Hamburg . Viele Händler müssen vor allem seit dem Sommer herbe Umsatzrückgänge verkraften. Aber es gibt auch positive Signale.
Das Wetter ist gut – mild und trocken – und die Vorweihnachtszeit hat begonnen. Unter solchen Bedingungen hätte noch vor ein paar Jahren auf dem Fuhlsbüttler Wochenmarkt reger Betrieb geherrscht. Heute allerdings gibt es hier kaum noch Gedränge: Besonders mittwochs sind die Schlangen vor den meisten Gemüse-, Fleisch- und Käseständen kurz.
Am Freitag ist der Markt am Ratsmühlendamm zwar besser besucht. Doch insgesamt hat sich seine Fläche stark verkleinert. Die Händler sind mit ihren Ständen zusammengerückt. Auf der Fläche, die dadurch am Rande des Marktplatzes frei wird, parken sie jetzt ihre Autos.
Auf dem Fuhlsbüttler Wochenmarkt verkauft auch Wilfried Thal, Gemüsebauer aus dem Tatenland, seit Jahrzehnten seine Produkte. Als Präsident des Landesverbands des ambulanten Gewerbes und der Schausteller in Hamburg weiß er, dass das Schicksal dieses Marktes exemplarisch ist für viele Wochenmärkte in der Hansestadt.
„Vor allem unter der Woche sehen wir häufiger Lücken auf den Wochenmärkten. So etwas gab es früher nicht. Das bereitet uns Sorgen.“ An manchen Tagen blieben bis zu 15 Prozent der Marktflächen frei. Auf dem Markt an der Grundstraße in Eimsbüttel war mittwochs zuletzt sogar so wenig los, dass er gestrichen wurde. Deshalb findet dieser Markt seit Anfang 2016 nur noch sonnabends statt. Das sei symptomatisch, sagt Wilfried Thal: „Eine gute Auslastung erreichen viele Hamburger Wochenmärkte nur noch am Wochenende.“
Seit 2006 ging der Umsatz um ein Drittel zurück
Der Verbands-Präsident schätzt, dass die Märkte in den vergangenen zehn Jahren mehr als ein Drittel ihrer Umsätze verloren haben. Besonders miserabel sei das Geschäft 2016 gelaufen: „Es liegt ein ganz schlimmes Jahr hinter uns“, sagt er. „Vor allem seit den Sommerferien gab es eine merkliche Kaufzurückhaltung.“
Warum gerade im zweiten Halbjahr 2016 viele Kunden fernblieben, kann sich Thal nicht erklären. Er hat aber etliche Vermutungen, woran es grundsätzlich hapert. „Die Wochenmärkte bieten vor allem frische Rohwaren an, die man kochen muss. Zumindest an den Werktagen essen aber immer mehr Menschen überwiegend außer Haus und kochen nicht mehr selbst.“ Begünstigt werde diese Entwicklung dadurch, dass es inzwischen mehr als 50 Prozent Single-Haushalte in der Hansestadt gebe.
Auch die Essgewohnheiten in Familien hätten sich verändert, sagt Thal. „Früher haben Mütter für ihre Kinder gekocht, heute werden die Kleinen in Kitas oder in den Schulen versorgt. Nur an den Wochenenden wird meist noch mit der ganzen Familie gekocht und gegessen.“ Wer nicht mehr kochen will oder keine Zeit dafür hat, muss sich um Angebote außer Haus nicht sorgen: Etliche Restaurants, Imbisse, Lieferdienste und sogar Supermärkte bieten inzwischen einen günstigen Mittagstisch an. Letztere haben zwar auch ein großes Sortiment an frischen Lebensmitteln im Angebot, aber das allein war für die Wochenmärkte zumindest lange nicht bedrohlich.
Doch seit auch die Discounter frisches Obst und Gemüse anbieten – und das zu vergleichsweise niedrigen Preisen – und die Kunden außerdem mit langen Öffnungszeiten locken und aufwendiges Marketing betreiben, sei diese Konkurrenz für die noch etwa 80 Wochenmärkte zu einem ernsten Problem geworden, sagt Thal.
Der Händler Jörg Unterhuber, der in dritter Generation auf Wochenmärkten Fleisch- und Räucherware verkauft, bestätigt das. „Kleine und mittelständische Betriebe wie wir können nicht mehr mithalten.“ Als Vollhersteller hat sein Unternehmen stets Fleisch auf dem Großmarkt besorgt und verarbeitet. Katenschinken, Kasseler, Speck – rund 60 Wurstwaren umfasst das Sortiment. „Unser Stückgutpreis liegt natürlich weitaus höher als jener der großen Handelsketten“, sagt er.
Lage allein entscheidet nicht
Gründe seien die höheren Einkaufspreise für Unternehmen mit geringeren Abnahmezahlen, aber auch die durch die Einführung des Mindestlohns gestiegenen Personalkosten. „Für uns liegen diese im Verhältnis zum Umsatz bei 40 Prozent, für die Discounter im einstelligen Bereich“, sagt Unterhuber. Die Stückgutkosten ließen sich so kaum noch halten. Die Folge: Keines der rund 20 Familienmitglieder sei bereit, die Herstellung fortzuführen. Daher werde er diesen Geschäftszweig nächstes Jahr wohl aufgeben.
