In zwei Jahren wurden mehr als 30.000 Plätze geschaffen, 10.000 kommen hinzu. Ortstermin beim Testlauf “Perspektive Wohnen“.

(Die Karte zeigt die Entstehung der Flüchtlingsunterkünfte in Hamburg. Schieben Sie den Regler nach links (zeitlich vorwärts) oder rechts (zeitlich rückwärts)

Die Mission hängt an Details, deshalb läuft Klaus Lohmann los. „Hey, Herr Abed, ähm, Ahmad, Amir?“, seine Rufe schallen über frischgrauen Asphalt, auf dem Gehweg liegen Laufräder. Zwei Männer drehen sich um, ihre Namen lauten anders. „Nächstes Mal hab ich’s“, sagt Lohmann, er schwört feierlich. Integration ist vor allem Reden und Zuhören, sagt Klaus Lohmann. Wenn das stimmt, ist er ein großer Integrator.

Er federt in Turnschuhen durch sein neues Reich, acht Häuser, eilig hochgezogen, große Hausnummern an den Fassaden. Klaus Lohmann trägt ein geöffnetes rotkariertes Hemd, kurzes Haar und graue Schläfen. Er war Projektleiter für die Welthungerhilfe in Afghanistan und an der syrischen Grenze, im tiefen Dreck, jetzt arbeitet er für „Fördern & Wohnen“. Sie haben ihn nach Jenfeld geschickt, weil es nicht einfach wird.

Im Osten Hamburgs beginnt der Testlauf für die große Lösung. Unterkünfte für mehr als 35.000 Flüchtlinge hat der Senat binnen zwei Jahren in die Stadt gestellt, mehr als 10.000 kommen in der „Perspektive Wohnen“ hinzu.

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Am Elfsaal in Jenfeld entstehen die ersten der Expressbauten zwischen großen Seniorenheimen, einer Kita und Vorgärten mit Planschbecken. Wie viele andere Unterkünfte näher am Autobahnkreuz als am Rathaus. Ob Hamburg „das“ am Ende schafft, wird an diesen Orten entschieden.

320 Flüchtlinge sind hier im Juni eingezogen, in Baracken des alten Standards. Auf der Westseite des Hofes künden die Arbeiten an dreigeschossigen Rohbauten davon, dass im Winter bis zu 750 weitere Flüchtlinge in die Expressbauten ziehen werden. „Die Kommunikation war im Vorfeld nicht so glücklich“, sagt Klaus Lohmann. Er untertreibt, weil er kein Öl ins Feuer gießen will. Manche Anwohner sagen, es fühle sich an, als sei ein garstiges Raumschiff in ihrer Grünstraße gelandet.

Sie haben sich gegen die Unterkunft gewehrt, mit dem Verweis auf Formalien. Die Expressbauten seien alternativlos, entgegnete die Stadt, auch das ist nicht die ganze Wahrheit. In dem Programm steckt die Entscheidung, keine Wohnungen für Flüchtlinge in Neubauprojekten wie der Neuen Mitte Altona zu reservieren. „Wir wollten keine Neiddebatte, aber auch keine Situation, in der die Ärmsten um Wohnungen konkurrieren“, heißt es aus dem Senatsumfeld.

Die „Perspektive Wohnen“ ist ein Puffer, die Stadt kauft sich Zeit. Rund um die Standorte gibt es teils noch wenig Infrastruktur, wenig Umgebung zum Integrieren. Aber die neuen Siedlungen, etwa am Mittleren Landweg (Billwerder) liegen auf den „Entwicklungsachsen“. Der Senat glaubt, dass die Stadt um die Unterkünfte herumwachsen wird. Dass die Flüchtlinge später in Wohnraum ziehen, der „freigezogen“ wurde (siehe Text rechte Seite). Dass es Menschen wie Klaus Lohmann gelingt, Flüchtlinge auf ein neues Leben vorzubereiten. Dass Fremde und Anwohner zusammenwachsen, dass keine Parallelgesellschaften entstehen. Die Wette gilt.

Flüchtlinge haben noch kaum Kontakt zu den Nachbarn

Zuerst braucht Klaus Lohmann mehr Mitstreiter. Er hat fünf Sozialarbeiterinnen bekommen, eine für 80 Flüchtlinge. In der Küche surrt eine Kaffepadmaschine, die Büros sind ständig belegt mit Flüchtlingen. Sie fragen nach Kita-Plätzen, sie verstehen Briefe nicht, sie wollen, dass es WLAN gibt. „Das sind schon Ansprüche“, sagt Klaus Lohmann. Er wisse doch, dass in ihren Herkunftsländern auch vieles lange dauert. Seine Truppe ist ausgelastet damit, grundlegende Hilfestellungen zu geben.

