Hamburg. Fünfter Teil: Was passiert, wenn das Einkommen der Eltern nicht für ihre Pflege reicht? Wann müssen Töchter oder Söhne zahlen?

Es ist die größte Sorge vieler alter Menschen. Den Kindern zur Last zu fallen, wenn man pflegebedürftig wird. Dies betrifft auch die finanzielle Frage. Was passiert, wenn das eigene Einkommen, das eigene Vermögen nicht reicht, um über Jahre ein teures Pflegeheim zu finanzieren? Wann werden die eigenen Kinder zur Kasse gebeten? Müssen sie am Ende sogar ihr Haus verkaufen? Oder zahlt doch das Sozialamt? Oft dominieren Falschinformationen die Diskussion, verstärken die Ängste. Umso wichtiger ist es, die Grundzüge des Elternunterhalts zu kennen.

Wieso werden die Kinder überhaupt

zur Kasse gebeten?

Soll sich der Staat doch kümmern.

Gerade in der sogenannten Sandwichgeneration – die eigenen Kinder müssen noch unterstützt werden, die Eltern werden pflegebedürftig – liefert diese Frage viel Diskussionsstoff. Die Gewerkschaft Ver.di plädiert für eine Pflegevollversicherung, die alle Kosten deckt. Dies wäre gerechter, würde zudem die Pflegekräfte stärken. Die jetzige Pflegeversicherung ist ja nur eine Art Teilkaskopolice; bundesweit liegt der Eigenanteil der Heimbewohner im Durchschnitt bei 1750 Euro. Viele Experten halten das Ver.di-Konzept jedoch für unfinanzierbar. Zudem würde eine Vollversicherung nur Erbschaften schützen und noch mehr Begehrlichkeiten von Heimen oder anderen Pflegedienstleistern wecken.

Wie funktioniert das mit Zahlung

des Eigenanteils überhaupt?

Etwas vereinfacht gilt folgendes Prinzip: Der Pflegeheimbetreiber stellt den Eigenanteil beim Bewohner in Rechnung. Die Bewohner müssen ihre Einkünfte, zumeist also Renten und Pensionen, für die Zahlung einsetzen. Reichen die Einkünfte nicht aus, muss das vorhandene Vermögen eingesetzt werden. Dies gilt auch für Aktien oder Kapitallebensversicherungen sowie das eigene Haus, das dann verkauft werden muss. Geschont wird nur eine Art Notgroschen, dieser liegt bei rund 2600 Euro. Wenn auch das Vermögen aufgebraucht ist, kann grundsätzlich der Sozialhilfeträger einspringen. Aber: Das Sozialamt muss prüfen, ob Kinder zum Unterhalt herangezogen werden können.

Spielt der Elternunterhalt

eigentlich auch in der Pflege

in den eigenen vier Wänden eine Rolle?

Auch bei Pflege durch ambulante Pflegedienste oder Besuche in Tagespflegeeinrichtungen kann es einen Eigenanteil geben. In der Regel ist dieser aber nicht annähernd so hoch wie in der vollstationären Pflege. Daher stellt sich dieses Problem zumeist nicht. Was auch bedeutet, dass die Mehrzahl der Angehörigen von Pflegebedürftigen nicht betroffen ist. Denn über zwei Drittel werden daheim gepflegt.

Bevor wir ins Heim gehen,

verschenken wir lieber einen Teil unseres Vermögens. Dann müssen wir das

später für die Pflege nicht einsetzen.

Das wird nicht funktionieren. Inzwischen kontrollieren viele Sozialämter sehr genau, ob es in den vergangenen zehn Jahren größere Schenkungen gab. Dann wird der Pflegebedürftige aufgefordert, sich den Wert des Geschenkes zurückzuholen. Laut Verbraucherzen­trale kann dies sogar dazu führen, dass der Enkel seinen Großeltern die Kosten für den Motorradführerschein erstatten muss, den ihm Oma und Opa vor neun Jahren finanziert haben.

Bevor Mama ins Heim kommt,

heben wir mit ihrem Einverständnis noch schnell richtig viel Geld von

ihrem Sparbuch ab. Merkt doch keiner.

Vorsicht, dieser Trick kann böse enden. Auch hier schauen die Sozialämter genau hin. Und wer Falschangaben macht, macht sich strafbar. Alles ist zudem eine Frage der Moral: Die Eltern haben hart für ihr Vermögen gearbeitet. Wenn dies am Ende dazu dienen soll, eine gute Pflege zu finanzieren, ist dies nur recht und billig. Nicht umsonst unterscheidet der bekannte Münchner Pflegekritiker Claus Fussek (großes Interview in der morgigen Ausgabe) gern zwischen Angehörigen und Erben.

Mein Vater wollte die ganzen Jahre

keinen Kontakt mit mir.

Warum sollte ich jetzt für ihn zahlen?

