Die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft startet einen radikalen Umbau. Bis zu 1200 Stellen werden gestrichen. Steigen jetzt die Preise?
Air-Berlin-Chef Stefan Pichler brauchte zwölf Minuten, bis er in der eilends einberufenen Telefonkonferenz am Donnerstagmorgen das Wort „Gewinnzone“ in den Mund nahm. Der Airline-Chef erläuterte dort die Restrukturierungspläne für das angeschlagene Unternehmen. Pichler will vom Jahr 2018 an schwarze Zahlen schreiben. Wie berichtet, soll dazu die Flottengröße auf 75 Flugzeuge halbiert werden. 40 Maschinen samt Crew will Pichler an die Lufthansa vermieten. „Wir bündeln das Touristikgeschäft in einem eigenständigen Geschäftsbereich“, sagte Pichler. Ferner will er attraktive Langstrecken sowie umsatzstarke Kurz- und Mittelstrecken aus den Drehkreuzen Düsseldorf und Berlin heraus bedienen. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur Air-Berlin-Krise:
Wie ändert sich das Angebot von Air Berlin auf der Langstrecke?
Air Berlin plant, vom Sommer 2017 an die Zahl der Langstrecken-Starts in Berlin auf 41 pro Woche zu erhöhen. Das bedeutet eine Steigerung um 46 Prozent gegenüber dem Angebot im Sommer 2015. In Düsseldorf soll die Zahl der Langstreckenflüge auf 71 steigen, was einem Plus von 61 Prozent entspricht. So plant Air Berlin wöchentlich drei Flüge von Tegel nach Los Angeles und vier nach San Francisco. Die Zahl der Interkontinentalflüge nach New York steigt von sieben auf zehn, die nach Miami auf vier im Winter und drei im Sommer. Von Düsseldorf aus wird es pro Woche fünf neue Flüge nach Orlando geben, einen täglichen Flug nach Boston und fünf Flüge nach San Francisco.
Welche Strecken wird Air Berlin auf der Kurz- und Mittelstrecke bedienen?
Die Fluggesellschaft will sich hier auf ihre profitablen Strecken konzentrieren: unter anderem auf Helsinki, Göteborg und Kopenhagen im Norden, Warschau, Krakau und Budapest im Osten, Rom, Mailand, Barcelona und Tel Aviv im Süden sowie Paris, Zürich und Genf im Westen. Großbritannien, das fest in der Hand der Billigflieger Ryanair und Easyjet ist, zählt nicht dazu.
Wird sich Air Berlin aus den Deutschland-Flügen zurückziehen?
„Wir werden auch weiter die großen Routen bedienen“, antwortet Pichler. Allerdings soll die Zahl der Basen im deutschsprachigen Raum von zwölf auf vier reduziert werden. Neben Düsseldorf und Berlin bleiben nur Stuttgart und München übrig. In den verbleibenden Basen soll rationalisiert werden. Auskünfte darüber, ob und wann welche Deutschland-Strecken aufgegeben werden, machte die Airline zunächst nicht.
Wird Air Berlin seinen Status als Ferienflieger verlieren?
Jein. Das touristische Geschäft wird in ein Tochterunternehmen mit 35 Flugzeugen ausgelagert. Zuletzt war spekuliert worden, dass Air Berlin diese Sparte an TUIfly überträgt. Doch davon war am Donnerstag nicht mehr die Rede. Pichler ließ durchblicken, dass die Verhandlungen über diese Frage laufen. „Sie sind aber noch nicht abgeschlossen.“ Das Saisongeschäft ist für Air Berlin teuer. Es ist nur in den Sommermonaten attraktiv. Auf das Jahr hochgerechnet ist ein Fünftel der Flotte (27 Maschinen) wegen Saisonschwankungen unproduktiv.
Was wird aus den Mallorca-Flügen?
Air Berlin hat sich als Mallorca-Shuttle einen Namen gemacht. Doch nun soll diese Destination wie alle anderen touristischen Destinationen von einer neuen Tochter gemanagt werden. Dass am Ende auch „Air Berlin“ auf den Flugzeugen steht, die auf die Baleareninsel fliegen, ist unwahrscheinlich. Über die Zukunft der Tochter wird noch verhandelt.
Können Kunden beruhigt ihren nächsten Urlaub buchen?
„Natürlich können sie das“, sagt Stefan Pichler. „Gebuchte Flugtickets bleiben ebenfalls gültig“, ergänzt eine Sprecherin. Gleiches gelte für den Flugplan. Wird eine Strecke ersatzlos gestrichen, muss Air Berlin den Ticketpreis zurückzahlen, erklärt der Reiserechtler Paul Degott aus Hannover. Wird ein Kunde auf einen anderen zumutbaren Flug umgebucht, hat er keinen Anspruch auf Schadenersatz.
Wie bewerten Verbraucherschützer den Krisenplan?
Wer etwa einen Flug für das kommende Jahr gebucht hat, darf auch erwarten, dass dieser durchgeführt wird. „Der Beförderungsvertrag ist verbindlich“, erklärt Jan Wilschke von der Verbraucherzentrale Brandenburg. „Air Berlin hat die Verpflichtung, diesen zu erfüllen“, fügt der Experte hinzu.
Wie bewertet Hauptaktionär Etihad den Sanierungsplan?