Der Unterkunftsmanager läuft quer über den Hof, für eine Überquerung braucht er zehn Minuten, spricht jeden an. „Läuft doch toll“, sagt er immer eine Spur begeisterter als sein Gegenüber zu den Bewohnern und klopft mit seinen Händen kräftig fremde Schultern. Drei Flüchtlinge haben Arbeit gefunden. Es gibt ein Frauencafé, einige wollen sich von den Männern scheiden lassen, die sie sich nie ausgesucht haben. Alle Kinder haben Schulen gefunden. Klaus Lohmann hat das Gefühl, dass die Dinge langsam ins Rollen kommen.

Der nächste Schritt wäre nun der Kontakt nach außen. „Es ist ganz elementar, dass die Geflüchteten in die Nachbarschaft kommen und die Anwohner in die Unterkünfte, damit wir eine Isolation verhindern“, sagt Petra Lotzkat, Leiterin des Integrationsamtes in der Sozialbehörde. „Bei den meisten Unterkünften klappt dies bereits, auch dank der vielen, vielen Freiwilligen. Es liegen dennoch große Aufgaben vor uns“, sagt Lotzkat. Denn dort endet auch die Kompetenz der Stadt, aller Politiker. „Man kann Angebote machen, Freunde werden müssen Anwohner und Flüchtlinge selbst“, sagt ein Beamter.

Seit den ersten Tagen kommen ab und an älterere Herren mit Rucksäcken auf den Hof. Die Kinder waren wieder laut, nach 18 Uhr, dann ist kein Personal mehr da und die Unterkunft regelt sich selbst. Für manche Anwohner klingt es wie eine wilde Party. Bislang kamen 15 Menschen, um freiwillig zu helfen. „Na klar, zu wenig“, sagt Klaus Lohmann. Ausreichend wären 100 Freiwillige. Dann könnte man richtig etwas auf die Beine stellen.

Die alten und die neuen Anwohner treffen nur am Ende der Zufahrt aufeinander. Flüchtlinge kommen und gehen zu Sprachkursen, Hunde ziehen Nachbarn auf die nahe Wiese. „Das ist alles eine Katastrophe. Wir haben hier eine Kultur aufgebaut, die geht jetzt kaputt“, sagt die Anwohnerin Barbara Wesel. Worin diese Kultur besteht, kann sie nicht sagen. Sie sei selbst Polin und keiner habe hier etwas gegen Fremde. Aber irgendwie war das Leben schön, und jetzt ist es das nicht mehr. „Wenn noch mehr Flüchtlinge kommen, bricht hier die Hölle los. Ganz sicher“.

Die Spaziergängerinnen mit den Hunden gehen schnell vorbei, eine sagt, sie wohne schräg gegenüber und habe ihr Haus verkauft, die Unterkunft war das i-Tüpfelchen. „Erst mal sind die Grundstücke hier bald nix mehr wert, dann sind die da drinnen schweinelaut, die Väter haben Angst um die Töchter.“

Tatsächlich schlechte Erfahrungen, nein, die gab es noch nicht, aber das heiße nichts. Barbara Wesel erzählt, dass die Flüchtlinge immer grüßen. Aber in die Unterkunft zu gehen, dass halten beide für unnötig. „Wir halten unsere Hunde ruhig, wenn wir die sehen, und grüßen dann auch. Man ist ja höflich.“ Wenn Kontakt besteht, sagt die Wissenschaft, verschwinden Vorurteile. Nur lässt es sich auch auf 50 Meter Entfernung aneinander vorbei leben.

Die Familie Abdallah aus Syrien spürt, dass etwas in der Luft liegt, sie wollen das nicht persönlich nehmen. „Wir haben alles verloren, unser Haus, die Spielsachen für die Kinder, aber wir sind nicht wütend“, sagt der Vater Rany Abdallah, schwarze Locken, lautes Lachen, sein rotes T-Shirt spannt über dem Bauch.

Seit sie angekommen sind, lernt sein 17 Jahre alter Sohn alle Ergebnisse des HSV der letzten Jahre mit allen Torschützen auswendig. Seine Frau Zakaa versucht, das Appartement wohnlich zu machen, mit einem Teppich, Tee und dem Duft von Keksen. Es will nicht so recht gelingen. Gegenüber ist das Haus der Männer aus Eritrea, mit denen haben sie einfach wenig gemeinsam, sie fühlen sich etwas isoliert. Eine andere Familie sagt, sie habe Panik davor, dass Appartement bald mit weiteren zu teilen. Sie wollen ihre Ruhe. Von einem Ghetto in den Folgeunterkünften, in dem sich die Flüchtlinge verbrüdern oder gegenseitig anfeinden, ist die Realität sehr weit weg. Eher herrscht die Atmosphäre eines Wartezimmers.

„Alle geben sich Mühe, wir sind unendlich dankbar“, sagt Rany Abdallah. Trotzdem, das sagen die Bewohner, ist auch eine Unterkunft mit Häusern kein neues Leben. Sie wollen raus. Vielleicht kann das Projekt Integration nicht ganz gelingen, weil sich beide Seiten zu wenig den Realitäten stellen.

