Altstadt. Bei ihren Arbeiten am Großen Burstah/Ecke Hahntrapp versuchen Archäologen, die Toranlage der Neuen Burg aufzuspüren
Erst war der Bagger im Einsatz. Nicht eben filigran wurden die ersten Schichten des Erdreichs bis in etwa zwei Meter Tiefe abgetragen. Dann geht es mit der Schaufel weiter, schließlich mit der Maurerkelle und vielleicht auch mit dem Pinsel. Je nachdem, welche Geheimnisse die Erde preisgibt – hier im Herzen der Stadt. Es ist nur ein kleines Eckgrundstück am Großen Burstah und Hahntrapp, das jetzt für sechs Monate den Archäologen gehört. Leider mitten im Winter – weil sich der Abriss verzögert hatte, konnte die Grabung nicht wie geplant im August beginnen.
Es ist jedenfalls der wohl geschichtsträchtigste Ort Hamburgs. „Hier wurde vor 1000 Jahren die Neue Burg errichtet und 170 Jahre später auf ihren Trümmern die Neustadt, die den Beginn der Entwicklung zur Handelsmetropole darstellt“, sagt Kay-Peter Suchowa. Er ist Archäologe und Grabungsleiter – und hatte vor zwei Jahren auf dem Nachbargrundstück mit seiner Arbeit für eine kleine Sensation gesorgt.
Damals konnte nachgewiesen werden, dass die Neue Burg der sächsischen Herzöge aus dem Geschlecht der Billunger 40 Jahre älter ist als angenommen und bereits in den Jahren 1021 bis 1024 entstanden war. Doch vor allem konnte er nachweisen, dass eine andere Burg, die sich in allen Geschichtswerken über Hamburg findet, nie existiert hat: die sogenannte Alsterburg.
Wie muss man sich Hamburg zu Beginn des 11. Jahrhunderts vorstellen? Zunächst einmal: klein. Und nicht sehr eindrucksvoll. Kaum 500 Menschen wohnten in der kleinen Siedlung am heutigen Domplatz. Dort stand seit dem 8. Jahrhundert die Hammaburg – eine sehr einfache Konstruktion mit Wällen und Holzpalisaden. Es gab eine hölzerne Kirche und einfache Häuser. Die Burg war immer wieder überfallen und geplündert worden: erst von dänischen Wikingern, dann von Slawen. Nichts deutete darauf hin, dass an diesem Ort mal eine bedeutende Stadt entstehen würde. Vielleicht gab es sogar Überlegungen, die Siedlung aufzugeben. Stattdessen entschlossen sich der Sachsenherzog und der Bischof zur Expansion: Die alte Hammaburg wurde eingeebnet, stattdessen wurde auf der Landzunge nach Osten hin ein Bollwerk gebaut: der Heidenwall. Etwa dort, wo heute das Pressehaus steht. Die anderen drei Seiten waren durch die Alster geschützt.
Herzog Bernhard II. aber betrat weiter südwestlich Neuland. Auf dem Areal, wo heute die Nikolaikirche steht, ließ er eine Neue Burg anlegen – „die größte Ringwallanlage sächsischer Zeit in ganz Norddeutschland“, sagt Suchowa. Ein kleiner Weg und eine Alsterfurt verbanden die Stadtteile miteinander.
Doch auch dieser Neubau hat nichts mit den verbreiteten Vorstellungen einer Ritterburg zu tun. Archäologen sprechen von einer „Holz-Erde-Konstruktion“. Baumstämme wurden in Kastenform, ähnlich der Bauweise eines Blockhauses, angelegt und mit Erde und Kleie verfüllt. „So entstand ein ovalförmiger Wall, zwischen 17 und 27 Meter breit, der rund 3,2 Hektar Fläche umschloss“, erläutert Suchowa. Das ist durch die Grabung nebenan sowie frühere Funde belegt. Und auch bei der neuen Grabungskampagne sind bereits Reste dieser Wallanlage gefunden worden – das ist auch keine Überraschung.
Suchowa hoffte aber auf etwas anderes: die Toranlage. „Ich vermute, dass sie sich etwa dort befunden hat, wo heute die Straße Hahntrapp auf den Großen Burstah stößt“, sagt der 46-Jährige. Und das wäre dann wieder eine kleine Sensation – denn noch nie konnte eine Toranlage einer sächsischen Ringburg rekonstruiert werden. Allzu viel Hoffnung hat der Archäologe nicht mehr. „Bisher sind wir leider auf nichts gestoßen.“
Doch ganz gleich, wie die Verteidigungsanlagen konstruiert waren – unbezwingbar war auch diese Neue Burg keinesfalls. Mindestens einmal wurde auch sie geplündert. „Es war ein Abschreckungsbau, der eine kleinere Gruppen von Raubzügen abhalten konnte – aber keine Armee. Dafür waren Holzbauten zu anfällig, zumal es vermutlich nur eine kleine Besatzung gab“, so Suchowa.
