Hamburg. Neuer Ansatz soll mehr als die Erkrankung nur eindämmen. Doch Vorhaben könnte an fehlenden Geldgebern für erste Probephase scheitern.

Vor der Weltsensation steht ein großes „Wenn“. Im Februar dieses Jahres berichteten Hamburger und Dresdner Forscher über einen „richtungsweisenden“ Ansatz im Kampf gegen das HI-Virus, das die Immunschwächekrankheit Aids auslösen kann. Die Wissenschaftler hatten eine 2007 vorgestellte molekulare Schere so weiterentwickelt, dass sie das Erbgut des Virus aus infizierten menschlichen Zellen herausschneidet – allerdings in Versuchen an Mäusen, denen menschliche Zellen mit HI-Viren implantiert worden waren, sowie an Zellkulturen von HIV-positiven Patienten.

Jährlich zwei Millionen Neuinfektionen

Wenn dieses Verfahren (siehe auch Text rechts) nicht nur im Labor funktionierte, sondern auch im menschlichen Organismus, ließe sich damit womöglich erstmals eine Heilung erzielen, sagte Prof. Joachim Hauber, Leiter der Abteilung Antivirale Strategien am Hamburger Heinrich-Pette-Institut (HPI). Es wäre eine großartige Nachricht für die Betroffenen – zurzeit sind 37 Millionen Menschen weltweit mit dem Virus infiziert; jährlich kommen zwei Millionen Neuinfektionen hinzu.

Zwar wird die Infektion heute im Idealfall mit einer Kombination anti­retroviraler Medikamente behandelt, die das Virus in Schach halten und so den Ausbruch von Aids erheblich verzögern oder verhindern – ein gewaltiger Fortschritt gegenüber den 80er-Jahren, als Ärzte weitestgehend hilflos zusehen mussten, wie die Infizierten irgendwann an den Folgen von Aids starben.

Allerdings müssen Patienten die nunmehr verfügbaren Pillen lebenslang schlucken. Nach längerer Zeit kommt es oft zu Nebenwirkungen. Ganz loswerden können die Betroffenen den Erreger nicht – es sei denn, die in Hamburg und Dresden entwickelte Zell- und Gentherapie erwiese sich auch in klinischen Tests als wirksam und gut verträglich.

Forscher suchen nach Investoren

Ob es dazu kommt, wird auch von finanzieller Unterstützung abhängen. Seit der Veröffentlichung ihrer Studie im Februar suchen die Forscher und die beteiligten Institute nach Investoren für die erste Phase-1-Studie mit zehn Patienten – bisher ohne Erfolg. „Wir waren überzeugt davon, dass es leichter wäre, Geldgeber zu finden“, sagt Nicole Elleuche, kaufmännische Leiterin des HPI. „Es gibt zwar eine Reihe von Interessenten aus dem In- und Ausland, aber noch haben wir keine Zusage.“

Dabei handele es sich „in jeder Hinsicht um ein „Vorzeigeprojekt in der deutschen Forschungslandschaft“, sagt Elleuche und verweist etwa auf die ihrer Ansicht nach sehr effiziente wissenschaftliche Kooperation zweier Bundesländer und die Veröffentlichung im Fachjournal „Nature Biotechnology“.

Woran hapert es dann? Phase-1-Studien sind grundsätzlich für Investoren riskant, da die Abbruchquote bei über 90 Prozent liegt. „Hinzu kommt, dass unsere neue Gen- und Zelltherapie in der klinischen Erprobungsphase deutlich teurer ist als die Entwicklung eines Medikaments“, sagt Joachim Hauber. Denn im Gegensatz zur herkömmlichen Therapie besteht der Ansatz nicht darin, Pillen zu verabreichen. Vielmehr wollen die Forscher den Körper dazu bringen, die HI-Viren zu bekämpfen.

Das soll vereinfacht dargestellt so funktionieren: Zunächst wird dem Patienten Blut abgenommen, aus dem blutbildende Stammzellen isoliert werden. In diese Stammzellen wird dann im Labor mittels einer sogenannten Gen-fähre die molekulare Schere namens „Brec 1“ eingeführt. Im nächsten Schritt erhält der Patient sein eigenes Blut wieder zurück. Sodann sollen die Stammzellen neue Zellen bilden, in deren Erbgut der Bauplan für die molekulare Schere enthalten ist – sowie ein Schalter, der bei Anwesenheit von HI-Viren die Produktion von Brec1 auslöst. Brec1 wird also nur produziert, wenn die Zelle auch wirklich mit dem Virus infiziert ist.

Kosten von zehn bis zwölf Millionen Euro

Allein die Herstellung der Genfähren sei sehr aufwendig, und für die klinischen Tests müssten spezielle Labore angemietet werden, erläutert Hauber. Er und seine Kollegen rechnen mit Kosten von zehn bis zwölf Millionen Euro für die Phase-1-Studie.

Es gibt derzeit mehrere Ansätze, die HIV-Infektion zu heilen – die Hamburger und Dresdner Forscher sind also nicht die Einzigen, die nach Geldgebern suchen. „Das ist ein sehr kompetitives Feld“, sagt Nicole Elleuche. „Die Herausforderung besteht darin, Investoren zu überzeugen, dass unser Ansatz besonders vielversprechend und sehr weit entwickelt ist.“ Dies gelte umso mehr, da sich an die Phase 1, die bis zu vier Jahre dauern könnte, weitere klinische Studien mit einigen Hundert Patienten anschließen müssten – was noch teurer wäre.

Geld verdienen könnten Pharmakonzerne mit dem neuen Verfahren, indem sie Labore betreiben, die blutbildende Stammzellen für den therapeutischen Einsatz genetisch verändern. Dieser Ansatz könnte künftig nicht nur im Kampf gegen HIV, sondern auch bei der Therapie weiterer Erkrankungen wie der Bluterkrankheit eine wichtige Rolle spielen, sagt Joachim Hauber.

Auf der Suche nach Geldgebern sprechen die Hamburger nicht nur Pharmakonzerne an. „Wir reden auch mit Privatinvestoren und wohlhabenden Familien, die solche Projekte unterstützen könnten“, sagt Nicole Elleuche.

Die herkömmlichen Arzneien sind ein gutes Geschäft

Ein weiterer Punkt, der zumindest bestimmte Pharmaunternehmen zögern lassen könnte, die Entwicklung einer neuen Gentherapie zu unterstützen, hat damit zu tun, dass sich mit den herkömmlichen HIV-Medikamenten gute Geschäfte machen lassen. Wenn das von den Hamburger und Dresdner Forschern entwickelte Verfahren auch im Menschen funktioniert, könnte dies Medikamente obsolet machen – selbst wenn keine Heilung erreicht würde, aber die Therapie dazu führte, dass die behandelten Patienten keine weiteren Medikamente mehr einnehmen müssten, die die Virusvermehrung hemmen.

Vorausgesetzt, die Therapie müsste je Patient nur einmal durchgeführt werden, wäre sie erheblich günstiger als eine lebenslange Behandlung mit HIV-Medikamenten, sagt Joachim Hauber.