Hamburg. Fitnesskur: Brücken für den A380, Billigfliegergates, neues Jetleitsystem und ein Ende der Einbahnstraßenregelung.

Auf dem Vorfeld des Flughafens überrascht die Idee. „Da können Sie auch das Kompott von Oma lagern“, sagt Jochen Schröder und lacht. Der Mann hat Humor. Er zeigt auf einen eckigen Schacht im Boden. Regale sind zu sehen, dicke Rohre für Kabel verschwinden in der Erde. Gleichmäßig kühl, im Sommer wie im Winter, ist es im Raum. Doch zur Aufbewahrung von Großmutters Früchtecocktail ist er natürlich nicht vorgesehen. Vielmehr ist er wichtiger Bestandteil einer technischen Innovation – aber dazu später mehr.

Seit Anfang März ist der Flughafen in Fuhlsbüttel Dauerbaustelle. Das Vorfeld muss erneuert werden. „Das ist eine Mammutaufgabe“, sagte Flughafenchef Michael Eggenschwiler beim ersten Meißelschlag. Bis zum Jahr 2020 wird sie dauern. Mehr als sechs Millionen Flugzeuge rollten über die 40 bis 60 Jahre alten Betonflächen und hinterließen mit einem Gesamtgewicht von 290 Millionen Tonnen ihre Spuren. 330.000 Quadratmeter Fläche brauchen eine Grundinstandsetzung, umgerechnet mehr als 30 Fußballfelder. 120 Millionen Euro berappt Hamburg Airport dafür.

Doch was passiert dort eigentlich genau? Das Abendblatt sah sich um und sprach mit den beiden wichtigsten Planern. Der eine ist Schröder. Der 45 Jahre alte Bauingenieur ist Gesamtprojekt­leiter Vorfeld 1, wie der Bereich ganz genau heißt. Etwas vereinfacht gesprochen setzt er das um, was sein Kollege Stefan Dechow als Layout entworfen hat. Der 33 Jahre alte Luftfahrtingenieur ist Teilprojektleiter Flugbetrieb für das Vorfeld 1. Die beiden Abteilungen müssen eng zusammenarbeiten, denn die Jets müssen trotz der Bauarbeiten am „Herzstück unserer Infrastruktur“, so Eggenschwiler, landen, zu ihren Parkpositionen rollen und ent- und wieder beladen werden. Beides unter einen Hut zu bekommen sei eine „echte Herausforderung“, sagte Eggenschwiler.

Passagiere müssen deshalb auch mal längere Zeit auf dem Areal im Bus verbringen, um zu den Jets zu kommen. Schließlich fallen Parkpositionen und Gates an den Terminals vorübergehend weg. Bei den Reisenden erfreut sich der Airport dennoch steigender Beliebtheit. 16 Millionen Fluggäste sollen ihn dieses Jahr nutzen. Es wäre erneut ein Rekord. Im September wurden 1,6 Millionen Passagiere gezählt – mehr als je zuvor in der 105-jährigen Geschichte für den neunten Monat. Die Bauausführung macht das Nebeneinander natürlich schwerer. Schröder: „Wenn hier kein Flugbetrieb wäre, könnte man es in der Hälfte der Zeit schaffen.“

Der Zeitplan wurde beim ersten Abschnitt eingehalten. Die 59.000 Qua­dratmeter große Fläche am südlichen Ende des Terminals 2 wurde Ende Juli pünktlich für den Flugbetrieb wieder freigegeben. Gut einen Monat später betraten die Passagiere Neuland. Das neue WiWo(Walk-in-Walk-out)-Gate wurde eingeweiht. Die Fluggäste gehen auf blau markierten Wegen übers Vorfeld zu den Billigfliegern, die diesen Bereich nutzen. Dort sollen sie vorn und hinten gleichzeitig einsteigen und so die Standzeit am Boden verkürzen. Denn Jets verdienen bekanntlich in der Luft Geld.

Die jetzt in der Grundinstandsetzung befindliche zweite Phase startete am 1. August. Über Nacht „wanderte“ die Baustelle einen Tick nach Norden. 37.400 Quadratmeter groß ist der Abschnitt. Der Abschnitt sei mit einer 3,2 Kilometer langen Autobahnbaustelle vergleichbar, sagt Schröder: „Allerdings haben wir das Doppelte an Aushub als bei der A 7.“ Grundsätzlich ist das Vorgehen bei jedem der zehn Abschnitte gleich. In den ersten vier bis fünf Wochen sehe es aus wie auf einer Müllhalde, scherzt man am Flughafen. Es wird gemeißelt und gefräst, das abgetragene Material wird per Lkw abgefahren. Mindestens einen Meter tief wird ausgebaggert. Manchmal schlummern böse Überraschungen unter der Oberfläche. Mehrere Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg wurden auf diesem Abschnitt vor ein paar Wochen gefunden und mussten vom Kampfmittelräumdienst entschärft werden.

