Anneliese Kuck hat die Geschichte des Stadtteils recherchiert und ist dabei auf Tierspuren gestoßen

„Treppen“, sagt Anneliese Kuck, „spielen eine ungeheure Rolle in Blankenese.“ Wovon sich jeder überzeugen kann, der den Hamburger Stadtteil besucht. Überall in den engen Gässchen und Sträßchen zweigen Treppen ab, die hinunter zur Elbe führen und an denen sich prachtvolle Villen, gediegene Jugendstil- und ehemalige Fischer- und Lotsenhäuser aneinanderreihen. Sie alle sind nach dem Prinzip der „Blankeneser Barmherzigkeit“ gebaut, also so, dass dem Nachbarn der Blick auf die Elbe gewährt bleibt. „Wenn man alle Treppenanlagen zusammenzählt, 55 an der Zahl, kommt man auf etwa 4800 Stufen“, betont sie.

Die Schlesierin, die 1945 als Heimatvertriebene nach Hamburg kam und hier eine neue Heimat gefunden hat, liebt Blankenese und hat sich ausgiebig mit seiner Geschichte befasst. Zum Beispiel hat sie sich immer gefragt, woher das Restaurant Fährhaus Sagebiel eigentlich seinen Namen hat. Dabei stieß sie auf eine spannende Geschichte – die auch wieder mit Treppen zusammenhängt. Anneliese Kuck fand nämlich heraus, dass die „Grube“-Treppe ein Ochsenweg war, auf dem die Viehhändler ihre Herden hinunter zur Elbe trieben. Die Grube war Blankeneses älteste „Straße“ und für den Ochsentransport die wichtigste Verbindung zwischen Dänemark und den Niederlanden – was man daran erkennen könne, dass sich neben der Treppe noch immer ein schmaler, gepflasterter Weg hinaufzieht. „Es war allerdings damals ein Sandweg“, erzählt Anneliese Kuck, „die Treppenstufen gab es noch nicht.“

Die Ochsen seien auf der historischen Handelsroute auf dem Landweg von Dänemark nach Hamburg gekommen. „Die armen Tiere sind täglich bis zu 40 Kilometer Richtung Süden getrieben worden“, berichtet Anneliese Kuck mitfühlend. „Die Männer, die sie begleitet haben, übernachteten manchmal im Fährhaus, das heute ein Restaurant ist.“ Die Aufgabe der Fährleute war es, die Ochsen auf die andere Seite der Elbe zu bringen, das sind etwa drei Kilometer.

Zum Übersetzen der Ochsen benutzte man Prähme, das sind flache, rechteckige Fahrzeuge von 20 Metern Länge und fünf Metern Breite. Zur Bedienung eines Prahms waren acht Mann nötig. Diese Männer waren nicht zimperlich. So klagte ein Händler 1609: „auß lauterm Fravel undt Mutwillen, auch dieselbigen (Ochsen) altzu frue und zeitlich außgesetzes, das also alle 48 Ochsen (...) von dem Wasser wegkgetrieben undt erseufen worden.“ 1497, hat Anneliese Kuck recherchiert, wurden in vier Wochen 8000 Ochsen übergesetzt. Auch Passagiere wollten hinüber: „Wenn sie auf der anderen Seite standen, haben sie sich durch Winken bemerkbar gemacht, was man vom Fährhaus aus sehen konnte.“ Manchmal wurden die Fahrgäste veranlasst, beim Rudern zu helfen, weil die Fährleute ihre Kräfte gut einteilen mussten, denn sie brauchten „Kraftreserven für die Rückfahrt – ist das nicht köstlich?“, erzählt sie begeistert.

Blankenese war erst Teil der schauenburgischen Grafschaft Holstein-Pinneberg, anschließend gehörte es zum Herzogtum Holstein, das ab 1460 von den dänischen Königen verwaltet wurde. Vor dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 war Blankenese dänisch, dann kurz österreichisch und schließlich preußisch. Österreichisch wurde es, weil Österreich neben Preußen eine der Siegermächte war, und preußisch wurde es 1866, als die Preußen die Österreicher vertrieben. Dänisch, österreichisch oder preußisch: Die Ochsen dürfte es wenig interessiert haben, unter wessen Herrschaft sie ihren Ochsenweg gehen mussten. Ideal seien die Wege für die Tiere freilich nicht gewesen, kommentiert Anneliese Kuck. „Im Winter sind sie manchmal ausgerutscht, und dann musste man sie notschlachten.“ Wenn die Ochsen aber doch heil unten angekommen waren, ging es nicht gerade komfortabel für sie weiter. Die Viehhirten hatten alle Hände voll zu tun, darauf zu achten, dass die Tiere nicht ins Wasser fielen. „Waren sie am anderen Ufer angekommen, wurden sie weitergetrieben und zum Verkauf angeboten“, berichtet Anneliese Kuck. „Es gab Ochsenmärkte, auf die sie gebracht wurden.“ Bis 1731 habe man die Ochsen so transportiert. „Damals wurde dann auch aus dem Ochsenweg eine Treppe“, sagt Kuck. „Die ‚Grube‘ war von Sturzbächen vollkommen ausgewaschen und man baute eine hölzerne Treppe. 1766 wurde sie durch eine steinerne ersetzt.“ Und diese eilen jetzt unzählige Touristen hinauf und hinab. Man kann nur sagen, so malerisch Blankenese auch ist: Für den, der nicht gut in Form ist, ist das Emporsteigen – vor allem bei Hitze – eine wahre Ochsentour!