Hamburg. Gelingt einem Schneckenforscher, woran schon Loki Schmidt und viele andere scheiterten? Der Biologieprofessor Matthias Glaubrecht kam aus Berlin zurück in seine Heimatstadt, um die versteckten Schätze der Universität angemessen zu präsentieren. Nun wartet er auf ein Bekenntnis aus der Politik – und sucht Mäzene
Es war an einem warmen Abend im Juli, da saß Matthias Glaubrecht zur blauen Stunde mit einem alten Arbeitskollegen aus Berlin in einem Restaurant am Hafen. Sie blickten auf den kühnen Bau der Elbphilharmonie, der nach vielen Querelen vollendet ist. Plötzlich begann in der Nähe ein Feuerwerk. Glaubrecht vergaß für einen Moment, dass er eigentlich um Tipps für seine schwierige Mission bitten wollte. Er holte sein Smartphone hervor, schoss ein Dutzend Fotos. Hamburg, seine Heimatstadt, machte gerade richtig was her.
Sonst arbeitet Glaubrecht sich eher an Hamburg ab. Er hat kühne Pläne, aber es geht nur langsam voran. Der 53- Jährige ist Schneckenforscher, da muss man warten können. Trotzdem verliert er langsam die Geduld. Seit zwei Jahren leitet Glaubrecht das Centrum für Naturkunde (CeNak), zu dem unter anderem das Zoologische Museum der Universität Hamburg gehört. Untergebracht in einem maroden 70er-Jahre-Gebäude aus Waschbeton, hat es wenig gemein mit Glaubrechts früherer Wirkungsstätte, dem Naturkundemuseum in Berlin. Dort baute der Biologieprofessor als Mitglied des Direktoriums von 2006 bis 2009 die Abteilung Forschung auf.
Die populäre Einrichtung – jedes Jahr kommen rund 500.000 Besucher – zeigt nicht nur multimediale Ausstellungen, sondern gewährt auch Einblicke in die Forschung der Mitarbeiter. Ein solches Museum, das Naturkunde zeitgemäß und anschaulich vermittelt, möchte Glaubrecht auch nach Hamburg bringen. Nur deshalb kam der Wissenschaftler, der in der Hansestadt studierte und promovierte, 2014 aus Berlin zurück – weil ihn die Herausforderung reizte, etwas zu schaffen, was andere schon vor Jahrzehnten vergeblich versucht hatten.
Einst besaß Hamburg ein eigenes Naturkundemuseum. Es befand sich am Steintorwall nahe dem Hauptbahnhof. Wäre es im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört worden, es würde am Sonnabend sein 125-jähriges Bestehen feiern. Heute steht an seiner Stelle ein Elektrogroßmarkt.
Seit seinem Amtsantritt hat Matthias Glaubrecht 17 neue Mitarbeiter angestellt, davon zwei für Pressearbeit und Fundraising; er hat Schriftsteller und Forscher zu öffentlichen Lesungen eingeladen („Literatur trifft Natur“), er hat neue Internetseiten erstellen lassen, auf denen über Forschungsprojekte seiner Mitarbeiter etwa an der Ostsee, in Thailand und im pazifischen Kamtschatka-Graben informiert und neuerdings der „Schatz des Monats“ präsentiert wird, etwa eine australische Springspinne. Dabei handelt es sich um besondere Exponate aus der zoologischen Sammlung der Uni Hamburg, die schätzungsweise zehn Millionen Objekte umfasst.
Davon sind allerdings nur 1300 Exponate im Zoologischen Museum zu sehen – für mehr ist auf 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche kein Platz. Die meisten Stücke lagern in Kellern und Magazinen. Auch das Geologisch-Paläontologische und das Mineralogische Museum, die in anderen Gebäuden untergebracht sind, können nur eine Auswahl von insgesamt 100.000 Fossilien und 90.000 Mineralien zeigen.
Die Sammlungen sind ein Archiv des Lebens
Dabei verfügt das Zoologische Museum über „eine der bedeutendsten zoologischen Sammlungen in Deutschland“, urteilte bereits 2009 der Wissenschaftsrat (WR), das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium hierzulande. Insbesondere die Objekte im Bereich der Meeresbiologie zeichneten sich „durch einen hohen wissenschaftlichen Wert aus“ und seien „insgesamt sehr gut erschlossen und gepflegt“, heißt es in der Stellungnahme, die damals auf Bitten der Stadt Hamburg entstand. Insgesamt attestieren die Gutachter der Hamburger Einrichtung eine „umfassende taxonspezifische Kompetenz“.
