Altstadt. Abgeordnete der Partei protestieren gegen Abschiebung afghanischer Flüchtlinge – und werden von der Sitzung ausgeschlossen.
Die drohende Abschiebung afghanischer Flüchtlinge in ihre Heimat hat gestern in der Hamburgischen Bürgerschaft zu einem Eklat geführt. Erstmals seit mehr als 20 Jahren wurden mehrere Abgeordnete von der Sitzung des Landesparlaments ausgeschlossen. Acht der zehn Mitglieder der Linken-Fraktion – unter ihnen die beiden Fraktionschefinnen Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir – wurden des Bürgerschaftssaals verwiesen. Die beiden Abgeordneten Christiane Schneider und Norbert Hackbusch verließen daraufhin freiwillig den Saal.
Protestaktionen während der Sitzung sind verboten
Unmittelbar nach der Eröffnung der Parlamentssitzung, auf der es um den Doppelhaushalt 2017/18 ging, hatten die Linken-Abgeordneten gelbe Schilder mit der Aufschrift „Stoppt Abschiebung nach Afghanistan“ in die Luft gehalten. Da politische Protestaktionen während einer Bürgerschaftssitzung grundsätzlich nicht erlaubt sind, unterbrach Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit die Zusammenkunft der Parlamentarier und berief den Ältestenrat sowie das Präsidium ein.
Nach einer fast einstündigen Unterbrechung verkündete Veit die Entscheidung. „Mittel der Auseinandersetzung der Abgeordneten im Parlament sind Debatten und Abstimmungen“, sagte die Bürgerschaftspräsidentin. „Einschüchternde Aktionen gehören nicht dazu.“
Abschiebung von 50 afghanischen Flüchtlingen
Der „offensichtliche, geplante und erhebliche Missbrauch des Parlamentes als Plattform des öffentlichen Protestes, getragen von großer Uneinsichtigkeit, führte zu der Entscheidung, die Abgeordneten Boeddinghaus, Özdemir, Celik, Dolzer, Hannemann, Jersch, Yildiz und Sudmann gemäß Paragraf 48 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung wegen einer gröblichen Verletzung der Ordnung des Hauses von der heutigen Sitzung auszuschließen.“
Hintergrund der Linken-Aktion war die für den Abend geplante erstmalige Abschiebung von 50 afghanischen Flüchtlinge – darunter acht bis zehn Personen aus Hamburg – von Frankfurt/Main nach Kabul. Neben Hamburg beteiligten sich Bayern und Nordrhein-Westfalen an der Sammelabschiebung. Die Ausländerbehörde verwies auf einen Aufruf des Bundesinnenministeriums. „Dieser Empfehlung wird nun nachgekommen“, sagte der Behördensprecher Norbert Smekal. Bis zu diesem Frühjahr hatte Hamburg – unabhängig vom Ergebnis eines Asylantrages – jegliche Abschiebungen nach Afghanistan abgelehnt. Innensenator Andy Grote (SPD) hob die „Senatorenregelung“ des früheren CDU-Innensenators Christoph Ahlhaus auf.
Linken-Abgeordnete verteidigte Protestaktion
Die Linken-Abgeordnete Heike Sudmann verteidigte ihre Protestaktion. „Wir haben in den vergangenen drei Tagen alles versucht, die Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan zu verhindern.“ Letztlich sei das Hochhalten der Plakate „der Not geschuldet“ gewesen, weil die Abschiebung kurz bevor gestanden habe.