Dass Hamburg in seiner Frühzeit so oft das Ziel von Angriffen war, lag an seiner exponierten Lage. Die Siedlung war nicht nur tiefste Provinz, sondern gewissermaßen der „wilde Norden“ des Deutschen Reiches. Als 1021 mit dem Bau begonnen wurde, war der frühere bayerische Herzog Heinrich II. Kaiser des Deutschen Reiches. Der kämpfte in Süditalien gegen Sarazenen und Griechen und jahrelang gegen das junge polnische Reich, das Meißen und die Lausitz erobert hatte. Um den Norden kümmerte er sich nicht, das war Sache des sächsischen Herzogs. Die Slawen, die zwischen Elbe und Oder und im Norden auch in Ostholstein, Lauenburg und um Lüneburg siedelten, waren aus sächsischer Sicht ein ständiger Unruheherd. Sie selbst sahen sich im Freiheitskampf gegen ihre Unterdrücker, die sie als Menschen zweiter Klasse behandelten.
Schon 983 war ein großer Slawenaufstand ausgebrochen, in dessen Verlauf auch die, wenn überhaupt nur oberflächlich gelungene, Christianisierung rückgängig gemacht wurde. Die Abotriten, die an Ostseeküste und Ostholstein zu Hause waren, schlossen sich erst spät an. Wohl 1018 (mangels eindeutiger Belege ist das umstritten) überfielen sie Hamburg. Das wird der Anlass gewesen sein, die alte Hammaburg aufzugeben und die Großprojekte Heidenwall und Neue Burg anzugehen.
Von den Dänen immerhin hatten die Hamburger in diesen Jahren wenig zu befürchten. Zwar hatte deren König Knut der Große ein riesiges Reich erobert (er herrschte über ganz Skandinavien und England), doch der von 1024 an herrschende Kaiser Konrad II. hatte ein freundschaftliches Verhältnis mit ihm. Er trat ihm das Land nördlich der Eider ab und verheiratete seinen Sohn Heinrich (den späteren Kaiser Heinrich III.) mit Knuts Tochter Gunhild.
Die Burg in Hamburg diente als Schutz gegen Slawen. „Bei ihrem Bau übernahm man interessanterweise die slawische Technik des Wallbaus, die der germanischen überlegen war“, berichtet Suchowa. Ein Beleg für mittelalterlichen Technologietransfer.
Die nun begonnene Grabung könnte vielleicht aber auch noch etwas anderes zutage fördern – nämlich Reste der später entstandenen Kaufmannssiedlung. Wenn Suchowa auch in diesem Punkt schon nicht mehr allzu optimistisch ist. Die Großwetterlage hatte sich um 1180 jedenfalls dramatisch gewandelt. Es ist die Zeit von Kaiser Barbarossa und dem Sachsenherzog Heinrich, den Löwen. Letzterer hatte, bevor er vom Kaiser entmachtet wurde und ins englische Exil musste, einen gnadenlosen Raub- und Eroberungskrieg gegen die Slawen östlich der Elbe geführt und war lange Jahre in einen „Bürgerkrieg“ gegen weite Teile des sächsischen Adels verwickelt. Er hatte aber auch Lübeck gefördert – und die Stadt entwickelte sich rasant zur Handelsmetropole. Die Schauenburger – nach dem Aussterben der Billunger wurden sie Grafen von Holstein und Hamburger Stadtherren – hatten den Löwen zunächst unterstützt, waren aber dann von ihm abgefallen.
Graf Adolf III. war es dann, der die Entwicklung Hamburgs entscheidend voranbrachte. Sein Denkmal steht heute an der Trostbrücke. Er beauftragte in den 80er-Jahren des 12. Jahrhunderts Wirad von Boizenburg als „Projektentwickler“, wie man es heute nennen würde. „Boizenburg muss herausragende Managerfähigkeiten gehabt haben“, sagt Suchowa. Denn ihm gelang es, mindestens 40 Kaufleute und ihre Familien, wahrscheinlich aus Holland, Friesland und Westfalen, anzuwerben, die sich in Hamburg niederlassen wollten. Doch sie stellten eine Bedingung: Sie wollten das „lübsche“, also Lübecker Stadtrecht, das ihnen viele Freiheiten garantierte. Graf Adolf gewährte es gern. Und so schlug 1188 die eigentliche Geburtsstunde der Stadt: Die Burg mit all ihren Bauten wurde aufgeschüttet und mit den Kaufmannshäusern neu bebaut, erhöht wie auf einer Warft, um gegen Sturmfluten geschützt zu sein. „Vielleicht finden wir ja doch noch Reste aus dieser Zeit“, sagt Suchowa. Es wären Fundstücke der Urväter der Handelsmetropole. „Ohne das Wissen, das Netzwerk und das Kapital dieser Kaufleute wäre Hamburg keinesfalls so schnell aufgestiegen.“ Wenn überhaupt.