Jan Hamester aus Schnelsen erfüllt sich mit seiner „Roaring Forty“ einen Traum – und startet einen Rekordversuch.

Hinter der Schleuse im ruhigen Binnenhafen spiegeln sich Glückstadts gemütliche Häuser, rundum Idylle. Wir sitzen im Cockpit eines segelnden Geschosses: eine Open Class 40, zwölf Meter lang, mit einem Kunststoffrumpf, der gewaltigen Kräften und Brechern widersteht. Der Einstieg ins Innere ist klein wie ein Panzerluk. Auf der Logge, dem Tacho, ist noch die zuletzt erreichte Höchstgeschwindigkeit gespeichert: 30 Knoten – fast 60 auf dem Wasser wahnsinnige Stundenkilometer, auf die die Hightech-Segel den Boliden beschleunigt haben. Der Ozean-Renner gehört meinem Nachbarn von gegenüber: Jan Hamester aus Schnelsen, blond, kernig, Heavy-Duty-Typ. An der roten Ampel auf der Fahrt hierher, lächelten dem 52-Jährigen eher jüngere Mädels hinterher. Einer, der hamburgisch redet und dabei kaum zu stoppen ist.

„Mit fünf Jahren haben meine Eltern mich das erste Mal zum Segeln mitgenommen. Später saß ich im Schulunterricht, egal welches Fach dran war, mit meinem Atlas auf den Knien, schwebte in Gedanken weit weg. Ich wollte Schiffsingenieur werden, bin zwei Jahre zur See gefahren. Habe später Wilfried Erdmann gelesen: ,Die magische Route‘. Rund um die Welt, mir war klar, das mache ich auch.“ Ein paar Tage noch, dann ist es so weit: Im Hamburger City-Sportboothafen, da wo das alte Feuerschiff liegt, legt er am 30. Oktober ab, dem ersten Messe-Sonntag der Hanseboot. Genau um 13.02 Uhr, denn 13 ist keine Glückszahl.

Spartanisch: Aber die Rohrkoje bleibt
auch in Schräglage waagerecht
Spartanisch: Aber die Rohrkoje bleibt auch in Schräglage waagerecht © Jan Harmester

Er will nicht nur um die Welt, er will es „einhand“. Allein durch die Brüllenden Vierziger, immer südlich vom Kap der Guten Hoffnung (Afrika), Kap Leeuwin (Australien), Kap Hoorn (Amerika), je weiter er sich den „schreienden“ 50er-Breitengraden nähert, desto schneller könnte er sein, denn da unten ist der Kreis, den er um die Erde fahren muss, kleiner. Aber je kürzer seine Tour wird, desto näher kommt seine „Roaring Forty“, wie er sein Boot getauft hat, dem gefährlichen Eis. Es ist ein Rekordversuch.

Der Rekord für solche Boote steht bei 138 Tagen, gelistet beim World Speed Sailing Racing Council in London. Die Linie zwischen Lizard Point in Cornwall, dem südlichsten Punkt Englands, und der Insel Ouessant gilt als Start und Ziel für den Rekord. Jan Hamester glaubt, dass er die Strecke viel schneller schaffen kann. Der gültige Rekord, so rechnet er und bezieht 14 Flautentage mit ein, ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von „nur“ 8 Knoten. „Wenn du allerdings Gas geben kannst, dann fährt dieses Boot im Schnitt auch 15 Knoten. Damit würde ich bei 125 Tagen liegen.“ Die letzte Zahl, das ist sein Traum.

Erstes Stück offenbar am schwierigsten

„Das erste Stück über die Biskaya, an Portugal entlang bis nach Gibraltar ungefähr“, scheint ihm „am schwierigsten. Da sind Unmengen von Schiffen unterwegs, manchmal Fischerflotten von 100 Booten. Die fahren gelegentlich Vollkreise, da kannst du verrückt werden. Nirgendwo haben mehr Boote ihre Weltumseglung aufgeben müssen, weil sie kollidierten oder auf Treibgut aufliefen. Südlich der Kanarischen Inseln geht es durch die windstillen Rossbreiten Richtung Recife in Brasilien, später an Napoleons Verbannungsinsel St. Helena vorbei. Südlich von Afrika musst du aufpassen, weil der Nord-Antarktisstrom und der Agulhasstrom dort aufeinandertreffen. Dabei können sich Freak Waves auftürmen, Kaventsmänner, das sind Wellenungetüme, bei denen bis zu 30 Metern Höhe gemessen wurden. Man hat von langen Frachtern gehört, die ausein­anderbrachen. Aber das passiert mir nicht. Mein kleines Schiff weicht brechenden Seen aus, wird von jeder Wellenbewegung getragen. Ich bin der Korken, der auf dem Wasser schwimmt.“

