Hamburg. Bis zu drei Monate müssen sich Kunden in Hamburg gedulden. Die Betriebe finden kaum noch Personal.

Es war eine Sache von gerade mal 20 Minuten: Anfang Juni hinterließ ein Tornado im Hamburger Nordosten eine Schneise der Verwüstung. In Farmsen-Berne deckte der Sturm zahlreiche Dächer ab, riss Dachkonstruktionen ein. Besonders betroffen war der Tegelweg. Gut drei Monate später sind noch nicht alle Schäden behoben. Einige Anwohner leben weiterhin in Ersatzwohnungen.

„Wir haben so viel zu tun, dass wir es nicht früher geschafft haben“, sagt Matthias Garling, Chef der Dachdeckermeister Garling GmbH. Die Notmaßnahmen hat er nach Abschluss der Versicherungsprüfung in seine enge Zeitplanung gequetscht. „Wir versuchen es hinzubekommen“, sagt der Dachdeckermeister. Gerade reparieren seine Leute das Dach eines Mehrfamilienhauses, ein Hochhaus nebenan wird gerade eingerüstet.

Dachdecker dringend gesucht. Wer in diesen Tagen Dacharbeiten in Auftrag geben will, muss lange im Voraus planen. „Die Betriebe sind sehr gut ausgelastet“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Hamburger Dachdecker-Innung, Walter Wohlert. Ähnlich wie in anderen Baugewerken sei es in diesem Jahr noch mal schwieriger geworden, einen Termin zu bekommen. „Notfälle werden aber erledigt“, so Wohlert. Im ersten Halbjahr 2016 betrug die Auslastung nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks im Schnitt 9,4 Wochen, beim Ausbauhandwerk – zu dem die Dachdecker gehören – waren es 7,9 Wochen.

„Für mich ist für dieses Jahr Schluss, ich kann keine weiteren Aufträge mehr annehmen“, sagt Marco Zahn, Chef der Bramfelder Bedachungs GmbH und Obermeister der Dachdecker-Innung. Kam in früheren Jahren der Dachdecker innerhalb von wenigen Wochen, liegt die Wartezeit für größere Maßnahmen auch in Hamburg aktuell zwischen zwei und drei Monaten. Gründe sind der durch die Niedrigzinsphase aus­gelöste Bauboom und der Fachkräftemangel.

Die Zahlen sprechen für sich: 2015 verzeichneten die Hamburger Dach­decker nach Angaben des Statistikamts Nord eine Umsatzsteigerung um 3,2 Prozent im Vergleich zu 2014. Im gleichen Zeitraum war die Zahl der Beschäftigten um zwei Prozent gesunken. Bis Juni dieses Jahres beträgt das Umsatzplus sogar weitere 5,9 Prozent. „Früher haben wir um Aufträge gekämpft, jetzt kämpfen wir um Mitarbeiter“, sagt Zahn. In anderen Regionen habe es sogar schon Fälle gegeben, in denen Headhunter versucht hätten, gezielt Gesellen aus Unternehmen abzuwerben.

Erstmals Nachhilfe für Prüflinge

Derzeit gibt es in Hamburg noch etwa 360 gewerbliche Arbeitnehmer in Dachdeckerbetrieben. In den vergangenen 15 Jahren ist die Zahl von 1100 Beschäftigten um zwei Drittel gesunken.

Hintergrund ist eine Schließungswelle Anfang der 2000er-Jahre. Viele Unternehmen hatten damals aufgegeben, unter anderem auch weil die Konkurrenz aus Mecklenburg-Vorpommern deutlich günstigere Angebote machte. Aktuell gibt es in der Hansestadt noch 90 Dachdeckerbetriebe (Stand zum Ende des Jahres 2015). Auch Dach­decker Marco Zahn hat nur noch fünf bis sechs Mitarbeiter, zehn weniger als in früheren Jahren. „Wir würden gern wieder einstellen, aber wir finden niemanden“, sagt er. Trotz tariflicher Stundenlöhne von 18,50 Euro im Schnitt und anstehender Tarifverhandlungen.

Viele würden von der schweren körperlichen Arbeit abgeschreckt, sagt der 45-Jährige. Das fängt schon in der Ausbildung an. „Wir verlieren in den ersten drei Monaten im Schnitt ein Viertel der Lehrlinge“, sagt der Obermeister. Bis zur Gesellenprüfung springen weitere 30 Prozent ab. In diesem Jahr haben 17 Auszubildende an der Prüfung teilgenommen, davon sind fünf durchgefallen. „Und das war ein gutes Jahr“, sagt Zahn. Dabei haben nicht nur Dachdecker solche Nachwuchsprobleme. Laut Berufsbildungsbericht der Bundesregierung blieben im vorigen Jahr deutschlandweit 41.000 Lehrstellen unbesetzt - das war der höchste Stand seit 1996.

Um den Nachwuchs zu fördern, entwickelt die Hamburger Dachdecker-Innung jetzt neue Wege. So wird im nächsten Jahr erstmals Nachhilfe für die Prüflinge angeboten. Trotzdem: So schnell wird sich die Situation angesichts der Personalknappheit nicht ändern, da sind sich die Experten einig. „Wir können nur einen Auftrag nach dem anderen abarbeiten“, sagt Dachdecker Zahn. Vier bis sechs Wochen veranschlagt er für ein neues Dach eines Einfamilienhauses. Die Kosten liegen zwischen 28.000 und 35.000 Euro. Also hat das Handwerk tatsächlich goldenen Boden? Der Chef des Bramfelder Bedachungsbetriebs winkt ab. Klagen will er aber nicht.

Der Handwerksmeister hat gerade ein ganz anderes Problem: Er will noch in diesem Jahr in seinem Haus eine neue Heizungsanlage einbauen lassen. „Ich hoffe, ich finde einen Installateur, der das macht.“ Die haben nämlich ähnlich volle Auftragsbücher.