Pöseldorf. Der Hamburger Marc Sven Loose hat sich auf die Behandlung von Wildtieren spezialisiert – als einer der wenigen in Deutschland.
Die Patienten von Zahnarzt Marc Sven Loose sind meist Menschen, aber nicht immer. Der Großteil kommt zur Behandlung in seine große, eindrucksvolle Praxis mit den Holzdielen und den hohen Decken am Mittelweg. Dort, wo im Erdgeschoss eine bekannte Modelagentur ihre Räume hat. Aber manchmal fährt Marc Sven Loose auch zu seinen Patienten nach Bulgarien oder Afrika. Fernab von der schicken Praxis in Pöseldorf: Wenn Bären oder Löwen Zahnschmerzen haben, ist der Hamburger Zahnmediziner zur Stelle – als einer der wenigen Wildtierzahnärzte Deutschlands.
Eine Wurzelbehandlung bei Bären dauert viel länger
Sindi, Katja, Hanna, Siggi und Balou hatten Zahnschmerzen. Vor ein paar Wochen haben Marc Sven Loose und seine Frau Sabine deshalb mal wieder die Praxis geschlossen, um den fünf Braunbären im Bärenwald Müritz zu helfen: Bei Bärin Siggi machte Loose eine Wurzelbehandlung, Katja musste ein Fangzahn gezogen werden, und bei dem 295 Kilogramm schweren Männchen Balou führte Loose eine Wurzelbehandlung am Schneidezahn durch, Siggi mussten zwei von vier Fangzähnen gezogen werden, weil sich Fisteln gebildet hatten.
Die Arbeit mit den wilden Tieren ist schon etwas anderes, sagt Marc Sven Loose. Bei seinen Patienten in der Praxis muss der Vater von zwei erwachsenen Töchtern jedenfalls keine Sorge haben, dass sie ihm den Arm abbeißen. Diese Angst hatte er zu Beginn seines Einsatzes als Wildtierzahnarzt vor zehn Jahren schon. „Ich hatte die Sorge, dass der Bär trotz Narkose aus einem Reflex heraus zuschnappen könnte“, sagt er. Daher greift er niemals von vorn in den Kiefer, sondern immer von der Seite, sodass er seine Hand schnell herausziehen könnte. Das war aber noch nie notwendig. Schließlich ist er nicht allein unter wilden Tieren, sondern arbeitet mit einem Team aus Tierärzten. Die überwachen bei den Zahn-OPs die Narkose der Bären, untersuchen den Gesundheitszustand, nehmen Blut ab und fertigen Ultraschall- und Röntgenbilder an.
Eine andere Schwierigkeit ist die Länge der Fangzähne bei Bären von bis zu sieben Zentimetern. Das macht eine Wurzelkanalbehandlung zeitaufwendiger, hinzu kommt das extrem feste Gewebe beim Bären, die Festigkeit des Zahnfleisches. Knochenarbeit sei das nicht, aber die Bedingungen in der Praxis mit den Zahnarztstühlen seien schon angenehmer. Rückenschmerzen gehören bei der Arbeit am Bärengebiss eben dazu. Vier- bis sechsmal im Jahr behandelt der 50-Jährige die Zähne von Bären und Löwen, seine Frau assistiert ihm dabei. Es ist eine Berufung. Eine Arbeit, die von Herzen kommt: „Das sind arme Kreaturen, die von Menschen misshandelt worden sind. Wir helfen ihnen und geben etwas zurück“, sagt Marc Sven Loose. Er helfe gerne den Schwächsten. Die beiden machen das ehrenamtlich.
Loose behandelt seit zehn Jahren Bären und Löwen
Dabei ist Marc Sven Loose nicht mit Tieren im heimischen Blankenese aufgewachsen. Die Liebe zu Tieren kam wohl eher durch Ehefrau Sabine, die schon als Kind alle Streunerhunde retten wollte und bei Hochwasser an der Elbe die Ratten in Sicherheit brachte. Für Vier Pfoten arbeitet die studierte Versicherungsbetriebswirtin seit 16 Jahren. Als ein Zahnmediziner gesucht wurde, kam ihr Mann auf den Plan. Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Weil Tiermediziner sich mit der Behandlung von Zähnen meist kaum oder gar nicht auskennen, sind häufig die Dienste von Humanmedizinern gefragt.
Loose ist mittlerweile einer der wenigen Spezialisten und ein Vorreiter auf diesem Gebiet. Seit zehn Jahren saniert er die Gebisse von Bären und Löwen. 300 Behandlungen von Bären hat er durchgeführt und etwa 20 bei Löwen. Es sind Tiere, die beispielsweise aus schlechter Haltung gerettet worden sind, ehemalige Tanzbären in Bulgarien, sogenannte Restaurantbären aus dem Kosovo, die dort zur Belustigung der Gäste eingesetzt wurden. Mit seiner mobilen Praxis fährt er zu den Einsatzorten, saniert dort die von Karies befallenen Zähne, zieht Zähne, wenn die Parodontose zu weit fortgeschritten ist. Die Feilen, Bohrer und verschiedenen chirurgischen Instrumente hat er speziell für die großen Tiere angefertigt. Mit dabei ist auch sein mobiles Röntgengerät.
Ganz ohne Vorbereitung ging sein erster Einsatz 2006 in Bulgarien aber nicht. Zur Recherche hatte sich Loose Bärengebisse im Zoologischen Institut angesehen und dabei auch bemerkt, dass viele Wildtiere in den Tierparks nur unzureichend behandelt wurden – an den Gebissen war zu erkennen, dass sie Tumore hatten, Karies oder Parodontose, manche Zähne waren gebrochen. Ein Grund für die schlechten Zähne ist die falsche Ernährung. „Die Bären bekommen häufig zu viel süßes Obst, zu viel Weißbrot in den Zoos“, sagt Sabine Loose. Dabei grasen Bären gerne wie Kühe und essen Nüsse.
Wenn sie keine weiteren Beschwerden haben, kommt Marc Sven Loose in zwei Jahren wieder zu den fünf Braunbären in den Bärenwald zur Nachbehandlung. Kostenfrei. Über Verstärkung anderer Zahnarztkollegen würde sich Loose freuen. Arbeit gibt es genug.