Über diesen Punkt wurde in den vergangenen Jahren oft vor Gericht gestritten, bis hoch zum Bundesgerichtshof. Einhelliger Tenor: Weder Streit noch Funkstille mit den Eltern entbinden von der Unterhaltspflicht. Sogar ein Kind, das von seinem Vater enterbt wurde, kann zum Unterhalt verpflichtet werden. Die Ausnahmen sind extrem eng gesteckt – etwa nach schweren Misshandlungen oder Missbrauch in der Kindheit.

Ich zahle doch schon für

meine Kinder aus erster Ehe Unterhalt.

Wie soll ich jetzt noch für

meine Eltern aufkommen?

Der Gesetzgeber hat dies sehr klar geregelt. Es gibt eine Rangfolge im Unterhaltsrecht. An erster Stelle stehen immer die minderjährigen oder volljährigen Schulkinder bis 21 Jahre, es folgen die Ehegatten oder Lebenspartner, die eigene Kinder betreuen, dann die Geschiedenen aus früheren Ehen. Vor den eigenen Eltern stehen in der Unterhaltsrangfolge sogar noch die Enkel. Bei Kindern aus erster Ehe gilt also: Es muss nur dann für die Eltern gezahlt werden, wenn nach dem Unterhalt für die Kinder noch Einkommen oder Vermögen für Unterhalt zur Verfügung stehen.

Mein älterer Bruder wird pflegebedürftig. Muss ich auch für ihn zahlen?

Nein. Unterhaltspflicht besteht nur in geraden Verwandtschaftslinien, nicht in Seitenlinien wie unter Geschwistern.

Meine Mutter will in ein besonders teures Heim mit einem sehr hohen Eigenanteil ziehen. Muss ich das als gut verdienendes Kind auch mitfinanzieren?

Grundsätzlich gilt: Die Eltern sind nicht verpflichtet, das günstigste Heim zu buchen. Und ein Heim in etwas entfernterer Lage ist nur dann zumutbar, wenn es keine persönlichen Bindungen zum Heimatort gibt. Und die Kinder dürfen laut Verbraucherzentrale auch nicht erwarten, dass Mama oder Papa den Heimaufenthalt trotz einer Pflegestufe gegen ihren Willen hinauszögern, um Kosten zu sparen. Andererseits müssen die Heimkosten im Rahmen bleiben, die Eltern können nicht davon ausgehen, dass ihnen ein besonders luxuriöses Heim finanziert wird.

Mein Bruder lebt in der Nähe seiner

Eltern, hat sich eh immer gekümmert. Ich wohne seit Jahren im Ausland,

da soll der doch jetzt zahlen.

Die geografische Nähe spielt beim Elternunterhalt keine Rolle. Jedes Kind haftet gemessen an seiner wirtschaftlicheen Leistungsfähigkeit für den Elternunterhalt. Es greift dann eine Quotenregelung: Je höher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, desto höher der Anteil am Unterhalt. In der Praxis kann dies dazu führen, dass die gut verdienende Schwester alles zahlt, während ihre Brüder mit einem sehr geringen Einkommen nichts zahlen müssen.

Und wie hoch sind nun die Zahlungen?

Jetzt wird es leider kompliziert, exakte Beispielrechnungen finden Sie im „Großen Hamburger Pflegeratgeber“ (siehe Kasten rechts). Sehr vereinfacht läuft es so: Zunächst wird das sogenannte bereinigte Einkommen des Kindes ermittelt. Abgezogen werden können also etwa Steuern, Sozialabgaben, Aufwendungen für die eigene Altersvorsorge, Unterhaltspflichten oder beruflich bedingte Fahrtkosten. Dazu können auch Ratenverpflichtungen gehören, insbesondere wenn es sich um Immobilien-Darlehen handelt. Dann geht es um den sogenannten Selbstbehalt, also das Geld, mit dem das Kind ein angemessenes Leben führen kann. Dieser Selbstbehalt liegt bei 1800 Euro. Aber: Nicht die gesamte Summe, die über dem Selbstbehalt liegt, muss für den Elternunterhalt eingesetzt werden, sondern nur die Hälfte. Stünde das gesamte Einkommen oberhalb des Selbstbehalts zur Verfügung, würde dies aus Sicht der Verbraucherzentrale dazu führen, dass Gutverdiener über Gebühr belastet würden, zumal sie über ihre höheren Sozialabgaben schon zum Einkommen der Älteren beitragen. Wer also etwa bereinigt als Single 2900 Euro im Monat verdient, müsste 550 Euro für den Elternunterhalt einsetzen (2900-1800= 1100, von dieser Summe die Hälfte, also 550 Euro). Übrigens: Wer zum Elternunterhalt verpflichtet ist, kann die Summe nicht einfach drücken, indem er seine Arbeitszeit reduziert. Dann sollte man nachweisen können, dass diese Entscheidung schon vor der Verpflichtung zum Elternunterhalt getroffen wurde.