Zwar zeigt sich Wilfried Thal zufolge, dass es für etliche Wochenmärkte in einkommensschwachen Vierteln zunehmend schlechter läuft, während viele Wochenmärkte in einkommensstarken Vierteln wie der Isemarkt in Harvestehude weiterhin florieren, zumindest am Wochenende. Die Lage allein entscheide aber nicht zwangsläufig über den Erfolg eines Wochenmarktes, sagt Sorina Weiland, Sprecherin des Bezirksamtes Hamburg-Mitte. „Der Wochenmarkt in Billstedt etwa ist sehr beliebt und gut besucht. Wenn dort ein Stand wegfällt, gibt es gleich etliche Bewerber, die nachrücken wollen.“
In Billstedt läuft es gut, weil viele Familien selber kochen
Offenbar habe sich der Billstedter Wochenmarkt sehr gut auf die Bedürfnisse der Kunden eingestellt. So sei dort neben frischen Lebensmitteln etwa auch Second-Hand-Kleidung erhältlich. Aus Sicht von Wilfried Thal hat der Erfolg des Marktes auch damit zu tun, dass in dem Stadtteil viele Familien mit Migrationshintergrund leben, in denen es noch üblich ist, auch unter der Woche zu Hause zu kochen.
Im Wettbewerb leichter haben es Marktbeschicker, die ihren Schwerpunkt auf die Produktion von frischen Lebensmitteln legen. Zum Beispiel der Rellinger Hof, dessen Produkte auf 21 Wochenmärkten sowie in Supermärkten in und um Hamburg verkauft werden: Kruses Hofmilch, nicht homogenisiert und mit Koscher-Zertifikat,
Joghurt, Quark und Käse von Ziege und Kuh. „Wir haben keine Kundenrückgänge“, sagt Mitarbeiterin Ina Koopmann. „Im Gegenteil: Unser Kundenstamm aus jungen, bewussten Käufern wird immer größer.“
Apropos: „In der Generation der 20- bis 30-Jährigen gibt es viele, die sich gesund ernähren wollen und Wert auf frische Lebensmittel legen und auf Produkte von Erzeugern aus der Region – das macht uns Hoffnung“, sagt Verbands-Präsident Wilfried Thal.
Solche Produkte verkauft etwa Siegfried Zahn aus Lüneburg. Nach einem Jahr laufe sein Geschäft kostendeckend, sagt Zahn. In seiner Manufaktur stellt er Fruchtessige, Öle, Chutney, Gemüsefonds, Pestos und Relish her. Diese bietet er zu festen Terminen auf den Wochenmärkten in Fuhlsbüttel, Lohbrügge und Bergedorf an.
Auf anderen Märkten hat Zahn bislang nur Stippvisiten gemacht. „Als Marktbeschicker hat man die Flexibilität, zu sehen, wo man einen Kundenkreis findet“, sagt er. Teuer ist das Ausprobieren nicht. Für seinen drei Meter langen Stand zahlt Zahn rund 15 Euro pro Vormittag. Das sei eine weitere wichtige Funktion von Märkten, findet Wilfried Thal. „Sie können für junge Menschen ohne Eigenkapital ein Weg in den Einzelhandel sein.“
Zu viele Imbisswagen gefährden die Genehmigung
Das gilt auch für die Brüder Picchianti, die in Iserbrook Salsiccia und andere italienische Wurstspezialitäten produzieren. Nach dem Motto „Wenn die Leute nicht zu uns kommen, kommen wir zu ihnen“ verkaufen sie ihre Ware auf vier Wochenmärkten, unter anderem am Turmweg. Dort bieten sie ihre Salsiccia mit Brot und Olivenöl zum Sofortverzehr an – und sind damit ein gutes Beispiel für die Wandlung vom reinen Versorgungs- zum Imbissmarkt.
Wie viele Imbisse auf einem Wochenmarkt stehen dürfen, liegt im Ermessen des jeweiligen Bezirksamtes. Wochenmärkte sollen „Waren des täglichen Bedarfs“ anbieten, heißt es in der Hamburger Verordnung über Wochenmärkte, Volksfeste und Jahrmärkte. Imbisse sind nur geduldet. „Handelt es sich um eine reine Ansammlung von Imbissständen, geht der Wochenmarkt-Charakter verloren“, sagt Sorina Weiland vom Bezirksamt Mitte.
Die Händler am Hopfenmarkt etwa hatten sich bis 2014 ganz auf die Verköstigung ihrer Besucher zur Mittagspause konzentriert. Das Bezirksamt Mitte gewährte eine befristete Sondernutzungserlaubnis nur unter der Bedingung, dass neue, markttypische Stände geschaffen würden. Das misslang. Doch die Imbissbetreiber, für die durch eine Schließung des Marktes ein großer Teil ihres Einkommens weggebrochen wäre, hatten Glück. Pastor Frank Engelbrecht von der nahen Katharinenkirche bot ihnen den Kirchplatz an. Dort findet der Markt nun jeden Dienstag statt.