Hamburg. „Kammer sind WIR“ stellt Programm für Wahl zum Parlament vor: Pflichtbeiträge abschaffen, Ende der Präsesrede, weniger Geschäftsführer

Pünktlich zum ersten Arbeitstag des neuen Jahres ist der Endspurt im Kampf um die Handelskammer eröffnet worden – mit radikalen Reformvorschlägen und der Kandidatenvorstellung der Kammerrebellen vom Bündnis „Zwangsbeiträge abschaffen – Die Kammer sind WIR“. Insgesamt drei Bündnisse treten zur Plenarwahl der Handelskammer an, bei der zwischen 16. Januar und 14. Februar 2017 rund 160.000 Hamburger Unternehmer ein neues Kammer-Parlament wählen. Die „Rebellen“-Gruppe „Die Kammer sind WIR!“ um den Unternehmensberater Tobias Bergmann, die „Reformer“ der Gruppe „Unternehmer für Hamburg“, die vor einigen Wochen u. a. von dem Medienunternehmer Robin Houcken ins Leben gerufen wurde – und die „Traditionalisten“ von „Vorfahrt für Hamburg“ um den Logistik-Manager Willem van der Schalk. Sollten sich die Rebellen durchsetzen, stünde die mehr als 350 Jahre alte Hamburger Handelskammer vor einem radikalen Umbruch.

Das machte die WIR-Gruppe am Montag bei der Vorstellung ihrer 57 Kandidaten und ihres 100-Tage-Programms für den Fall eines Wahlsiegs deutlich. Demnach soll das Plenum noch im Frühjahr einen Beschluss fassen, nach dem 2020 die Pflichtbeiträge abgeschafft werden sollen. Zunächst müsse man die Abhängigkeit von Beiträgen senken, so Bergmann, die Gebühren für Dienstleistungen der Kammer sollten künftig die Kosten decken – und alle Ausgaben müssten auf den Prüfstand.

Bergmanns Mitstreiter Dominik Lorenzen (Teamgeist Nord), Annett Nack-Warenycia (Nack Büroeinrichtungen) und André Mücke (DSA youngstar) präsentierten weitere zentrale Vorhaben. Danach sollen die Sitzungen des Plenums künftig öffentlich sein. Ein unabhängiger Sachverständiger solle den „finanziellen Schaden“ ermitteln, der durch die extrem gute Altersversorgung der Kammer-Mitarbeiter entstanden sei, bei der manche Rente über dem letzten Nettogehalt liegt – auch mögliche Schadenersatzansprüche sollen geprüft werden. Der Hauptgeschäftsführer, derzeit Hans-Jörg Schmidt-Trenz mit einem Jahresverdienst von mehr als 500.000 Euro, soll künftig nur noch „analog zum Wirtschaftssenator“ bezahlt werden, also noch rund 150.000 Euro pro Jahr bekommen. Dass sie mit Schmidt-Trenz nicht weiter arbeiten wolle, hatte die Gruppe bereits deutlich gemacht. Die umstrittene „Morgensprache“, bei der die Kammerführung in Kostümen auf der Bühne eine Art historisches Laien-Theater aufführt, soll nicht mehr unterstützt werden. Zudem soll die Kammer zum „Digitalisierungsgipfel duale Ausbildung“ laden.

Eine zentrale Forderung sei es, „gegen Verschwendung“ in der Handelskammer vorzugehen, so die Rebellen. So solle nicht nur die Altersversorgung der Mitarbeiter auf den Prüfstand gestellt und das Gehalt des Hauptgeschäftsführers drastisch reduziert werden, sondern insgesamt solle die Kammer-Geschäftsführung um „mindestens 75 Prozent“ verkleinert werden.

Auf die Frage, ob die Kammer ihren Sitz auch bei einem Wahlsieg der WIR-Gruppe auf der Rückseite des Rathauses am Adolphsplatz behalten solle, sagte Bergmann: „Ja, denn die Handelskammer gehört ins Zentrum der Macht.“ Allerdings wolle man eine Öffnung des Gebäudes für andere Institutionen prüfen. Nicht festlegen wollten sich die WIR-Vertreter auf einen eigenen Kandidaten für das Amt des künftigen Präses. Eines aber soll es nicht mehr geben: eine Silvester-Rede des Präses bei der „Versammlung des Ehrbaren Kaufmanns“ in der bisherigen Form, bei der allein der Präses spricht und der Politik die Leviten liest. Die Rede zu diesem Anlass solle künftig „vierstimmig“ sein, so die WIR-Gruppe. „Neben dem Präses wird am 31.12. ein Azubi, ein Existenzgründer und ein Traditionsunternehmer das Wort ergreifen.“

Der Sprecher der Handelskammer, Jörn Arfs, verschickte kurz nach der Pressekonferenz der WIR-Gruppe einen „Fakten-Check“, mit dem Aussagen der Rebellen widerlegt oder korrigiert werden sollten. Darin wird betont, dass das Gehalt des Hauptgeschäftsführers durch ein Gutachten als angemessen bewertet worden sei. Auch sei eine Abschaffung der Beiträge ohne Kündigungen kaum möglich. Arfs betonte, „dass die Berufsausbildung in der Handelskammer höchsten Stellenwert“ habe.

WIR-Sprecher Bergmann wertete diese Äußerungen als Beleg dafür, dass das Kammer-Hauptamt im Wahlkampf nicht wirklich neutral sei, wie es seine Aufgabe wäre. Es falle auf, „dass Herr Arfs die bisweilen sehr seltsamen Forderungen der anderen Wahlbewerber keinem Faktencheck unterzieht“, so Bergmann. Die für die Kammeraufsicht zuständige Wirtschaftsbehörde sagte, „eine Reaktion auf die Thesen aus der Pressekonferenz“ sei „erst einmal nicht zu beanstanden“. Die Behörde komme „ihrer Aufgabe als Aufsichtsbehörde selbstverständlich umfassend nach“. dazu gehöre auch „die Sichtung dieser Verlautbarung der Kammer“.