Hamburg. Der Schauspieler Götz Otto las in der Kriegsgedenkstätte Passagen aus Hitlers Werk. Ein Wissenschaftler ordnete die Texte ein.

Noch vor wenigen Jahren wäre eine derartige Veranstaltung schwer vorstellbar gewesen. Ein deutscher Schauspieler liest in einer Kriegsgedenkstätte minutenlang aus dem Buch „Mein Kampf“ von Adolf Hitler. Gestern Abend hatte die der FDP nahe stehende Friedrich-Naumann-Stiftung in das Mahnmal St. Nikolai zu einer entsprechenden Veranstaltung geladen.

Der Schauspieler Götz Otto las insgesamt drei Passagen aus Hitlers „Mein Kampf“. Roman Töppel, Mitherausgeber der Anfang dieses Jahres erschienenen kritischen Edition von „Mein Kampf“, ordnete diese Passagen aus wissenschaftlicher Sicht ein. Damit gelang den Veranstaltern eine anschauliche Umsetzung des jüngst erschienenen Buches.

Lesung mit anschließender Einordnung

Gut 90 Gäste waren gekommen und es wurde ein ungewöhnlicher wie eigenwilliger Abend. Götz Otto las die Texte ernsthaft und zugleich mit einer Intensität, die die Ungeheuerlichkeit des Textes noch verstärkte. Der Schauspieler gewährte dem Zuhörer so auf erschreckend nachvollziehbare Art „Einblick“ in das Denken Hitlers. Otto vermied es, die bekannte Sprechweise Hitlers nachzuahmen. Das war angemessen und verstärkte die Wirkung der Texte.

„Eine klassische Podiumsdebatte wäre uns zu dröge gewesen“, sagte Kay Ehrhardt, Programmreferent der Naumann-Stiftung, dem Abendblatt. „Uns schien die öffentliche Lesung einzelner Passagen des Buches und die anschließende Einordnung der bessere Weg.“ Götz Otto meinte, aus diesem Buch öffentlich zu lesen und es zugleich einzuordnen, sei genau die richtige Art und Weise, sich mit diesem Buch auseinanderzusetzen.

Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“, das zu Zeiten des Nationalsozialismus zu jedem Haushalt gehörte, war sei dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs im Jahr 1945 nicht mehr veröffentlicht wurden. Dafür hatte der Freistaat Bayern, dem die Amerikaner die Urheberrechte übertragen hatten, gesorgt. Allerdings wurde das Buch Ende 2015 gemeinfrei. Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) veröffentlichte im Januar dieses Jahres eine wissenschaftliche Edition des Hitlertextes zusammen mit rund 3.500 Anmerkungen und Einordnungen. Mit mehr als 80.000 verkauften Exemplaren gilt das 59 Euro teure Buch inzwischen als Bestseller und ist bereits in fünfter Auflage erschienen.

Zwiespältiges Gefühl bei den Besuchern

Zunächst ging es um Hitlers Zeit in Wien, in der er nach eigener Darstellung zum unnachgiebigen Antisemiten wurde. Diese Passage sollte die Herausforderung für die Forschung verdeutlichen, weil es aus jener Zeit wenige Quellen gebe, sagte Töppel. Allerdings sei es inzwischen belegt, dass Hitler in Wien „gar nicht so antisemitisch“ gewesen sei. „Er hat nachweislich freundschaftliche Beziehungen zu Juden unterhalten“, sagte Töppel. Zudem zeige die Passage, dass Hitler Gefühle benutzte, um seine Botschaft den Menschen zu vermitteln.

Die zweite Passage aus dem Kapitel „Volk und Rasse“ machte deutlich, dass schon bei Erscheinen der politisch-ideologischen Programmschrift Adolf Hitlers in den zwanziger Jahren klar war, wohin der Faschismus führen würde. Die Kampf- und Propagandaschrift sollte nicht nur zum Neuaufbau der NSDAP als zentral gelenkte Partei unter Hitlers Führung dienen. Vielmehr sei schon damals, also Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten klar gewesen, dass Hitler in den Juden den Hauptfeind sah. „Das ganze Buch durchzieht ein Horrorszenario, was passiert, wenn der Jude gewinnt“, sagte Töppel. Zwar sage Hitler in seinem Buch nicht, was mit dem jüdischen Volk passieren solle. Aber er bereite - zumindest gedanklich - bereits hier die Vernichtung des jüdischen Volks vor. Vieles, was Hitler seinerzeit behauptet habe, sei damals schon zu widerlegen gewesen.

Mit der dritten Passage, in der es um die Volksgemeinschaft und „nationalem Fühlen“ ging, wollten die Veranstalter Ähnlichkeiten zwischen „Mein Kampf“ und heutigen Populisten darstellen. Die Richtigkeit der Propaganda sei ausschließlich an ihrem Erfolg zu messen, heißt es beispielsweise bei Hitler. Er habe Menschen aus anderen politischen Lagern Anknüpfungspunkte angeboten: „eine Mischung aus Halbwahrheiten, Dingen, denen die Menschen zustimmen konnten, und platten Lügen“.

Am Ende der Lesung blieb bei dem Besucher ein zwiespältiges Gefühl zurück. Auch deshalb, weil Töppel offen einräumte, dass es manchmal schwer sei, Hitlers Halbwahrheiten zu widerlegen. Allerdings verhinderte die eindringliche Art, mit der Otto die Auszüge las, eine früher kritisierte „fahrlässige Unterschätzung“ des Buchinhalts.