Was für Nicht-Biologen kryptisch klingt, heißt vereinfacht Folgendes: Taxonomen, wie sie auch im Zoologischen Museum arbeiten, ordnen Tiere, Pflanzen und andere Lebewesen in einer Systematik. Durch ihre Arbeit lassen sich Arten unterscheiden, wird der Verlauf der Evolution nachvollziehbar. Deshalb würde Glaubrecht ein neues Naturkundemuseum „Evolutioneum“ nennen.
Die Häufigkeit der Leihanfragen und Besuche von Gastwissenschaftlern in Hamburg zeigten, dass das Zoologische Museum „seine Aufgaben im Dienst der Fachöffentlichkeit überzeugend erbringt“, urteilten die WR-Gutachter damals. Ungleich schlechter sei die Präsentation für die Öffentlichkeit: „Die Ausgestaltung der Schausammlung weist erhebliche Defizite auf und stößt auf ein geringes Besucherinteresse.“
Zwar soll das Zoologische Museum ein gläsernes Eingangsfoyer erhalten, und Glaubrecht will die Ausstellung umstrukturieren, die unterhaltsame Geschichte vieler Exponate erzählen, ihren Bezug zu Hamburg stärker herausstellen. Zum Beispiel das präparierte Panzernashorn Nepali aus Indien. Es war zu seinen Lebzeiten in Hagenbecks Tierpark untergebracht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Briten das Tier mitnehmen. Doch ein Tierpfleger verstreute Tigerkot in dem Transportcontainer, weshalb das Nashorn sich auch unter großen Anstrengungen nicht hineinbugsieren ließ. Die Briten gaben auf.
Glaubrecht sieht solche Schritte aber als Mindestmaßnahmen; er würde gerne mehr zeigen und Zoologie, Paläontologie und Mineralogie unter einem Dach zusammenführen.
Für eine solche „große Lösung“ hatte sich schon Loki Schmidt starkgemacht. Sie schlug zuerst einen Gebäudekomplex an der Marseiller Straße vor. Ohne Erfolg, eine Finanzierung schien aussichtslos. Heute residiert dort die Bucerius Law School. Auch den alten Wasserturm an der Sternschanze nahm Schmidt ins Visier – heute befindet sich dort ein Hotel. Und den Kaischuppen 50 A schlug sie als Standort vor – heute steht dort das Hafenmuseum.
Hamburgs früheres Naturkundemuseum ging während der „Operation Gomorrha“ im Juli 1943 unter den Bomben der Alliierten in Flammen auf – und mit ihm die ganze Ausstellung. Ein Teil der Sammlungen war aber ausgelagert worden und konnte gerettet werden. Unter anderem mit Exponaten aus Privatsammlungen wuchs der Schatz wieder. Heute gehört er der Universität.
Bis zu seiner Zerstörung sei das Hamburger Naturkundemuseum nach Berlin das zweitgrößte Museum dieser Art in Deutschland und lange das meistbesuchte gewesen, sagt Glaubrecht.
Könnte ein neues Naturkundemuseum nicht ähnliche Sogwirkung entfalten? „Wir brauchen dieses Museum, in dem alle Generationen lernen sollen, pfleglich mit der Natur umzugehen“, sagt Uni-Präsident Dieter Lenzen. „Denn ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft. Das gilt auch für die Natur. Die Sammlungen beantworten die Fragen der Wissenschaft von morgen.“
Wie könnte ein neues Naturkundemuseum aussehen, wo könnte es stehen? Vor einiger Zeit trat Lenzen an die Hamburger gmp-Stiftung heran, die vom Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner gegründet wurde. Diese fördert herausragende Nachwuchsarchitekten. In einem Workshop der Academy for Architectural Culture (aac) erarbeiteten 32 Stipendiaten acht Entwürfe. Drei davon gehen vom Umbau eines bestehenden Gebäudes aus; fünf Entwürfe zeigen verschiedene Konzepte für einen Neubau auf dem Baakenhöft in der HafenCity.
Ein Neubau-Entwurf zeigt einen Gebäudesockel, der aus den Kaianlagen herauszuwachsen scheint. Dort sind die Forschungslabore und wissenschaftlichen Sammlungen untergebracht. Darüber befinden sich gläserne Hallen, welche die Themenausstellungen beinhalten. Der zweite Neubau-Entwurf arrangiert den Ausstellungsteil unter einer skulpturalen Dachlandschaft, zeigt aber ebenfalls eine Symbiose aus Forschung, Sammlung und Ausstellung.