4,8 Tonnen Gewicht bei drei Metern
Tiefgang sorgen für Stabilität
4,8 Tonnen Gewicht bei drei Metern Tiefgang sorgen für Stabilität © Jan Harmester

Seine Route führt über den Indischen Ozean und südlich von Australien Richtung Neuseeland, weiter zum Kap Hoorn. Von da aus Kurs Nordost in Richtung Kanaren. „Und da bin ich“, sagt er, „ja fast schon wieder zu Hause.“

„Vor welchem Abschnitt hast du den größten Bammel?“ „Also, Bammel hab ich gar keinen. Seit 35 Jahren beschäftige ich mich mit meinem Plan. Ich fühl mich so fit wie ein 40-Jähriger. In den letzten zehn Monaten, seit ich die „Roaring Forty“ segele, habe ich doppelte Muskelmasse aufgebaut.“ „Aber du bist völlig allein da draußen. Macht dir das nichts aus?“ „Ich kann mit Freunden ‘ne Feier machen. Ich kann auch ganz allein mit mir selbst eine Feier machen. Das ist ein großer Vorteil. Viele kennen die Allein-Weltumseglerin Ellen MacArthur oder haben ihren Film gesehen. Die singt und lacht und tanzt auf dem Kajütdach. Eine Stunde später hat sie sich leicht verletzt und heult wie ein Schlosshund. Ich bin auch ein emotionaler Mensch und werde alle Höhen und Tiefen durchleben. Das macht stärker. Sollte ich down sein, mach ich meine Musik an. Joe Cocker, Dire Straits. Guter, alter Rock und deutsche Sachen, wie Max Mutzke, Lindenberg, Jan Delay und Ulla Meinecke.“

30.000 Meilen sind es insgesamt

Zwischen 27.000 und 30.000 Meilen kommen bei der Umrundung zusammen. Hamester: „Die Entfernung hängt weitgehend davon ab, wie weit ich nach Süden abtauchen kann. Im Grunde genommen umsegelst du die Antarktis, je näher dran, desto kleiner die Gesamtdistanz.“ „Kann man sich für eine so unwägbare Route überhaupt eine Zeit setzen?“ „Das kann man sehr wohl. Erdmann hat 1984 für die Strecke von Kiel nach Kiel 271 Tage gebraucht, mit einem 10,60 Meter langen Aluminiumboot, fast doppelt so schwer wie meins mit seinen 12,20 Meter. Länge und geringes Gewicht machen Geschwindigkeit. Wenn der Wind von hinten kommt, kann ich am 19 Meter hohen Mast 265 Quadratmeter Segel setzen.“

Geschützter Platz für Navigation und Kommunikation.
Unten links die kleine Spüle und daneben ein Mini-Kocher
Geschützter Platz für Navigation und Kommunikation. Unten links die kleine Spüle und daneben ein Mini-Kocher © Jan Harmester

„Was sind die Vor- und Nachteile von ,Roaring Forty‘? „Maximale Seesicherheit. Du musst dir das innen wie bei einem U-Boot vorstellen, fünf wasserdichte Abteilungen, die ich voneinander absperren kann. Unter der Wasserlinie, wo Kollisionsschäden gefährlich sind, ist der Rumpf ausgeschäumt. Nachteile? Sehe ich keine.“

Das Boot hatte vor dem Kauf im letzten Spätherbst lange an Land gestanden, war von Algen „so grün wie englischer Rasen. Wir haben es vier Tage lang gekärchert, bis es sauber war. Ich habe rund 1500 Arbeitsstunden hineingesteckt und seitdem fast jeden Tag gesegelt und geschraubt.“ Gekostet hat es (nur) 60.000 Euro. Wovon lebt der Mann eigentlich, wenn er sein Schiff bezahlen und so viel segeln kann?

