Hamburg. 1977 erteilte der Senat zum ersten Mal eine Spielbank-Konzession. Bis heute stellt sich die Frage, ob alles mit rechten Dingen zuging.
Die Herren der Skatrunde sind gefinkelte Spieler, und die Einsätze sind nicht von Pappe. Doch einer von ihnen möchte mal richtig ans Geld, und er will auch nicht mehr alles auf die Karten setzen: Wieso lässt der Senat eigentlich zu, dass die Hamburger ihre Kohle in Travemünde verzocken?, fragt der „Stern“-Redakteur Wilfried Achterfeld in die Runde. Warum machen wir hier nicht selber eine Spielbank auf?
Die anderen spitzen die Ohren. Einer von ihnen ist Achterfelds Chef, der Verleger John Jahr jun. Er bespricht die Idee sofort mit seinem Vater. John Jahr sen. hat einen der größten deutschen Zeitschriftenkonzerne aufgebaut und ist im Rathaus gut vernetzt.
Der Weg ist trotzdem lang und dornig. Erst sechs Jahre später, am 1. Februar 1977, ist der Grand mit Dreien gewonnen: Die Hamburger Spielbank Jahr + Achterfeld KG, kurz JJA, erhält die lang ersehnte Konzession. Viele Klippen liegen hinter, eine noch vor ihr.
Seit 1971 wirbt John Jahr sen., wie er später berichtet, „mit Bankbestätigungen über Wertpapiere und Beträge“ um die Konzession für sich und seinen Sohn. Der Plan sieht zwölf Roulettetische, Black Jack und Bakkarat im neunten Stock des Hotels Intercontinental an der Außenalster vor. Erste Verhandlungen mit Hoteldirektor Fred G. Peelen lassen keine Schwierigkeiten erkennen.
Doch alle Vorstöße zerschellen an der hanseatischen Ehrbarkeit der alten Sozialdemokraten. Sie fürchten, das Kasino werde die Spielsucht fördern. Für SPD-Bürgermeister Herbert Weichmann sind Spielbanken – wie für seinen legendären Vorgänger Max Brauer – ein „Vorhof zur Hölle“. Auch Nachfolger Peter Schulz will nicht recht ran an den gefährlichen süßen Speck.
Drei Jahre später aber kommt Hamburgs finanzielle Lage dem Projekt entgegen: Im Februar 1974 trotzt der legendäre ÖTV-Boss Heinz Kluncker der Bundesregierung mit wüsten Streikdrohungen Lohnzuschläge von unfassbaren elf Prozent Lohnerhöhung für alle Mitarbeiter im öffentlichen Dienst ab. „Bin ich eigentlich der Chef einer pleitegegangenen Firma?“, fragt Bundeskanzler Willy Brandt entsetzt und denkt resigniert über Rücktritt nach: „Ich muss mich fragen, ob ich das noch verantworten kann!“
Wohlwollende Pressebegleitung
Bürgermeister Schulz will trotzdem keine Spielbank, muss aber nach einer schweren Wahlniederlage im März 1974 abtreten. Nachfolger Hans-Ulrich Klose handelt nach der altrömischen Maxime „Geld stinkt nicht“. Außerdem hat er Freunde bei Jahrs und Achterfelds „Stern“. Zum Beispiel den „Stern“-Vize Manfred Bissinger, der bald Kloses Pressesprecher wird.
Die besonderen Beziehungen der Verlegerfamilie zu den sonst bei derartigen Projekten stets überaus kritischen Hamburger Renommiermedien sorgen für wohlwollende Pressebegleitung des Projekts: „Der Senat, wo man sich zunächst über den Gedanken an eine ‚Spielhölle‘ entsetzt hatte, möchte sich nun doch ein wenig Erleichterung von drückenden Haushaltssorgen schaffen“, schreibt der kapitalismuskritische „Spiegel“ im November milde.
