Hamburg. Debatte über Konflikte in der Türkei: Alle Fraktionen zeigen Solidarität mit verhafteten Oppositionspolitikern.
Deniz Nakihatte sich schon auf „das Schlimmste“ eingestellt, als ihn am Dienstag die gute Nachricht überraschte: Er muss doch nicht ins Gefängnis. Ein Gericht in der südosttürkischen Großstadt Diyarbakir sprach den kurdischstämmigen Fußballprofi, der früher beim FC St. Pauli gekickt hatte, vom Vorwurf der Terrorpropaganda frei. Fast zum Verhängnis geworden war dem 27-Jährigen, dass er im Januar den Siegtreffer in einem Pokalspiel seines Clubs Amed SK den Tausenden Opfern des Kurdenkonflikts gewidmet hatte.
Der Fall Naki weist zwei Besonderheiten auf: Erstens scheint der internationale Protest gegen die Anklage nicht ohne Wirkung geblieben zu sein. Unter anderem hatten sich die Spieler des FC St. Pauli in einem Testspiel gegen Werder Bremen alle mit „Naki“-Shirt aufgewärmt. Zweitens wirft der Fall ein Schlaglicht darauf, wie sehr die Entwicklungen in der Türkei ein Land wie Deutschland und eben auch eine Stadt wie Hamburg berühren – Naki hat in der Hansestadt noch viele Freunde, seine Familie lebt in Düren (NRW).
160 Medien in Türkei verboten
Daher hatte die Linkspartei in der Bürgerschaft für die Aktuelle Stunde am Mittwoch das Thema „Erdogan beseitigt die Demokratie – Solidarität mit verfolgten Abgeordneten und Demokraten auch in Hamburg“ angemeldet. Und nachdem der türkische Staatspräsident zuletzt mit der Verhaftung von Politikern der oppositionellen Partei HDP für Aufsehen gesorgt hatte, übten alle sechs Fraktionen scharfe Kritik an dem Regime. Eine „Solidaritätserklärung“ an die betroffenen HDP-Politiker hatten bis zum Abend mehr als 90 der 121 Abgeordneten unterzeichnet.
37.000 Menschen seien in der Türkei festgenommen worden, mehr als 100.000 Staatsbedienstete entlassen worden, 160 Medien verboten. Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Grund- und Menschenrechte gelten nicht mehr, zählte Sabine Boeddinghaus, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, auf: „Damit dirigiert Erdogan die Türkei in die Diktatur.“ Und das habe „natürlich“ Auswirkungen auch auf Hamburg, wo rund 100.000 Menschen mit türkischen Wurzeln leben, unter ihnen viele Kurden, Aleviten und Angehörige anderer Minderheiten.
SPD verweist auf Folgen für Hamburg
Menschen wie Deniz Naki eben. Sein Prozess, den die Kovorsitzende der Linksfraktion, Cansu Özdemir, vor Ort in Diyarbakir verfolgt hatte, habe gezeigt, „dass Solidarität und eine kritische Öffentlichkeit Wirkung entfalten können“, sagte Boeddinghaus.
Auch der SPD-Abgeordnete Kazim Abaci verwies auf die Folgen für Hamburg: Er wisse von Kritikern der Regierungspartei AKP, dass sie sich aus Sorge um ihre Angehörigen in der Türkei bewusst zurückhalten. „Schon deshalb kann uns der Konflikt nicht kaltlassen“, so Abaci, der selbst in der Türkei geboren wurde. Er redete auch den in Deutschland lebenden Erdogan-Anhängern ins Gewissen, die hierzulande offen für „ihren“ Staatschef auf die Straße gehen: „Es kann nicht sein, dass man die Vorfälle in der Türkei gutheißt und gleichzeitig hier die Vorzüge einer freien und säkularen Gesellschaft genießt – das geht gar nicht zusammen.“
Mit Feliz Demirel (Grüne) begrüßte eine weitere in der Türkei geborene Bürgerschaftsabgeordnete, dass die Hamburger Politik ein „unmissverständliches Zeichen“ setze. Denn Erdogan habe „endgültig alle roten Linien“ überschritten. Dennoch warnte Demirel auch davor, alle Verbindungen zur Türkei zu kappen: „Das wäre der einfachste, aber ein falscher Weg.“
Suding fordert sachliche Zusammenarbeit
Ähnlich sah es FDP-Fraktionschefin Katja Suding: Zwar forderte sie, die Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt zu stoppen. Dennoch plädierte sie für eine sachliche Zusammenarbeit in Themen wie Energie und Terrorismusbekämpfung.
„Ein Staat, der Grundrechte mit Füßen tritt und deren oberster Repräsentant über die Einführung der Todesstrafe nachdenkt, kann nicht EU-Mitglied werden“, sagte auch CDU-Fraktionschef André Trepoll. Trotz der ungewöhnlich harmonischen Grundstimmung übte er vorsichtig Kritik an den Linken, weil die andere Konflikte wie den in der Ukraine oder die „russischen Verbrechen in Syrien“, so Trepoll, nicht thematisieren würden: „Dazu schweigen Sie, das ist nicht konsequent.“ Auch den Versuch von Boeddinghaus, den Wahlausgang in den USA gleich mitzudebattieren, bügelte Trepoll sofort ab: Der künftige US-Präsident Donald Trump und Erdogan seien nicht zu vergleichen.
Alexander Wolf (AfD) kritisierte den türkischen Staatspräsidenten zwar als „neuen Sultan“, warnte aber auch: „Nicht jeder Erdogan-Gegner ist ein Demokrat.“ Sowohl die kurdische Organisation PKK als auch die Gülen-Bewegung, der Erdogan die Verantwortung für den gescheiterten Putschversuch zuschiebt, seien im Visier des Verfassungsschutzes.