Hamburg . Rücktrittsforderung an Justizsenator Till Steffen. Zunächst keine Fahndung bei Facebook. Das sind die Hintergründe.

Seine Entscheidungen während der Fahndung nach dem Terrorverdächtigen Anis Amri bringen den Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) in Bedrängnis. Weigerte sich Steffen mehr als zwölf Stunden dagegen, dass sich auch Hamburg im Internet an der Suche nach dem inzwischen erschossenen Tunesier beteiligt? Es werden Rücktrittsforderungen laut, auch bei Hamburger Polizeibeamten herrscht Unmut. Die Justizbehörde verteidigte dagegen am Freitag ihr Vorgehen.

Was war passiert? Entgegen einer Bitte des Bundeskriminalamts beteiligte sich Hamburg als einziges Bundesland neben Bremen zunächst nicht daran, die Fahndung nach Anis Amri auch über den Facebook-Kanal der Polizei zu verbreiten. Hintergrund ist eine neue Fahndungsverordnung des Bundes, der sich beide rot-grün regierten Länder nicht angeschlossen haben. „Es gab keine Freigabe, deshalb wurde der Aufruf zunächst nicht über unsere Kanäle in den sozialen Netzwerken verbreitet“, sagte ein Polizist dem Abendblatt.

Hasskommentare bei Facebook

Der Hamburger Justizbehörde war es offenbar zunächst wichtiger, Hasskommentare in sozialen Medien zu verhindern. Bei Fahndungen über Facebook und Twitter bestehe „die Gefahr, dass auf der offiziellen Seite der Polizei von Privaten beleidigende, volksverhetzende oder in anderer Weise strafbare Inhalte verbreitet werden“, begründete die Behörde von Till Steffen ihr Vorgehen. Zudem könnten die Ermittlungsarbeiten behindert werden, wenn Hinweise öffentlich in den Kommentarspalten erschienen.

Terrorfahndung bei Twitter

Wie es in Polizeikreisen heißt, wurde die Öffentlichkeitsfahndung wegen der generellen Haltung der Justizbehörde im Fall Amri sofort kategorisch abgelehnt – eine Haltung, die bereits in der Vergangenheit zu Unstimmigkeiten geführt hatte. Das stellt die Justizbehörde anders dar. Wie ein Sprecher sagte, sei der Aufruf zur Fahndung von der Generalbundesanwaltschaft am Mittwochabend gekommen. Am Donnerstagmorgen sei man gefragt worden, ob die Behörde in diesem Fall zu einer Internetfahndung auf den Seiten der Hamburger Behörden rate. Das habe man ausdrücklich befürwortet.

Polizeikreise: Justizbehörde hat Öffentlichkeitsfahndung abgelehnt

Die Justizbehörde betonte intern, Facebook zu einer Abschaltung der Kommentarfunktion für den Polizei-Account bewegen zu wollen. Führende Beamte aus Polizei und Innenbehörde wollen die Möglichkeiten der sozialen Medien für öffentliche Fahndungen hingegen intensiv nutzen. Dazu laufen Gespräche zwischen Innen- und Justizbehörde, bislang ohne Ergebnis.

Nach Abendblatt-Informationen entschied sich der Justizsenator Till Steffen im Fall von Anis Amri erst nach einer ersten Anfrage der „Bild“-Zeitung, mit einer Ausnahmegenehmigung eine Öffentlichkeitsfahndung über die Polizei bei Facebook zu erlauben. Die Justizbehörde und die Behörde für Inneres und Sport hätten aufgrund der herausgehobenen Bedeutung der staatsgefährdenden Straftat „gemeinsam entschieden“, so die Justizbehörde in ihrer Stellungnahme.

Till Steffen: Facebook ist in der Pflicht

Till Steffen sagte am Freitag auf Anfrage, dass der Staat nichts unversucht lassen dürfe, gefährliche Straftäter wie Anis Amri zu fassen – dazu gehörten auch Fahndungen per Facebook. „Gleichzeitig ist Facebook in der Pflicht, seiner Unternehmensverantwortung gerecht zu werden. Mit einem Unternehmen, das nicht bereit ist, Hasskommentare mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten zu verhindern, kann man nicht zusammenarbeiten“, sagte Steffen.

In den Reihen der Polizei sorgt Steffens Haltung für Frust – denn dass Facebook nachgebe, sei unwahrscheinlich. „Wir eiern jetzt im luftleeren Raum herum“, so ein Beamter. Innerhalb der Polizei werde viel über das Thema gesprochen, sagt ein anderer Polizist. „Öffentlichkeitsfahndungen sind extrem erfolgreich. Und wir dürfen das ausgerechnet nicht im Netz, wo wir viele Leute erreichen. Das ist einfach krank.“

Die AfD sprach von einem „unglaublichen und skandalösen Vorgang und forderte die Entlassung Steffens. Der justizpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Richard Seelmaecker, nannte den Senator ein „Sicherheitsrisiko“ und schlug in dieselbe Kerbe: „Es kann doch nicht angehen, dass grüner Datenschutzfetischismus die öffentliche Fahndung nach einem Terrorverdächtigen verzögert. Sollten sich die Vorwürfe gegen Steffen bestätigen, ist er als Senator nicht zu halten.“

Auch der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Gerhard Kirsch, nimmt die Vorwürfe gegen Steffen sehr ernst. „Wenn aus Angst vor Kommentaren die Beamten der Polizei und die Bürger in verstärkte Gefahr gebracht werden, indem der Senator eine umfassende Fahndung verhindert hat, dann muss das Konsequenzen haben.“

Die Argumentation des Senators sei nicht stichhaltig: „Man muss die Beamten schon für absolute Amateure halten, wenn man ihnen nicht zutraut, die Äußerungen auf ihren Seiten zu moderieren“, sagte Kirsch.

Der justizpolitische Sprecher der SPD, Urs Tabbert, sieht es als grundlegend richtig an, nicht vorschnell über soziale Medien nach Tätern zu suchen. „Es gibt aber Situationen, in denen das kein Tabu sein darf – wie offenbar in diesem Fall.“ Tabbert: „Es muss geklärt werden, welche Gründe es für eine Verzögerung gab, ob sie angemessen war."