Hamburg. An 15 Standorten können Menschen restliche Lebensmittel abgeben oder abholen – immer mehr Hamburger machen mit.

Besonders viel Auswahl haben die beiden älteren Damen an diesem Vormittag nicht mehr, als sie die Türen der beiden Kühlschränke unter dem Balkon des Goldbekhauses in Winterhude öffnen. Zwei Salatköpfe, Kartoffeln und ein Kohl, sowie zwei Packungen Schokoladenpralinen finden sich im Inneren. "Der Durchlauf ist enorm", sagt Christine Maciejewski, die gerade ein paar reife Tomaten in den Kühlschrank gelegt hat. "So eine hohe Nachfrage wie hier, haben wir sonst nirgendwo."

Und sie nimmt stetig zu. Foodsharing nennt sich diese Art des Lebensmitteltausches, der sich in Hamburg wachsender Beliebtheit erfreut. Der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung ist auch in der Hansestadt in jüngster Zeit immer wieder ein Thema. Industrie, Handel, Großverbraucher und Privathaushalte in Deutschland entsorgen jedes Jahr rund elf Millionen Lebensmittel als Abfall. Im Schnitt wirft jeder Bundesbürger demnach mehr als 80 Kilogramm weg.

15 Tauschstationen allein in Hamburg

Immer mehr Hamburger wollen dabei nicht mehr mitmachen. Die Facebook-Gruppe "Foodsharing Hamburg" hat inzwischen mehr als 7500 Mitglieder. Während einige ihre überschüssigen Lebensmittel von Interessierten zu Hause abholen lassen, werden vermehrt auch sogenannte Fair-Teiler-Stationen eingerichtet, wo Lebensmittel abgegeben und abgeholt werden können. Das Prinzip dabei ist simpel: Lebensmittel, die noch essbar sind, die man aber selbst nicht mehr braucht, können dort abgelegt werden. Umgekehrt kann sich jeder etwas aus dem Kühlschrank nehmen, worauf er oder sie Hunger hat. Über die Internetseite foodsharing.de wird bekanntgegeben, wo es was zu holen gibt.

15 dieser bundesweit rund 100 Lebensmittel-Tauschstationen gibt es inzwischen im Raum Hamburg, die neuste davon im Stadtteil Winterhude. Auf dem Innenhof des Goldbekhauses stehen seit einigen Monaten zwei Kühlschränke, ein Schrank für Brot und Brötchen, sowie ein Bücherregal. Der Strom für die beiden Kühlschränke wird von dem Kulturzentrum bereitgestellt. "Der Standort ist sehr beliebt", sagt Christine Maciejewski, die sich seit zwei Jahren bei den Lebensmittelrettern engagiert und mittlerweile als Foodsharing-Botschafterin in Hamburg fungiert.

Ehrenamtliche sammeln Lebensmittel ein

Rund 1434 sogenannte Foodsaver gibt es inzwischen in Hamburg, von denen rund 1100 derzeit aktiv sind. Damit der Lebensmitteltausch problemlos funktioniert, helfen sie die öffentlichen Kühlschränke sauber zu halten und regelmäßig zu reinigen. Neben Privatpersonen, die überschüssige Lebensmittel vor Ort ablegen, holen die Ehrenamtlichen auch übrig gebliebene Lebensmittel von Läden und Betrieben aus der Umgebung ab und bringen sie zum Tauschplatz. "An manchen Tagen haben wir mehr Lebensmittel als wir unterbringen können. Die Kapazitäten werden knapp", sagt Christine Maciejewski. So landen in den Kühlschränken am Goldbekhaus häufig auch Lebensmittel von nahegelegenen Märkten, Gastronomie- oder Handelsbetrieben wie Kaufland, Bio Company oder Erdkorn.

Ganz ohne Regeln funktioniert das natürlich nicht. Während die Behörden in Berlin strenge Anforderungen an die" Fair-Teiler" stellen, um Nutzer vor möglichen Gesundheitsgefahren zu schützen, sieht die Hamburger Gesundheits- und Verbraucherschutzbehörde indes keinen Handlungsbedarf. Es gebe keine behördliche Anordnung zum Tausch von Lebensmittel, so ein Sprecher der Behörde. "Der gesunde Menschenverstand sollte ausreichen, um einschätzen zu können, bei welchen Lebensmitteln es sinnvoll ist, sie zu tauschen." Die Bezirke könnten selbst entscheiden, ob sie die Aufstellung sogenannter Fair-Teiler untersagen.

Kühlschränke werden regelmäßig kontrolliert

Damit es erst gar keinen Ärger mit den Behörden gibt, haben die Hamburger Lebensmittelretter selbst einige Regeln verfasst, welche Lebensmittel getauscht werden dürfen und welche nicht. Generell gilt, dass Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, weitergegeben werden dürfen. "Dieses Datum wird nämlich vom Hersteller festgelegt. Ist es überschritten, kann das Produkt in den meisten Fällen dennoch eine begrenzte Zeit lang ohne Risiko verzehrt werden", sagt Christine Maciejewski.

Anders sieht es jedoch beim Verbrauchsdatum aus: Leicht verderbliche Lebensmittel wie rohes Fleisch oder Fisch, die mit dem Zusatz "Zu verbrauchen bis" gekennzeichnet sind, dürfen demnach nicht weitergegeben werden, da sie nach Überschreiten des Verbrauchsdatums pathogene Keime und Bakterien entwickeln können. Speisen und Gerichte wie Nudel- oder Kartoffelsalate und Torten dürfen nur gekühlt weitergegeben werden. Lebensmittel wie Hackfleisch oder Speisen mit rohen Eiern dürfen prinzipiell nicht getauscht werden, sagt Maciejewski. „Wir haften für den Fair-Teiler, daher müssen wir immer auf diese Regeln achten.“

Fair-Teiler am Isemarkt entfernt

Pro Fair-Teiler kümmert sich daher ein Team von zwei bis vier Personen darum, die Lebensmittelschränke mehrmals die Woche zu kontrollieren. Jedoch gebe es immer wieder Schwierigkeiten, räumt Christine Maciejewski ein. „Manche benutzen die Fair-Teiler leider auch als Müllablage.“ So würden teilweise auch immer wieder verdorbene Lebensmittel vor Ort abgelegt. "Daher ist es umso wichtiger, dass wir regelmäßig einen Blick auf die Fair-Teiler werfen."

Bislang mussten die Behörden erst einen Fair-Teiler am Isemarkt entfernen. "In dem Regal lagerten Kartoffeln über mehrere Tage, bis sie bereits Sprossen bildeten", heißt es zur Begründung aus dem Bezirksamt Eimsbüttel. "Da an dem Regal der Aufsteller nicht ersichtlich war, wurde ein Zettel mit Fristsetzung angebracht." Nach Ablauf der Frist habe man das Regal entfernt.

"Es melden sich zwar immer mehr Menschen, die mitmachen wollen, doch nur wenige sind bereit, dauerhaft Verantwortung für einen Fair-Teiler in ihrer Nähe zu übernehmen", sagt Foodsharing-Botschafterin Christine Maciejewski. Sie wünscht sich daher, dass jeder, der einen Fair-Teiler nutze, sich auch ein Stück weit dafür verantwortlich fühle. „Wir verteilen gerne Lebensmittel und möchten dabei möglichst vielen Personen eine Freude bereiten“, sagt Christine Maciejewski. „Wenn sich jeder an die Regeln hält und wir einander mit Acht und Respekt begegnen, ist Lebensmitteltausch eigentlich ganz einfach."