Spürhunde schnüffelndie Kieselsteine ab

Rund zwei Monate lang sieht der Bau­abschnitt im Anschluss wie ein großer Sandspielplatz aus. Obwohl auf dem Gelände seit Jahrzehnten der Flug­betrieb läuft, müssen Tragfähigkeitstests gemacht werden. „Was unsere Vorfahren hier gebaut haben, entspricht nicht zwingend mehr den heutigen Vorgaben“, sagt Schröder. Bis zu 1,20 Meter dicke Regenwassersiele werden in den Boden gebracht. Denn natürlich werden auch die Versorgungsleitungen gleich miterneuert. Im Anschluss wird die aus Kiessand bestehende Frostschutzschicht aufgetragen. Das Abkippen der Steine erfolgt übrigens unter den Augen einer Luftsicherheitskontrollkraft. Schließlich liegt die Baustelle im Sicherheitsbereich. Also wird nicht nur jeder der zwischen 30 und 80 Bauarbeiter pro Tag „gefilzt“, sondern auch das Material. Spürhunde schnüffeln an der Wache am Südtor die Kiesel ab. Ein Comeback erlebt der abgeschlagene alte Beton. Er kommt in die 40 Zentimeter dicke Frostschutzschicht, in der die Kabelrohrtrassen verlegt werden. Sie versorgen die Befeuerung mit Strom, für die – und nicht für Omas Kompott – der eckige Schacht gebraucht wird.

Von ihm aus sollen Flughafenmitarbeiter künftig Wartungsarbeiten an einem Leitsystem durchführen, das es weltweit nur an wenigen Flughäfen gibt. „Follow the greens“ heißt es. „Vor dem Piloten leuchten grüne Lampen auf“, sagt Dechow. „Jede Lampe muss betrieblich einzeln angesteuert werden können.“ Auf den acht Kilometern Rollweg werden 1380 LED-Leuchten in den Boden montiert. Genauigkeit ist gefragt, denn die Leuchten müssen genau über den Kabelrohren liegen. Spätestens ab 2020 sollen sie Flugkapitänen den Weg von der Landebahn zu ihrer Parkposition zeigen. Durch intelligente Führung soll ein kontinuierlicher Verkehrsfluss und dadurch kürzere Rollzeiten erzielt werden, sodass Treibstoff gespart wird. Zudem sind Missverständnisse wie bisher beim Sprechfunk ausgeschlossen, die Sicherheit wird dadurch erhöht.

Piloten der Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge werden sich zudem an neue Verkehrsregeln gewöhnen müssen. Und auch Passagiere müssen keine Angst haben, wenn es plötzlich Gegenverkehr gibt. Bisher galt am Flughafen mit dem Kürzel „HAM“ eine Einbahnstraßenregelung. Die neue Rollbahn ist stolze 96 Meter breit. Auf ihr können künftig zwei Airbusse A320 oder Boeing 737 aneinander vorbeifahren. „Das wird uns operativ sehr viel bringen“, sagt Dechow. Beispielsweise können dann auch Flugzeuge zurückgepusht werden, während dahinter ein Jet rollt. Das verkürze die Turnaroundzeit, spare Kerosin und senke den Lärm.

Während die Rollpisten aus Asphalt schon fertig sind, fehlt die oberste Schicht für die Parkflächen. In den letzten Tagen trugen die Arbeiter die 20 Zentimeter dicke hydraulisch gebundene Tragschicht (HGT) auf. Sie besteht aus weicherem Beton, auf dem letztlich eine 40 Zentimeter dicke Betonschicht gebettet wird. „Die oberste Fläche hat die höchste Steifigkeit, damit die Last möglichst breit in den Untergrund abgetragen wird“, sagt Schröder. Aus der HGT ragen die Fundamente für die beiden neuen Doppelfluggastbrücken noch heraus. Mit ihnen macht sich der Flughafen fit für die Abfertigung von großen Flugzeugen wie zum Beispiel dem A380, dem größten Passagierjet der Welt.

Heute starten Betonarbeiten am zweiten Abschnitt

Die Brücken sind flexibel. Bei Großraumjets können sie an zwei Türen angedockt werden, sodass das Ein- und Aussteigen schneller erfolgen kann. Stehen hingegen kleine Flieger wie der A320 oder die 737 auf den Parkpositionen 6 und 7, können sie so bewegt werden, dass jeweils ein Teil an die Vordertür der Jets gefahren wird (siehe Grafik). Der Platz wird künftig damit auch effizienter genutzt, weil die alten Boxen für eine A300 ausgelegt waren. „Beim A320 war zu viel Platz, bei Boeings 777 zu wenig“, so Dechow. Sieben alte „Finger“ wurden abgebaut, werden zum Teil derzeit erneuert und sollen in rund drei Wochen zurück in Hamburg sein. Im ersten Quartal 2017 sollen die Doppelfluggastbrücken in Betrieb gehen.

Bereits am heutigen Montag sollen die Betonarbeiten starten. „Eine Tausende Quadratmeter große Betonplatte würde allerdings wie ein auseinanderbröckelnder Keks aussehen“, sagt Schröder. Daher werden alle fünf Meter Fugen in den Beton geritzt, damit er nicht reißt. Ende November soll der Abschnitt fertig sein – wenn alles planmäßig läuft. Heftiger Frost und Schnee könnten den Zeitplan durcheinanderwirbeln. Schröder: „Ab jetzt sind wir in der Hand der Witterung.“