Rotherbaum. 16-Jähriger hinterrücks erstochen – keine Hinweise auf Beziehungs- oder Raubtat. Polizisten finden im Bereich um den Tatort nur ein blutgetränktes Taschentuch
Passanten und Jogger durchqueren am Montagmorgen den kleinen Tunnel unterhalb der Kennedybrücke – es herrscht Alltag an der Alster. Erst als gegen Mittag die Ermittler der Mordkommission ein weiteres Mal anrücken, offenbart sich auch Nichtsahnenden, dass das beschauliche Alsterufer zum Schauplatz eines Verbrechens geworden ist. Erst vor wenigen Stunden ist hier ein junger Mann gestorben: Viktor E., gerade 16 Jahre alt. Er soll von einem bisher unbekannten Mann heimtückisch ermordet worden sein.
Gegen 11.30 Uhr suchen Polizeitaucher den Bereich rund um den Tatort ab, Bereitschaftspolizisten durchkämmen die Grünanlagen. Die Tatwaffe, vermutlich ein Messer, finden die Beamten nicht; dafür entdecken sie in einem Mülleimer ein blutgetränktes Taschentuch. Schräg gegenüber vom Tatort befragt ein Polizist Obdachlose, die an der Kennedybrücke ihre Zelt aufgeschlagen haben. Haben sie etwas gesehen?
Es ist ein Fall voller Rätsel, voller Ungereimtheiten. Einer, der die Ermittler selten ratlos zurücklässt: Ein 16-Jähriger kuschelt mit seiner Freundin (15) am Alsterufer – und wird wie aus dem Nichts hinterrücks erstochen. Die Freundin verschont der Täter indes, wirft sie aber nach der Bluttat in die Alster. Glücklicherweise kann sich das Mädchen aus eigener Kraft ans Ufer retten. Nach medizinischer Erstversorgung wird es noch am Tatort zum Tathergang befragt. Zwar werde „in alle Richtung“ ermittelt. Doch bisher habe die Staatsanwaltschaft keinen Anlass, an ihrer Version zu zweifeln, sagt Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Die Ermittler beschäftigt nun vor allem die Frage nach dem Warum. Ein Motiv für die Tat ist nicht im Ansatz erkennbar. Zwischen Täter und Opfer hatte es keinen Streit gegeben; Hinweise auf eine Beziehungs- oder Raubtat liegen nicht vor. Zudem deutet auch nichts darauf hin, dass Viktor E. in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen sein könnte: Der 16-Jährige war nach Abendblatt-Informationen strafrechtlich zuvor nie in Erscheinung getreten.
Die Tat dürfte viele Eltern verunsichern. Rund um die Alster treffen sich vor allem an Wochenenden viele jüngere Leute. Das hatte gerade am Anleger am Jungfernstieg für Probleme gesorgt. Dort hatte die Polizei massiv intervenieren müssen, nachdem im August der Fall eines 20 Jahre alten Ägypters bekannt wurde, der innerhalb kurzer Zeit im Bereich Jungfernstieg und Innenstadt mehrere gefährliche Körperverletzungen, Bedrohungen und Beleidigungen begangen haben soll. Dadurch war bekannt geworden, dass nach Ende der Geschäftszeit der Jungfernstieg Treffpunkt von teilweise problematischen jungen Leuten ist. Neben einzelnen Strafanzeigen hatte es massive Beschwerden von Anliegern gegeben. Dass der Jungfernstieg seit Längerem „Showbühne“ von Autoprotzern ist, war bereits vorher bekannt. Die Polizei hatte deshalb einen fest installierten Blitzer in Höhe Alsteranleger installieren lassen.
Mittlerweile hat sich die Situation beruhigt. „Die Zahl der Beschwerden ist deutlich zurückgegangen“, sagt Polizeisprecher Ulf Wundrack. Die Szene selbst sei, auch bedingt durch das kühle und feuchte Herbstwetter, weitgehend verschwunden. Die Polizei hat Erkenntnisse, dass sich einzelne jüngere Leute aus dem Klientel jetzt im Bereich Alsterarkaden treffen. Das habe aber bislang nicht zu Problemen geführt.