Hamburg. Der Teenieschwarm unterhielt in der Barclaycard Arena 12.000 erst geduldig wartende, dann entzückt kreischende „Beliebers“.

Das Licht erlischt am Montag in der Barclaycard Arena, und der Griff geht in die Jackentasche. Hastiges Gefummel, plopp, plopp. Gerade so eben noch sitzen die Ohrschützer in den Gehörgängen, als Justin Bieber mit den leisen Tönen von „Mark My Words“ in einem Glaskäfig schwebend sein Konzert beginnt. 12.000 Mädchen (und auch einige Jungs) schreien sich – um ein Bild aus Zeichentrickfilmen zu benutzen – Würfel, Fischgräten und Zahnspangen aus dem Hals vor Entzücken.

Es sei ihnen gegönnt. Was gibt es Schöneres als die ersten Konzerte im Leben mit einem der aktuellen Pop-Megastars? Stundenlanges Warten unter Rettungsfolien in der Eiseskälte vor peniblen Einlasskontrollen, das Verteidigen der besten Plätze vor der Bühne beim Vorprogramm, der Verzicht dafür auf eine Limo und ’ne Pommes, das liebevolle Malen von Plakaten zum Hochhalten im Oberrang – es entlädt sich in einem kollektiven Aufschrei.

Ohrschützer bei Bieber-Konzert alternativlos

120 Euro haben die Ohrschützer, eine Spezialanfertigung aus dem Fachhandel, seinerzeit gekostet. Gebraucht wurden sie nur einmal. Nicht in Wacken. Und auch nicht bei Motörhead oder Manowar, den geprüft lautesten Bands der Welt. Sondern 2010 bei Tokio Hotel in eben derselben Halle wie bei Justin Bieber.

Ein kurzes Rausnehmen nach dem dritten Song „Get Used To It“ zeigt, dass sie ihr Geld (60 Euro günstiger als das teuerste Bieber-Ticket) wert sind. Es ist kein Kreischen, das ins Ohr dringt, sondern irre lautes weißes Rauschen wie bei einem alten, schlecht eingestellten Fernseher. Die Ohren der Deerns, die das gut 130 Minuten lang ohne Gehörschutz mitmachen, können einem nur leidtun. Also in den Liedpausen zumindest. Justin Bieber ist ja anders als die Beatles 1965 im Shea Stadium auch mal zu hören, wenn er „Boyfriend“ oder „No Sense“ zum Besten gibt.

Teenys machen Handy-Videos

Moderner Pop zwischen Electro, Ballade, R’n’B und Dance, der das Rad nicht neu erfindet, aber durch die mit vielen technischen Raffinessen aufwartende Show unterhält. Laser und LED, der gute alte Bühnennebel, mehr ist mehr in der Arena. Nahbar und präsent ist Bieber trotz einiger geschüttelter Fanhände anfangs nicht gerade. Er spult in der ersten Hälfte im Vergleich mit anderen Megastars wie Lady Gaga oder Adele hier sicht- und hörbar sein Programm ab. 20 Minuten Pause nehmen auch etwas Dynamik aus dem Abend.

Aber vier weltweit aus den Händen gerissene Platin-Alben sprechen zumindest für das merkantile Talent des erst 22 Jahre jungen Kanadiers, der vor zehn Jahren über selbst produzierte YouTube-Videos seine ersten von Millionen Fans um sich versammelte. 90 Millionen Follower auf Twitter hat er derzeit, nur Katy Perry folgen mehr. Eine Währung, die mittlerweile wichtiger scheint als verkaufte Alben und Singles, obwohl Bieber seinen „Beliebers“ auch satte 100 Millionen Tonträger ans Herz gelegt hat.

Es blitzt und glitzert auf den opulent illuminierten Hebebühnen, Tänzerinnen und Tänzer schwirren um Bieber und Band herum wie Planeten um ihre Sonne, die mit Hunderten Handy-Displays um die Wette strahlt. „As Long As You Love Me“ singt Bieber, der für einen Teenagerschwarm eine bislang erstaunlich lange Karriere hingelegt hat. So lange sie ihn lieben, bleibt er im Zenit und kann sich auch mal einen Ausraster leisten, der immer neues Futter sowohl für die Beliebers als auch seine Neider liefert.

Justin Bieber lobt hübsche deutsche Mädchen

Und auch wenn man kein Fan ist, gibt es interessante Details zu entdecken. Man würde zum Beispiel den Nebenfrauen im Innenraum gern erzählen, dass das Logo der "Purpose Tour“-Shirts von den Altrockern Pentagram inspiriert ist, die vor drei Tagen beim Metal Hammer Paradise Festival auftraten. Aber die Fans haben nur Augen für Biebers beachtlich erwachsen gewordenen, gut trainierten Körper. Dass die Stimme besonders bei tanzintensiven Nummern vom Band kommt – geschenkt.

Als Bieber eine kurze Fragerunde startet und Deutschland und die vielen hübschen Mädchen lobend erwähnt, erreicht der Kreischlevel neue Höhepunkte. Die zweite Hälfte nimmt mit mehr Fannähe, "Children", dem 12.000er-Chor "Let Me Love You" und dem emotionalen "Live Is Worth Living" Fahrt auf. Bieber lacht, scherzt und entfesselt mit "What Do You Mean?", "Baby" und "Purpose" das finale Pop-Feuerwerk. Noch ein letztes pumpendes "Sorry" und die mittlerweile heiseren Kehlen können sich endlich erholen. Hauptsache ihr hattet Spaß!

Tokio Hotel spielt übrigens im März im Docks. Falls das noch jemanden interessieren sollte.