Hamburg. Stadt will Winternotprogramm sichern – und geht gegen illegale Nutzer vor. Sozialverbände lehnen das ab

Friederike Ulrich

Die Stadt geht verstärkt gegen unberechtigte Nutzer des Winternotprogramms vor – und gerät damit offenbar in einen massiven Konflikt mit Hamburgs Sozialverbänden. So wurden nach Auskunft des zuständigen Unternehmens „Fördern & Wohnen“ (F&W) bereits Menschen aus Osteuropa, die in Obdachlosenunterkünften übernachten wollten, an Hostels verwiesen – wo sie nach Abendblatt-Informationen die Übernachtung selbst bezahlen mussten. Wie berichtet, habe die Sozialbehörde festgestellt, dass viele dieser Migranten, die häufig aus Rumänien zum Betteln nach Hamburg kommen, einen festen Wohnsitz in ihrer Heimat hätten. Da das Winternotprogramm aber ausschließlich für „echte“ Obdachlose vorgesehen ist, wolle die Stadt hier stärker eingreifen.

„Wir kümmern uns um Menschen, die unfreiwillig obdachlos sind und das aus eigener Kraft nicht ändern können“, sagte Susanne Schwendtke, Sprecherin von F&W. Wer eine Wohnung in seiner Heimat habe, sei eben nicht unbedingt auf den Erfrierungsschutz in Hamburg angewiesen.

Nach Aussagen von Hilfseinrichtungen werden derzeit in den Einrichtungen des Winternotprogramms gezielt Menschen aus Rumänien zu Gesprächen zitiert und nach Wohnsitzen in ihren Heimatländern befragt. Haben sie dort ein Zuhause, dürften sie das kostenlose Übernachtungsangebot der Stadt nicht in Anspruch nehmen.

Die Diakonie fürchtet, dass das Vorgehen negative Konsequenzen haben könnte. „Wir sind sehr besorgt“, sagt Landespastor Dirk Ahrens. Der Geschäftsführer der Wohnungslosen­stelle „Hoffnungsorte Hamburg“, Ulrich Hermannes, hat bereits eine Tonverschärfung ausgemacht: „Die Beratung für EU-Bürger aus Osteuropa auszubauen, ist im Prinzip eine gute Sache. Was wir aber zurzeit von unseren Sozialberatern vor Ort hören, ist eher das Gegenteil: Insbesondere Rumänen werden innerhalb des Winternotprogramms mithilfe von Dolmetschern nach Ausweis und Wohnsitz befragt – mit dem Ziel, sie zu einer unverzüglichen Rückkehr ins Heimatland zu drängen.“ Straßensozialarbeiter Johan Grasshoff bestätigt das. „Die rumänischen Gäste werden gezielt angesprochen und fühlen sich zum Teil unter Druck gesetzt. Mit einer freiwilligen Perspektivberatung hat das meiner Ansicht nach nichts zu tun.“

Gleichzeitig weist Schwendtke auf die Wichtigkeit der Beratungsgespräche hin. „Viele Menschen aus Osteuropa kommen mit hohen Erwartungen, die nicht der Realität entsprechen. Sie werden darauf hingewiesen, dass sich ihre Vorstellungen nicht erfüllen, und sie werden bei der Rückfahrt in ihre Heimat unterstützt.“ Häufig sähen die Nicht-Berechtigten nach den Gesprächen ein, dass eine Rückkehr die bessere Option sei. Wer dafür entscheide, dürfe im Winternotprogramm bleiben, bis der Antrag bearbeitet sei.

Was einige Hilfsstellen befürchten: Die stärkere Kontrolle im Winternotprogramm könnte dazu führen, dass auch Obdachlose die Quartiere abends nicht mehr aufsuchen. „Bei Minusgraden Menschen so unter Druck zu setzen, dass sie diesen Schutz wieder verlassen und zurück auf die Straße gehen, ist absurd – und lebensgefährlich für die Betroffenen“, sagt Birgit Müller, Chefredakteurin des Straßenmagazins „Hinz & Kunzt“. Wenn dies Methode werde, nehme der Senat sogar Kältetote in diesem Winter „billigend in Kauf“.

Der Senat betont, das Winternotprogramm stehe nach wie vor allen Bedürftigen offen. Die Obdachlosen müssten sich an den Quartieren des Winternotprogramms nicht ausweisen – wenn offensichtlich sei, dass sie keine Bedürftigen seien, würden die Mitarbeiter aber verstärkt nach persön­lichen Hintergründen fragen, so Sozialbehörden-Sprecher Marcel Schweitzer.

Die Gruppe der Obdachlosen ist heute sehr heterogen

Aus dem Behördenumfeld heißt es, ein stärkeres Augenmerk auf möglichen Missbrauch der Schlafplätze komme den bedürftigen Obdachlosen zugute und werde von diesen begrüßt. Dagegen würden Beschwerden über strikte Kontrollen eher das Risiko bergen, dass Menschen auf der Straße übernachteten. „Solche Gerüchte sind in der Praxis ein enormes Problem“, heißt es aus der Sozialbehörde.

Sozialarbeiter Grasshoff sieht das Verhalten der Behörden kritisch: „Man sollte nicht zwischen richtigen und falschen Obdachlosen unterscheiden.“ Den traditionellen Landstreicher gebe es nicht mehr. Die Gruppe der Obdachlosen sei sehr heterogen – „jünger, weiblicher und internationaler“. Dass die rumänischen Bettler in den Fokus geraten sind, kann er nicht verstehen: „Es dürfte keine große Gruppe sein, die das Winternotprogramm für sich in Anspruch nimmt.“