginn einer Kooperation und nicht ihr Ende“, so der Bürgermeister. „Männer, Frauen und Kinder fliehen, weil sie aus religiösen Gründen verfolgt werden. Hamburg ist Gott sei Dank ein Beispiel für religiöse Toleranz.“

Anlass der Scholz-Erklärung waren die Anmeldung des Themas Islamverträge durch die CDU zur Aktuellen Stunde und unterschiedliche Anträge zum Umgang mit den Verträgen von CDU, FDP, AfD und der rot-grünen Koalition. CDU-Fraktionschef André Trepoll warf Scholz vor, dieser habe „lange, aber doch konsequent am Problem vorbeigesprochen“. Trepoll verteidigte den Antrag seiner Fraktion, mithilfe neuer Gutachten zu klären, ob Ditib überhaupt eine Religionsgemeinschaft sei und damit Vertragspartner bleiben könne. „Wer feindselige Haltungen gegen Christen und Juden vertritt, ist nicht Partner, sondern Feind unserer offenen Gesellschaft“, so Trepoll. „Wer die liberalen Kräfte unter den türkischstämmigen Mitbürgern stärken will, muss dafür sorgen, dass jeder ausländische Einfluss unterbunden wird.“ Deshalb müsse der Vertrag mit Ditib „ausgesetzt werden“.

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel betonte, Ditib müsse „seine Hausaufgaben machen“. Die angespannte Weltlage und die Entwicklung in den USA seien aber „genau ein Argument, an den Verträgen festzuhalten“. Ähnlich äußerte sich Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks und fügte hinzu: „Was passieren kann, wenn sich Religionen in einer Stadt gegenseitig ausgrenzen und bekriegen, daran wollen wir alle gar nicht denken.“

FDP-Fraktionschefin Katja Suding sagte, das Verhalten mancher Vertragspartner störe die Integration. Die FDP forderte die Kündigung – auch weil sie grundsätzlich Abkommen zwischen Staat und Religionsverbänden für überflüssig hält.

Die Linken-Politikerin Christiane Schneider sagte, dass es in ihrer Fraktion keine gemeinsame Position zu dem Thema gebe. Es sei aber nicht hinnehmbar, dass „Erdogans langer Arm“ über Ditib nach Deutschland reiche. „Angesichts eines drohenden weltweiten Kulturkampfs hätte eine Kündigung der Verträge jetzt aber eine verheerende Wirkung.“ AfD-Fraktionschef Jörn Kruse nannte die Verträge „naiv“.

Die Bürgerschaft beschloss schließlich den Antrag von SPD und Grünen. Darin werden die jüngsten Vorfälle zwar kritisch bewertet – zugleich aber wird an den Verträgen festgehalten. Der Senat wird aufgefordert, über die Vorfälle „Konsultationsgespräche“ mit den Vertragspartnern zu führen.