Bei den anderen Fraktionen stieß die Aktion der Linken dagegen auf Verärgerung. „Hätte die AfD Plakate hochgehalten, wäre die Linke die erste gewesen, die den Ausschluss gefordert hätte“, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Man habe im Ältestenrat versucht, Brücken zu bauen. „Ein Wort des Bedauerns auszusprechen oder Wiederholungen auszuschließen – dazu war die Linke nicht bereit.“
Grünen-Fraktionschef spricht von kalkuliertem Tabubruch
Der CDU-Fraktionsvorsitzende André Trepoll sprach von einer „Störaktion durch Abgeordnete der Linken“, die ein „kalkulierter Tabubruch“ gewesen sei. „Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Das Parlament ist geschützter Ort für das zivilisierte Ringen um die richtigen Entscheidungen für die Menschen in unserer Stadt.“
Grünen Fraktionschef Anjes Tjarks warf der Linken vor, „wohl kalkuliert parlamentarische Tabus gebrochen“ zu haben. „Die Linke hätte heute eine Änderung der Tagesordnung beantragen können, wenn es Ihnen um die Sache gegangen wäre.“ Allerdings hätte er sich „eine weniger weitreichende Strafe vorstellen können“.
Zuletzt war im April ein Abgeordneter – das ehemalige AfD-Fraktionsmitglied Ludwig Flocken – von der Bürgerschaftssitzung ausgeschlossen worden, weil er in einer Rede vor dem Parlament sich abfällig über Muslime geäußert hatte. Seinerzeit war es die Linke gewesen, die eine Sitzung des Ältestenrates beantragt hatte.
Abschiebungen sorgen für Streit in der Koalition
In der Hamburger Regierungskoalition sorgte die Abschiebung der afghanische Flüchtlinge am Mittwoch für Streit. „Während das Auswärtige Amt Alarm schlägt und vor Gewaltakten in ganz Afghanistan warnt, veranlasst der Innenminister Abschiebungen in angeblich ‘sichere Regionen’ des Landes“, sagte die Landesvorsitzende der Grünen, Anna Gallina. Sie wäre froh gewesen, wenn Hamburg sich gegen die Empfehlung der Bundesregierung gestellt hätte.
Nach Angaben von Rechtsanwälten wurden mehrere afghanische Flüchtlinge, die bereits für die Abschiebung nach Büren (Nordrhein-Westfalen) gebracht worden waren, durch Anträge bei Gericht in letzter Minute wieder freigelassen wurden – darunter ein christliche Konvertit, dem bei einer Abschiebung womöglich die Todesstrafe gedroht hätte. Daraufhin seien „kurzfristig weitere Afghanen aus Hamburg in die Abschiebehaft gebracht worden“, so eine Anwältin.
Scharfe Kritik an Sammelabschiebung
Scharfe Kritik an der Sammelabschiebung äußert die kirchliche Hilfestelle für Flüchtlinge Fluchtpunkt in Hamburg. „Wir halten es für nicht nachvollziehbar, warum Hamburg sich mit dieser Eile an einer solchen Aktion beteiligt“, sagte Berater Heiko Habbe. „Zumindest auf den Lagebericht der Bundesregierung hätte man warten müssen, bevor man voreilig abschiebt. Andere Bundesländer wie etwa Schleswig-Holstein halten sich ja auch daran“, so Habbe.
Seiner Einschätzung nach gibt es derzeit keine sicheren Regionen in Afghanistan. Es werde nicht überall im Land ständig gekämpft, die Fronten änderten sich aber oft. Auch um in eine ruhigere Region zu kommen, muss man Taliban-Gebiete durchqueren.
Ähnlich äußerte sich der Flüchtlingsrat Niedersachsen, der die Abschiebeaktion als „puren Zynismus“ bezeichnete. „Offenbar will Bundesinnenminister de Maiziére durch möglichst martialische Bilder einen Abschreckungseffekt auf Flüchtlinge erzielen. Damit verkehrt sich die noch vor Jahresfrist allerorten verkündete ‘Willkommenspolitik’ endgültig in ihr Gegenteil“, heißt es in einer gestern veröffentlichten Stellungnahme.
In Hamburg werden derzeit etwa 430 abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan geduldet. Rund 8.000 afghanische Flüchtlinge befinden sich in einem laufenden Asylverfahren.