Und wie ist das,

wenn man selbst Kinder hat?

Wie schon oben dargestellt, hat der Unterhalt der eigenen Kinder immer Vorrang. Angesetzt werden die Unterhaltskosten aus der Düsseldorfer Tabelle, die eigentlich vor allem für Scheidungskinder relevant ist; diese liegen bei einem achtjährigen Kind und einem Nettokommen von 3500 Euro bei 492 Euro. Diese Kosten können also zusätzlich vom Einkommen abgezogen werden, was bei Familien mit mittlerem Einkommen und mehreren minderjährigen Kindern in der Regel dazu führt, dass sie keinen Elternunterhalt leisten müssen.

Muss der Schwiegersohn

als Top-Verdiener einspringen?

Jetzt wird es noch komplizierter: Wie oben erklärt gilt grundsätzlich, dass nur das eigene Kind zum Elternunterhalt verpflichtet ist. Da der Schwiegersohn aber seiner Frau angemessenen Unterhalt schuldet, kann ein entsprechend hohes Einkommen dazu führen, dass die Ehefrau einen Teil dieses fiktiven Unterhalts für ihre Eltern einsetzen muss. Experten sprechen hier von einer „verdeckten Schwiegerkind-Haftung“. Die Materie ist so komplex, dass es sich hier lohnen kann, anwaltlichen Rat einzuholen. Es gibt Kanzleien, die sich auf Elternunterhalt spezialisiert haben.

Und wann muss ich mein Vermögen

für den Elternunterhalt einsetzen?

Hier ist die Regelung viel günstiger als für die Pflegebedürftigen selbst, die ihr ganzes Vermögen einsetzen müssen. Ganz wichtig: Die selbst genutzte eigene Immobilie kann nicht für den Elternunterhalt angetastet werden. Bei einem großen Vermögen kann es sich also lohnen, vor dem Heimeinzug des Elternteils in eine selbst genutzte Immobilie zu investieren. Zudem gibt es ein Schonvermögen. Als Faustregel sind Rücklagen für die Altersvorsorge von fünf Prozent des Jahresbruttoeinkommens für jedes Berufsjahr ab dem 18. Lebensjahr anzusetzen. Zusätzlich kann diese Summe mit fiktiven Zinsen von vier Prozent aufgestockt werden. Bei einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 60.000 Euro kommen in 20 Berufsjahren 93.000 Euro zusammen, die nicht angetastet werden dürfen. Die Anlageform spielt keine Rolle, es kann auch ein Sparbuch sein. Zudem wird ein „Notgroschen“ von 10.000 Euro zugestanden. Das Bundesgerichtshof hat zudem 2006 einem unterhaltspflichtigen Kind zugebilligt, sich ein Auto für 22.000 Euro zu kaufen, ohne das Schonvermögen anzutasten. Es brauchte das Auto dienstlich.

Muss ich gegenüber dem Sozialamt wirklich alle Einkünfte angeben?

Ja, die Auskunftspflicht gilt uneingeschränkt. Dazu gehören auch Mieteinnahmen oder Sonderzahlungen.

Was ändert sich durch

die Pflegereform 2017?

Viele Heimbewohner werden von einer entscheidenden Änderung profieren. Noch ist es so, dass mit einer höheren Pflegestufe auch der Eigenanteil im Heim steigt, was regelmäßig für Streit sorgt. Damit ist ab 2017 Schluss, ein höherer dann geltender sogenannter Pflegegrad führt nicht mehr dazu, dass der Heimbewohner oder die Angehörigen mehr zahlen müssen. Das Gesetz stärkt jedoch den Vorrang ambulant vor stationär. Wer trotz geringer Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad 1 oder 2) unbedingt in ein Heim ziehen möchte, erhält geringere Leistungen von der Pflegeversicherung, der Eigenanteil wird also in diesen Fällen höher liegen. Allerdings gibt es Bestandsschutz; wer schon in einem Heim lebt, ist davon nicht betroffen.

Was passiert, wenn ich mit dem

errechneten Elternunterhalt nicht

einverstanden bin?

Die Verbraucherzentrale rät, zuerst das Gespräch mit dem Sachbearbeiter zu suchen. Es gibt oft einen Ermessensspielraum, zum Beispiel dann, wenn es einen schweren Krankheitsfall in der Familie gibt – etwa eine krebskranke Ehefrau, wo man sehr viel Geld für alternative Heilmethoden ausgeben möchte. Wer dies glaubhaft vermitteln kann, hat gute Chancen auf eine gütliche Einigung. Erst wenn diese Gespräche scheitern, sollte man über einen Anwalt nachdenken. Bei allem Ärger bitte nicht vergessen: Der Sachbearbeiter macht nur seinen Job.

Lesen Sie morgen: Interview mit demPflege-Kritiker Claus Fussek