Etihad hat ungefähr eine Milliarde Euro in Air Berlin investiert. „Seitdem wir uns 2011 an Air Berlin beteiligt haben, haben wir weit mehr von dem Investment profitiert als erwartet. Bislang flossen Etihad Airways via Air Berlin mehr als 500 Millionen Dollar an Umsatz zu. Heute steht die Kooperation mit Air Berlin für mehr als 150 Millionen Dollar Jahresumsatz. Durch Synergieeffekte sparte Etihad Airways zudem mehr als 100 Millionen Dollar an Kosten“, heißt es bei der Airline. Etihad Airways stehe langfristig zu seinem Engagement bei der deutschen Fluglinie.
Was ist mit den Meilenkonten?
„Hier gibt es keine Veränderungen. Gesammelte Meilen und Freiflüge sind von den Umstrukturierungen nicht betroffen“, sagt Sprecher Uwe Kattwinkel. Allerdings wird die Zahl der Routen um 77 Prozent sinken – und damit die Möglichkeiten, erworbene Vielflieger-Prämien einzulösen.
Gelten Silber- oder Goldkarte weiter?
Alle Karten behalten nach Unternehmensangaben ihre Gültigkeit. Die sinkende Zahl der Flüge schmälert natürlich auch hier die Menge der Vorteile.
Steigen die Preise?
„Die Erfahrung zeigt: Wenn man auf einer Strecke die Reduktion von zwei auf einen Anbieter hat, muss man schon sehr gutgläubig sein, wenn man denkt, dass die Preise dort nicht steigen“, sagt der Wettbewerbsexperte Justus Haucap.
Was bedeutet die Umstrukturierung für die 8600 Beschäftigten ?
Bis zu 1200 von ihnen werden ihren angestammten Arbeitsplatz verlieren. „Aber es wird kein Klassenkampfszenario geben“, sagt Airline-Chef Stefan Pichler. Am Donnerstag fand eine Betriebsversammlung im Westhafen in Berlin statt, ein Teilnehmer berichtete im Anschluss, es habe dabei Applaus für den amtierenden Konzernchef gegeben. Gespräche mit Gewerkschaften und Betriebsräten laufen mit dem Ziel, bis zum Februar des kommenden Jahres freiwillige und betriebsbedingte Kündigungen zu bestätigen. Mitarbeitern soll eine Weiterbeschäftigung innerhalb der Etihad Airways Partners Group angeboten werden. Dazu gehören Jet Airways, Air Serbia, Etihad Regional, Alitalia, Air Seychelles und Etihad.
Was sagen die Gewerkschaften?
„Die Vermietung von Flugzeugen und Crews wird nicht ausreichen, um Air Berlin zu erhalten“, sagte Ver.di-Vorstand Christine Behle. Notwendig sei ein tragfähiges Zukunftskonzept und eine nachhaltige Neuausrichtung.
Was kostet die Umstrukturierung, und braucht Air Berlin frisches Kapital?
„Derzeit sind keine zusätzlichen Finanzspritzen geplant. Für die Zukunft lässt sich das nicht ausschließen“, sagt Sprecher Uwe Kattwinkel. Pichler bezifferte die Kosten der Umstrukturierung auf einen „hohen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag“. Vor allem der Sozialplan dürfte teuer werden.
Wie will Air Berlin seine Schulden loswerden?
Der Schuldenberg des Unternehmens summiert sich auf gut 900 Millionen Euro. Es ist vollkommen unklar, wie Air Berlin dieses Defizit abbauen will.
Was bedeuten die Einschnitte bei Air Berlin für die Lufthansa?
Die Lufthansa baut ihre Position aus – vor allem in ihrem Billigflieger-Segment. Mit den bis zu 40 von Air Berlin für sechs Jahre geleasten Airbus-Maschinen und ihren Crews kann Eurowings wachsen und sich besser gegen Ryanair und Easyjet behaupten. Der Deal umfasst 1,2 Milliarden Euro. Die Zahl der Maschinen steigt von 90 auf 160 – inklusive der Jets von Brussels. Die Lufthansa hat die Airline komplett übernommen. Auf welchen Strecken die Jets eingesetzt werden, ist offen. Sie werden in Eurowings-Farben fliegen.
Was bleibt von Air Berlin übrig?
Die neue Air Berlin wird vom Sommer 2017 an mit 40 Flugzeugen der A320-Familie und 18 Turboprop-Flugzeugen des Typs Q400 für die Kurz- und Mittelstrecke Verbindungen zu den wichtigsten europäischen Wirtschaftsstandorten anbieten. Darüber hinaus umfasst die Gesamtflotte mit 75 Flugzeugen 17 Maschinen des Typs A330-200.
In welchem Verhältnis stehen die aktuellen Veränderungen zu früheren?
„Bisherige Programme haben nur an der Oberfläche gekratzt. Wir haben früher die Symptome kuriert, aber nicht die Ursachen“, sagt Pichler.
Was wird aus Konzernchef Pichler?
„Ich bin voll engagiert bei der Sache“, sagt Pichler. Er habe das Restrukturierungskonzept in einjähriger Arbeit entwickelt und wolle es auch umsetzen.
Werden die Schoko-Herzen eingespart, die an Kunden verteilt werden?
„Die bleiben auf jeden Fall“, sagt Sprecher Uwe Kattwinkel.