Lokstedt . Gegen den 34 Jahre alten Unfallverursacher ermittelt die Polizei. Opfer kommen mit Prellungen davon. Bereits 21 Verkehrstote in diesem Jahr

Nach der Kollision mit dem Raser liegt der VW Touran zerknautscht und verbeult auf dem Dach. Rund um die abgesperrte Unfallstelle auf Höhe des Lokstedter Steindamms 86 sind die Kuscheltiere der Kinder und andere Habseligkeiten der Familie aus Eimsbüttel verstreut. Wer das völlig zerstörte Auto sieht – die verbogenen Holme, die abgerissene Stoßstange, die zersplitterten Fenster –, der vermutet gleich das Schlimmste. Doch die vier Insassen des Minivans, darunter zwei kleine Kinder, hatten Glück: Sie sind alle mit Prellungen davongekommen. Wenige Meter von dem Wrack entfernt steht ein Audi A7 – der Wagen des Unfallverursachers. Der 34 Jahre alte Fahrer war nach Ermittlungen der Polizei deutlich zu schnell unterwegs. Auch seine Luxuslimousine ist schwer beschädigt worden, die Motorhaube komplett eingedellt. Die Polizei schätzt den Gesamtschaden an beiden Fahrzeugen auf rund 65.000 Euro.

Der Vater (39), die Mutter (39) und ihre zwei drei und sechs Jahre alten Kinder waren am Sonntagabend, gegen 18.45 Uhr, mit ihrem VW-Touran auf dem Lokstedter Steindamm unterwegs. Der Familienvater fuhr auf der rechten Fahrspur stadteinwärts, als sich in gleicher Fahrtrichtung von hinten und mit hohem Tempo der Audi A7 näherte. „Der Familienvater bemerkte den ankommenden Audi und wollte ihm Platz machen“, sagt Polizeisprecher René Schönhardt. „Vermutlich aufgrund zu hoher Geschwindigkeit konnte der Audi-Fahrer mit seinem Pkw dem Touran nicht mehr ausweichen.“ Der Audi rammte den VW Touran daraufhin derart wuchtig, dass der rund 1,5 Tonnen schwere Familienvan von der Fahrbahn abhob, sich mehrfach überschlug und schließlich auf dem Dach liegen blieb.

Der 39 Jahre alte Vater, seine gleichaltrige Frau und die beiden Kinder erlitten Prellungen. Weil sie stationär im Krankenhaus aufgenommen werden mussten, zählt die Polizei sie als Schwerverletzte; die 25 Jahre alte Beifahrerin des Audi-Fahrers erlitt einen Schock und kam ebenfalls ins Krankenhaus. Unverletzt blieb als einziger der 34 Jahre alte Audi-Fahrer. „Gegen ihn wird wegen Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung ermittelt, sein Führerschein wurde beschlagnahmt“, so Schönhardt weiter. Um den Unfallhergang zu rekonstruieren, seien beide Fahrzeuge sichergestellt worden. Wie schnell der Audi A7 beim Zusammenstoß mit dem Touran wirklich war, müssten nun die Sachverständigen klären.

Noch immer gehören sogenannte „Aggressionsdelikte“ wie zu hohe Geschwindigkeit oder mangelnder Sicherheitsabstand zu den Hauptunfallursachen in Hamburg. Erst vor einem Monat sind zwei junge Menschen getötet und zwei weitere lebensgefährlich verletzt worden, als ein 31 Jahre alter Autofahrer auf der Billstraße aufgrund überhöhter Geschwindigkeit in einer Linkskurve die Kontrolle über sein Auto verlor und frontal gegen einen Baum krachte.

Zwar ist die Zahl der Verkehrstoten rückläufig. 2015 kamen 20 Menschen auf Hamburgs Straßen ums Leben, im Jahr davor waren es noch 38. Seit 1953 – das Jahr, in dem die Hamburger Verkehrsstatistik eingeführt wurde – gab es nie weniger Verkehrstote als 2015. Doch die Polizei hat in den ersten neun Monaten dieses Jahres schon mehr Verkehrstote erfasst als im gesamten Vorjahr. Mit Stand 13. September sind bisher 21 Menschen bei 17 Verkehrsunfällen gestorben: acht Autofahrer, ein Lkw-Fahrer, ein Mofa-Fahrer, fünf Motorradfahrer, ein Radfahrer und fünf Fußgänger.

Ein Viertel der fast 8000 Verkehrsunfälle mit Personenschäden im Vorjahr geht laut Hamburger Verkehrsunfallstatistik auf zu schnelles oder zu dichtes Fahren zurück – nicht selten sind dabei Alkohol oder Drogen im Spiel. Überproportional viele Raser gibt es demnach in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen, auf deren Konto im Vorjahr 11.170 Unfälle gingen. Nach wie vor, so die Polizei, seien hier Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung am ausgeprägtesten. Die extremsten und leichtsinnigsten Fahrer mischen mitunter bei illegalen Autorennen mit – bei denen sie nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen gefährden.

Rund 360 Fahrzeuge nehmen am wöchentlichen Treffen der Cruiser-Szene an einer Tankstelle in Allermöhe teil; beliebte Vollgas-Pisten der rücksichtslosen Raser sind beispielsweise das Gewerbegebiet Billbrook, die Autobahnen 1 und 25 sowie die Bundesstraße 5. In den ersten acht Monaten des Jahres hat die Bußgeldstelle in Hamburg gegen 26 Raser Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen illegaler Autorennen eingeleitet. Der letzte schwere Vorfall liegt nur zwei Wochen zurück, als sich zwei Raser – ein Peugeot-Kombi- und ein BMW-Fahrer – in Stellingen ein halsbrecherisches Kopf-an-Kopf-Rennen mit mehr als 100 km/h lieferten. Auf der Flucht vor der Polizei geriet der berauschte 19 Jahre alte Peugeot-Fahrer dann mehrfach in den Gegenverkehr; andere Fahrzeuge, darunter auch ein Linienbus, mussten ausweichen. Schließlich flüchtete der Fahranfänger mit zwei Insassen im Gräningstieg zu Fuß weiter, konnte aber schließlich von der Polizei festgenommen werden.