Gegen die Jahr-Connection haben die inzwischen 24 Mitbewerber keine Chance. Der Senat findet das Konzept eines Kasinos an der Außenalster weltstädtisch attraktiv. Die Jahrs und Achterfeld wollen gleich loslegen. Doch plötzlich kriegen die Skatbrüder Kontra. Einer der Mitbewerber, Hermann Kroepels, holt ein As aus dem Ärmel.
Als Aufsichtsratsvorsitzender der Hamburger Hotel-Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. Badestraße KG vertritt Kroepels die Eigentümer des Gebäudes, in dem das Hotel nur Mieter ist. Und er hat auch schon einen Kasino-Vertrag abgeschlossen, aber nicht mit JJA, sondern mit den Betreibern des Travemünder Kasinos und – mit sich selbst. Achterfeld und die Jahrs haben jahrelang mit den Falschen verhandelt, und Kroepels hat dazu fein geschwiegen.
Umsatz liegt bei 100 Millionen Mark
Jetzt meldet er sich: Die Hoteldirektion sei für Tische und Betten zuständig, aber nicht für Vermietung. Natürlich habe er sich trotzdem über die Verhandlungen auf dem Laufenden gehalten: „Ich kenne die Gespräche.“
„Gut eingefädelt!“, sagt Jahr anerkennend, aber die Konzession sei nun mal die seine. Kroepels will 25,5 Prozent und kontert: „Wenn Herr Jahr meint, über Anteile unserer Hotelgesellschaft am Kasino sei nicht zu sprechen, dann könnte ich mir vorstellen, dass wir auch nicht in Mietverhandlungen für das Intercontinental mit ihm eintreten.“
Dann aber, ulkt der „Spiegel“, „wäre dem Hamburger Senat noch vor der Eröffnung die Bank gesprengt“. Der alte Jahr wehrt sich wie die Ziege am Strick, aber die Konzession lässt kein Hintertürchen offen, und die Zwangsehe wird geschlossen.
Ein Jahr nach Vergabe der Konzession nimmt das Hamburger Kasino den Spielbetrieb auf. Es wird eine Goldgrube. Die Jahrs nehmen später noch andere Spielbankbeteiligungen dazu. Der wackere Achterfeld aber leitet die Geschäfte als persönlich haftender Gesellschafter, wird Millionär und nach großzügigen Spenden auch noch Professor der Musikhochschule.
Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Allmählich kommt die Opposition dahinter, dass der Senat über den Spieltisch gezogen wurde. Das Kasino ist eine Geldmaschine, aber bei der Stadt kommt nicht so viel an wie erwartet.
Filz der Spieltische
1988 versucht die CDU unter den Filz der Spieltische zu gucken. Spitzenkandidat Hartmut Perschau rügt, die Konzessionäre hätten den Umsatz mit zwölf Millionen D-Mark viel zu niedrig geschätzt, schon 1978 seien es 30 Millionen gewesen. Zehn Jahre später sind es sogar an die 100 Millionen. Trotzdem habe es der Senat versäumt, seinen 90-Prozent-Anteil am Bruttoeinspielergebnis zugunsten der Staatskasse zu erhöhen.
Der Mathematikprofessor und frühere Zweite Bürgermeister Dieter Biallas (FDP), damals Mitglied der „Senatskommission Spielbank“, gibt zu Protokoll, er habe sich gleich gewundert, dass die Sache so „überraschend glatt“ für JJA gelaufen sei: „Bei den Bewerbern kam, wie bei den Spielautomaten, unten nur einer raus, und ich habe mich gefragt, wie kommt das eigentlich.“ Er wolle deshalb nicht ausschließen, dass Geld – zum Beispiel Parteispenden – die Entscheidung gefördert haben. Achterfeld nennt den Professor daraufhin eine „akademische Dreckschleuder“. Ging damals wirklich alles mit rechten Dingen zu? Die Frage bleibt bis heute offen, alle Nachforschungen verlaufen im Sande.