„Nach meiner Seefahrtzeit habe ich in Wedel sieben Jahre lang eine Zulieferfirma für Aluminium- und Kohlefaserbau gehabt. Dann war ich 13 Jahre beim BHW in der Abteilung für Immobilienfinanzierung. Und seit 2008 lebe ich nur noch vom Segeln. Es gibt viele, die Geld haben, aber keine Zeit. Für die mache ich Überführungen ihrer Boote. Für 30 Tage Überführung in die Karibik mit zwei Mann nehme ich 400 Euro pro Tag. Mittlerweile laufen auch Segel-Trainingseinheiten gut. Diese Klasse von Booten mit Doppelruder, die auf Geschwindigkeit hin konzipiert sind, ist gefragt. Immer mehr Kunden wollen solche Boote ausprobieren, sodass ich ganz gut gebucht bin. Ich mache Coaching auf See – pro Tag 360 Euro pro Person. Sind sie zu dritt, viert, fünft an Bord, geht der Preis runter auf 218 Euro pro Trainingstag. 70 Prozent Männer, der Anteil der Frauen wächst.“

Nur 135 Menschen wagten das Abenteuer

Es gibt mittlerweile Tausende, die auf den Mount Everest, den höchsten Berg, geklettert sind. Aber insgesamt nur 135 Menschen segelten einhand und nonstop um die Welt. „Mein Vorbild Wilfried Erdmann“, sagt Hamester, „hat sogar beide Richtungen geschafft. Mit dem Wind und allein gegen den Wind. Gegen die vorherrschenden Windrichtungen schafften es nur sechs, darunter eine Frau.“

Eine der wichtigen
Ausstattungen:
Die Toilette lässt
sich je nach
Krängung des
Bootes in die Senkrechte
verstellen
Eine der wichtigen Ausstattungen: Die Toilette lässt sich je nach Krängung des Bootes in die Senkrechte verstellen © Jan Harmester

Seine Erfahrung? Tausende Hochseemeilen, zwei Atlantiküberquerungen, aber 800 Seemeilen sind die längste Strecke, die er bisher ganz allein unterwegs war. „Das Gefühl, alles selber zu bewerkstelligen“, sagt Hamester, „ist gigantisch. Du darfst dir keine Fehler erlauben.“ Aber Menschen sind nicht fehlerfrei. Und Nonstop-Solo-Umrundung ist existenzielle Erfahrung. Mindestens einer der sechs, die es geschafft haben, hat sein Boot danach jahrelang auf dem Trockenen stehen lassen und es nicht mehr angerührt.

„Du hast keine Sorgen, dass dir unterwegs Trinkwasser oder Essen ausgehen?“ Nachbar Jan, der Mann von Gegenüber, nimmt es locker: „Ein Fass Rollmops, ein Fass Bier – die Marke vom Hamburger Feuerschiff, die Jungs unterstützen mich. 250 Liter Trinkwasser. Ich versuche, mindestens vier Wochen ganz normal zu essen. Frische Sachen. Ich habe genau notiert, wie ich mit den Kalorien klarkomme. Du machst dir sozusagen 125 Päckchen, für jeden Tag eines. Brot essbar zu halten, ist auch kein Thema. Pumpernickel zum Beispiel überlebt vakuumverpackt eine lange Zeit. Für schlechtes Wetter kommt eine Ladung Fünf-Minuten-Terrinen an Bord. Und Astronautenfutter, wenn man mal Tage mit einem Tief mitfährt und wegen der Schaukelei nicht am Herd stehen kann. Ich hab auch ’ne Schleppangel mit. Kaffee muss reichlich sein, ohne Kaffee verzweifle ich. Pro Tag gönne ich mir ein Bier, also 60 Liter müssen reichen.“ „Und wenn die Zigaretten alle sind, was machst du?“ „Schmachten. Im Ernst, ich nehme eine Menge Tabak mit.“ Und eine Pfeife. Sonst raucht der Wind die Hälfte.

Tipp: Am 29.10., am Tag vor dem Ablegen, hält Hamester Vorträge auf der hanseboot. Infos: www.hanseboot.de und von unterwegs postet er: yacht.de und yacht.tv und www.ocean60.de