4500 hoffen auf eine Sozialwohnung

In der Küchennische der Abdallahs stapeln sich Schreiben – vom Jobcenter, Genossenschaften, Hilfsstellen für Wohnungssuchende. Die „Wohnbrücke“ schreibt, man müsse verstehen, dass sie nur wenige Stellen hätten und nicht mit zu Besichtigungen kommen. Am besten solle man einen Freiwilligen organisieren, viel Glück. Rany Abdallah ist froh, „wenn die uns überhaupt zu einer Besichtigung lassen“. Maximal 681,61 Euro Miete für höchstens 90 Quadratmeter zahlt das Jobcenter für die vierköpfige Familie. Zakaa Abdallah drängelt, sie hat einen Berechtigungsschein für eine Sozialwohnung besorgt. Diesen hatten im Juli bereits 4500 andere Flüchtlinge und Migranten, ohne sofort eine Wohnung zu erhalten. Tendenz stark steigend, wie der Senat schreibt.

Der Wettstreit auf dem Wohnungsmarkt, den die Stadt lindern will, lässt sich nicht verhindern. Die Flüchtlinge gehen mit schlechten Chancen ins Rennen. Viele Eigentümer wollten Flüchtlingen helfen, sagt Heinrich Stüven, Chef des Grundeigentümerverbandes: „Aber etwa die Hälfte hat Bedenken, fürchtet den Aufwand, eine unsichere Finanzierung oder bestimmtes Verhalten der Mieter“. Ein erfahrener Makler sagt, er wäre froh, wenn das stimmte. „Mehr als 50 Prozent haben Vorurteile. Viel mehr.“

Die Mitarbeiter am Elfsaal verweisen auf die Wohnungsnothilfe der Bezirke, auch auf die Genossenschaften. Immerhin 2135 Menschen sind im vergangenen Jahr über die Nothilfe in eigene Wohnungen gezogen, darunter Flüchtlinge, aber auch Obdachlose und andere Bedarfsfälle. Zehn mal so viele Flüchtlinge sind allein im Jahr 2015 in Hamburg untergebracht worden. Es wird sehr eng mit der Wette, wenn das Tempo so bleibt.

Klaus Lohmann sieht sich als Vorbereiter auf das Leben außerhalb des Hofes. Bei „Fördern & Wohnen“ kennen fast alle Fälle, in denen Flüchtlinge nicht den Absprung schafften, mehr als fünf oder zehn Jahre in Unterkünften leben. „Um die alleinstehenden Männer mache ich mir keine Sorgen, die werden innerhalb eines Jahres eine Wohnung oder ein Zimmer haben“, sagt Klaus Lohmann. „Bei den Familien ist das knifflig, weil es einfach nicht genug große Wohnungen gibt“. Wenn die Expressbauten belegt werden, wird es für ihn unübersichtlich, Bis zu 1000 Bewohner unter seiner Verwaltung. Möglichst viele Flüchtlinge will er vorher „stabilisieren“, wie es heißt.

Sie beginnen mit den Grundlagen. Klaus Lohmann hat das Energiesparen gelehrt, „schön die Lichter ausschalten“. Aber es gibt keinen Strom- und keinen Wasserzähler in der Wohnung, die Flüchtlinge wissen nicht, was sie verbrauchen. An regnerischen Tagen bollern die Heizungen auf Volllast. „Wir fangen jetzt mal mit Mülltrennung an“, sagt Klaus Lohmann, er sagt das nicht beiläufig, sondern wie einen Startruf für eine glorreiche Bergexpedition.

In den Gassen der Unterkunft hängen noch Verbotsschilder – bitte keine Kleidung an die Bauzäune hängen und nicht auf den Steinkästen mit der Versorgungsmechanik grillen.

Die ersten Männer ziehen jetzt aus, eigentlich ist das den Mitarbeitern zu früh. „Die brauchen noch Hilfe“, sagt die Sozialarbeiterin, von „Unmelden, Anmelden, GEZ, Stromanbieter haben die nie etwas gehört“, sagt sie. Viele tragen Schulden mit sich; weil Schleuser sie ausnahmen, weil sie wegen eines Formfehlers doppeltes Kindergeld erhielten und nun die Hälfte abstottern müssen.

Klaus Lohmann denkt gern Schritt für Schritt, das ist wohl noch wichtiger als Reden und Zuhören. „Die Familie Abdallah ist ausgezogen, toll, nicht?“, sagt er im September. Die Bewohner von 18 Wohnungen haben die Unterkunft verlassen, die Hälfte davon Familien, „manchmal kommt so ein Schwung unerwartet“. Er sagt den Satz im Gehen, verabschiedet sich durch Baulärm, an Haus F werden wieder Kartons angeliefert, Hausrat. Klaus Lohmann beschleunigt seinen Schritt, er lächelt, fester Blick. Das will er unbedingt begleiten.