Die Entwürfe sind nicht auf ihre finanzielle Machbarkeit geprüft. Lenzen und Glaubrecht sehen die Arbeiten als Anregungen; sie hätten die Entwürfe gerne mit der Wissenschaftssenatorin der Öffentlichkeit präsentiert.
Die entscheidende Frage ist: Wer soll das bezahlen? Im Auftrag der Wissenschaftsbehörde hat Glaubrecht mehrere Szenarien ausgearbeitet. Der Bau eines kleinen Museums mit 8000 Quadratmetern Ausstellungsfläche würde ihm zufolge 75 Millionen Euro kosten; 100 bis 120 Millionen veranschlagt er für ein Naturkundemuseum mit 10.000 bis 12.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Für Betrieb, Personal und Instandhaltung rechnet er mit 6,38 Millionen für die kleine und 7,7 Millionen Euro für die große Variante. Die Naturkundemuseen in Stuttgart und Bonn hätten ähnliche Etats, sagt der CeNak-Direktor.
Er schlägt vor, dass die Universität aus ihrem Etat 2,7 Millionen Euro zu den laufenden Kosten eines Evolutioneums beisteuert. Hinzu kommen sollen Einnahmen aus Ticketverkäufen. Glaubrecht rechnet mit bis zu 500.000 Besuchern pro Jahr – also genauso vielen wie beim Berliner Naturkundemuseum. Das wären bei einem Ticketpreis von 5 Euro schon mal 2,5 Millionen Euro. Das fehlende Geld soll aus Zinserträgen aus dem Kapital einer Stiftung generiert werden, die noch zu gründen wäre, so sein Vorschlag. Er ist optimistisch, dass sich bei den Baukosten und der Stiftung Mäzene einbringen werden.
Was fehle, so der CeNak-Direktor, sei ein Bekenntnis der Wissenschaftssenatorin und des Bürgermeisters: Wir wollen das. Das würde es Mäzenen leichter machen, sich zu engagieren.
Glaubrecht ist ein Machertyp, leidenschaftlich und engagiert, aber er tut sich schwer mit hanseatischer Zurückhaltung. Er kann ungnädig sein mit Menschen, die er für fantasielos und bürokratisch hält. Er presche mitunter zu weit vor, heißt es aus dem Umfeld eines Mäzens. In Glaubrechts Umfeld treibt einige die Sorge um, dass ihr Chef die falschen Leute düpieren könnte.
Seit Mai wartet Glaubrecht auf eine Antwort der Behörde
Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) findet zwar Geschmack an der Idee, ein neues Naturkundemuseum zu bauen. Dennoch zögert sie. Offiziell will sie sich noch nicht dazu äußern. Wie es heißt, gibt es in ihrem Haus Zweifel, ob Glaubrecht die Personalkosten realistisch angesetzt hat und nicht mit einem höheren Aufwand zu rechnen ist. Außerdem hält man die Erwartung, pro Jahr bis zu 500.000 Besucher anzuziehen, für zu optimistisch.
Glaubrecht entgegnet: „Wir haben ganz sicher richtig gerechnet und können das besser als die Behörde.“ Und: „Kämen weniger Besucher als erwartet, könnten wir die Preise auf 7 oder 8 Euro erhöhen und wären trotzdem nicht teurer als vergleichbare Museen.“
Fegebank frage sich zudem, ob es genügend politische Akzeptanz für ein neues Naturkundemuseum gebe, heißt es. Ende 2015 hatten Pläne für ein neues Hafenmuseum Gestalt angenommen. Dessen Bau bezahlt zwar der Bund. Aber für die laufenden Kosten müsste die Stadt aufkommen. Und nun soll sie sich für ein Evolutioneum einsetzen? Was, wenn das Stiftungskapital nicht groß genug ist und die Besucherzahlen zu gering, um die Kosten zu decken – müsste dann nicht die Stadt einspringen?
Andererseits sieht Fegebank die Chancen: Mit einem spektakulären Naturkundemuseum könnte sie das Thema Wissenschaft den Bürgern wirkungsvoller näherbringen als etwa mit einer Nacht des Wissens, die nur alle zwei Jahre stattfindet.
Glaubrecht hat sein Papier im Mai der Behörde geschickt; seitdem wartet er auf Antwort. Ein Gespräch mit ihm sei geplant, heißt es aus Fegebanks Umfeld.