Hamburg. Der Hamburger Verfassungsschutz beobachtet die rechte Gruppierung. Durchsuchung bei Mitglied im Kreis Harburg.

In die andere Welt gelangt man über Facebook. 44 Köpfe erscheinen da in einer geschlossenen Gruppe, Pistolenläufe als Profilbilder, Fotos von Actionhelden und Mittelfingern, Artikel über große Verschwörungen. Über die angeblichen Lügen der Bundesrepublik. Über das Deutsche Reich, das es wieder zu errichten gilt. Aus den kruden Ansichten von Einzelnen wächst ein Netzwerk. Und das Phänomen der „Reichsbürger“ reift damit nach Ansicht der Behörden auch in Hamburg zu einer realen Gefahr.

Die teils antisemitischen und fremdenfeindlichen Ansichten der „Reichsbürger“ seien ernst zu nehmen, heißt es vom Verfassungsschutz. Deshalb stehen sie nun offiziell unter Beobachtung. Bereits die gemeinsame Idee der Mitglieder gibt demnach Anlass zur Sorge: Die „Reichsbürger“ leugnen die völkerrechtliche Existenz der Bundesrepublik. An ihrer Stelle wollen sie ein Reich nach alten Grenzen – etwa denen des „Freistaats Preußen“ vom Jahr 1920 – errichten. Mit eigenen Pässen, eigenen Institutionen, eigener Währung.

Senat warnt vor "Reichsbürgern"

„Da die Reichsbürger unserer staatlichen Ordnung feindlich gegenüberstehen, ist die Beobachtung nur konsequent“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) dem Abendblatt. Die „Reichsbürger“ sind die dritte Strömung des rechten Spektrums, die der Verfassungsschutz seit dem Jahr 2014 unter Beobachtung stellte.

Bei der Eingangsprüfung fanden die Beamten auch Erkenntnisse über Rechtsextreme, die sich den Ideen der „Reichsbürger“ verschrieben. Es gebe „inhaltliche und personelle Bezüge“ zwischen Neonazis und den Mit­gliedern der neuen Bewegung, die sich bundesweit eng austauscht. Bekannte Rechtsextreme versuchten, die „Reichsbürger“ zu beeinflussen. Die Szene ist in Hamburg in den vergangenen Wochen aktiver geworden“, sagt Verfassungsschutz-Chef Torsten Voß.

Reichsbürger schickten Schreiben an Polizei

Aus den Fantasien im Internet wird reales Handeln. Nach Abendblatt-Informationen verschickten die „Reichsbürger“ im August ein Schreiben an mehrere Polizeidienststellen im Namen eines „Bundesstaates Freie und Hansestadt Hamburg“. Darin bringen sie ihre Ablehnung für den Staat zum Ausdruck. Außerdem wurden Flyer mit der Aufforderung verteilt, Hamburger mögen eine Staatsbürgerschaft für den „Bundesstaat“ beantragen. Aus Sicherheitskreisen heißt es, dass die Szene von 50 Personen in Hamburg weiter wachsen könnte. Den Verfassungsschützern liegen Erkenntnisse über mehrere regelmäßige Stammtische vor.

Die „Reichsbürger“ fallen im Alltag vor allem dadurch auf, dass sie sich weigern, Steuern und Gebühren zu zahlen. Bislang sind in Hamburg keine Gewalttaten durch Mitglieder der Szene bekannt. Die tödlichen Schüsse eines „Reichsbürgers“ auf einen Polizisten vor zwei Wochen in Bayern haben aber bundesweit die Behörden alarmiert. Erst am Mittwoch stürmte das Sondereinsatzkommando das Haus des „Reichsbürgers“ Udo W. in einem Gewerbegebiet in Neu Wulmstorf (Landkreis Harburg).

Hinweise für Produktion eigener Ausweise

Die Behörden hatten dem 67-Jährigen zwei Waffenbesitzkarten für Gewehre und Pistolen entzogen. Da Udo W. die Waffen nicht freiwillig herausgab, stellte die Behörde eine Anzeige und stellte nun mehrere Gewehre und Pistolen bei der Durchsuchung sicher. Schon im Juli trafen zwei Polizeibeamte bei einer Verkehrskontrolle zufällig auf den 67-Jährigen und seine 72 Jahre alte Lebensgefährtin. Udo W. sagte den Polizisten, sie hätten keine Befugnis zu einer Kontrolle, da er nicht Bundesbürger, sondern „Reichsbürger“ sei. Die Beifahrerin verletzte bei der Kontrolle eine Beamtin leicht am Arm und gab eine falsche Identität an. Deshalb laufen weitere Ermittlungen in dem Fall.

Nach Abendblatt-Informationen sollen die „Reichsbürger“ zeitnah bundesweit unter Beobachtung gestellt werden. Eine Internetseite der Bewegung hat Hinweise für die Produktion eigener Ausweise veröffentlicht, da die Zahl der Einzelanfragen „nicht mehr zu bewältigen“ sei. Die Preise für die Dokumente des Deutschen Reiches sind bei den Gruppen in Reichsmark angegeben – mit dem Zusatz, dass es sich um eine reine Vergleichsgröße handelt. Auch in der anderen Welt wird bitte ausschließlich in Euro bezahlt.