Hamburg. Die Menschen können wegen fehlender Ausweispapiere nicht abgeschoben werden – darunter auch Straftäter wie der Ägypter Loai E..

Eigentlich hätte sich Loai E. - 21 Jahre alt, Ägypter – schon lange nicht mehr in Hamburg aufhalten dürfen. Bereits 2011 war sein Asylantrag abgelehnt worden, kurz danach erhielt er Post vom Amt: Er sei ausreisepflichtig und müsse das Land verlassen. Doch Loai E. blieb. Abgeschoben werden konnte er nicht, da er keine gültigen Ausweispapiere vorweisen konnte (oder wollte). Sein Heimatland Ägypten wiederum konnte (oder wollte) bisher keine Ersatzpapiere ausstellen.

Dem jungen Mann wird nun vorgeworfen, eine 14-Jährige am 22. Dezember in einer Folgeunterkunft für Flüchtlinge am Tessenowweg (Winterhude) vergewaltigt zu haben – allerdings bestreitet er die Tat, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach, auf Anfrage bestätigte. Vorbestraft sei der junge Mann nicht. „Eine strafrechtliche Verurteilung hat es bisher nicht gegeben.“ Mehrere jugendgerichtliche Verfahren, unter anderem wegen kleinerer Körperverletzungsdelikte, seien gegen Auflage oder wegen Geringfügigkeit eingestellt worden.

Der Fall Loai E. ist kein Einzelfall. Aus denselben Gründen wie bei ihm konnte ein 18 Jahre alter ausreisepflichtiger Marokkaner, der Mitte August auf dem Kiez eine junge Frau sexuell belästigt haben soll, nicht abgeschoben werden. Auch ein 34 Jahre alter Marokkaner, der im Dezember in einer 99-Cent-Bar auf der Großen Freiheit eine Frau vergewaltigt haben soll, konnte keine gültigen Papiere vorweisen. Und blieb deshalb im Land.

5000 Menschen in Hamburg ausreisepflichtig

Insgesamt sind 5000 geduldete Menschen in Hamburg ausreisepflichtig, das heißt: Ihr Asylantrag wurde zwar abgelehnt, sie konnten aber bisher nicht abgeschoben werden – entweder weil sie krank sind, abgetaucht sind oder eben: weil der Pass fehlt. 1536 Geduldete verfügen demnach in Hamburg über keine Identitätsnachweise. Die meisten von ihnen kommen aus Ägypten (176), Aserbaidschan (152) und Russland (117), allesamt sichere Herkunftsländer, deren Staatsbürger praktisch keine Chance auf ein Bleiberecht in Deutschland haben. Wie viele der Geduldeten ohne Papiere straffällig geworden oder bereits in den Fokus der Polizei geraten sind, wird von der Ausländerbehörde nicht erfasst.

Offensichtlich besteht hier eine Sicherheitslücke. „Wir brauchen endlich tragfähige Vereinbarungen gerade mit den nordafrikanischen Staaten über die Rücknahme ihrer ausreisepflichtigen Staatsangehörigen“, sagt Innensenator Andy Grote (SPD). „Es kann nicht sein, dass wir als Bundesrepublik Deutschland über Monate und Jahre nicht in der Lage sind, dies zu verhandeln. Hier sind die zuständigen Bundesministerien, allen voran das Bundesinnenministerium, in der Pflicht.“

Zentrale Koordinierungsstelle der Bundespolizei

Dabei sah es vor einem Jahr ganz gut aus. Damals vereinbarten Bund und Länder, eine zentrale Koordinierungsstelle der Bundespolizei für die Beschaffung von Ausweisdokumenten in Potsdam einzurichten. „In Potsdam entsteht jetzt eine schlagkräftige Bundesbehörde. Bisher machen das mehr als 400 Ausländerbehörden in Deutschland, die dann mit Marokko, Ägypten und anderen Ländern verhandeln müssen“, sagte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) damals in einem Interview. „Ich verspreche mir davon einen großen Fortschritt. So bekommen wir eines der großen Abschiebe-Hindernisse, fehlende Papiere, beseitigt“, sagte Scholz.

Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt. Denn die Koordinierungsstelle der Bundespolizei greift auf Bitten des jeweiligen Bundeslandes erst dann ein, wenn die Identität des Ausreisepflichtigen geklärt ist. Und genau das ist häufig das Problem – wie auch bei Loai E. Deswegen fordert Scholz jetzt: „Die in Potsdam eingerichtete Dienststelle muss ausgebaut werden.“

Oft jahrelange Duldungen abgelehnter Asylbewerber

Das Problem: Viele Staaten stellen nur sehr zögerlich die für eine Abschiebung unabdingbaren Ersatzpässe aus. Und wenn sie es tun, geht dem häufig ein bürokratisches Hick-Hack voran. Denn die deutschen Behörden sind in der Pflicht zu beweisen, dass ein Ausreisepflichtiger tatsächlich aus einem bestimmten Herkunftsland stammt. „Dazu werden die Betroffenen etwa mit Hilfe eines Dolmetschers nach ihren familiären Verhältnissen befragt sowie ihre Sprachkenntnisse und Akzente untersucht“, sagt Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde. Diese Indiziensammlung ist sehr aufwendig und führt in einigen Fällen zu jahrelangen Duldungen abgelehnter Asylbewerber, sogenannten Kettenduldungen. 2016 sind bis Ende November nur 620 Personen aus Hamburg abgeschoben worden, weit überwiegend in die Balkanstaaten.

Um Druck zum Beispiel auf die nordafrikanischen Staaten auszuüben, sich kooperativer bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger zu verhalten, hält der CDU-Sicherheitsexperte Dennis Gladiator die Drohung, die Entwicklungshilfe zu kürzen, für sinnvoll. Zumindest indirekt deutet auch Grote diesen Weg an: „Die Aufnahme ausreisepflichtiger Asylbewerber gehört auch mit Nachdruck in den Gesamtkontext der Beziehungen zu diesen Ländern gerückt.“

Diskussion über Ausreisezentren und Leistungskürzungen

Gladiator greift auch den Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auf, sogenannte Ausreisezentren einzurichten. Wer zur Ausreise verpflichtet ist und keine Papiere hat, soll die Auflage erhalten, in solchen Zentren zu wohnen, die allerdings nicht besonders gesichert sind. „Wir müssen deutlich machen, dass es Pflicht jedes Menschen ist, selbst für seine Papiere zu sorgen“, sagt Gladiator. Wer nicht kooperiere, müsse daher auch mit Leistungskürzungen rechnen. Das wäre dann eine Art „Duldung zweiter Klasse“.

Grote lehnt diesen Vorschlag ab. „Ein Ausreisezentrum löst die praktischen Probleme der Rückführung nicht. Damit würden die Perspektivlosen aus ganz Norddeutschland an einem Standort konzentriert werden, ohne dass dadurch ein einziges echtes Abschiebehindernis – wie z. B. fehlende Papiere – beseitigt würde“, sagt der Senator.

Im Fall von Loai E. gab es offenbar keine Versäumnisse der Behörden

Gladiator fordert von der Ausländerbehörde auch eine intensivere Bearbeitung kritischer Fälle. „Es reicht nicht, nur einmal pro Jahr in dem jeweiligen Land nachzufragen“, sagt der CDU-Politiker. Doch Smekal weist den Vorwurf zurück, dass es im Fall Loai E. Versäumnisse gegeben habe: „Wir haben wegen der Papiere mehrfach mit der ägyptischen Vertretung Kontakt aufgenommen.“ Nach Abendblatt-Informationen hat sich die Ausländerbehörde auch an das ägyptische Generalkonsulat in Hamburg gewandt.

Vor zwei Monaten hat sich Geras, eine gemeinsame Ermittlungsgruppe von Polizei und Ausländerbehörde, konstituiert. Sie soll die Voraussetzungen schaffen, um ausländische Serientäter direkt aus der Haft abschieben zu können. Ihre Rückführung soll dann von der Ausländerbehörde „priorisiert“ angegangen werden. Bis Ende November waren 84 ausreisepflichtige Ausländer aus der Strafhaft abgeschoben worden.