Hamburg. Oberarzt Dr. Holger Jahn testet am UKE jährlich 600 Patienten mit Verdacht auf Demenz. Ein Gespräch über erste Anzeichen und Therapien.

Die Tränen kommen oft, wenn Dr. Holger Jahn, Oberarzt des UKE, bittet, das Zifferblatt einer Uhr zu zeichnen und dabei die Zeiger auf 11.10 Uhr zu stellen. Minutenlang mühen sich manche Betroffene ab, krakeln verzweifelt Hilfslinien auf das Papier – und geben dann doch auf.

Der Uhrentest gehört zum festen Bestandteil der Gedächtnissprechstunde in Eppendorf; hier und in neun weiteren Kliniken in Hamburg können sich Patienten mit Verdacht auf Demenz testen lassen. Das Abendblatt sprach mit Jahn, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.

Herr Dr. Jahn, Demenz gilt als Krankheit älterer Menschen. Der Fall Veronika Winter zeigt indes, dass auch Patienten mit Anfang 50 betroffen sein können.

Dr. Holger Jahn: Diese Fälle sind zum Glück eher selten, weniger als zwei Prozent aller Demenzerkrankungen fallen auf das Alter unter 65 Jahren. In Deutschland gibt es ungefähr 20.000 bis 24.000 Betroffene. Der jüngste Patient, bei dem wir in der Gedächtnissprechstunde im UKE eine Demenz diagnostiziert haben, war gerade 25 Jahre alt. Der Anteil vererbbarer Demenzen ist bei jungen Menschen deutlich höher.

Für junge Menschen muss dieser gesundheitliche Einschnitt besonders hart sein.

Das stimmt, oft stehen sie noch im Berufsleben, haben mitunter auch noch kleine Kinder. Da können auch finanzielle Probleme entstehen.

Wäre es nicht besser, man würde Demenzkranke gar nicht über ihr gesundheitliches Problem informieren? Heilbar ist Demenz ja ohnehin nicht.

Nein, jeder Mensch hat das Recht, die Diagnose zu erfahren. Er kann dann seine Dinge ordnen, entscheiden, wie es beruflich und familiär weitergehen soll. Zudem ist Demenz sehr wohl behandelbar. Ich bin überzeugt, dass es in Zukunft immer besser gelingen wird, den Krankheitsverlauf weiter hinauszuzögern.

Wird etwa die Alzheimer-Krankheit in einen frühen Stadium diagnostiziert, können viele betroffene Patienten mit den geeigneten Therapien und Medikamenten oft noch über Jahre ein autarkes Leben ohne große Einschränkungen führen. Deshalb lautet mein wichtigster Rat: Konsultieren Sie bei den ersten typischen Demenz-Symptomen einen Arzt.

Was sind typische Anzeichen einer Demenz?

Dazu gehören ausgeprägte Vergesslichkeit oder Verwirrtheit, Sprach- und Orientierungsprobleme, unerklärliche Stimmungs- und Verhaltensänderungen. Je früher die Therapie einsetzt, desto besser können wir den Krankheitsverlauf beeinflussen. Zudem gibt es immer wieder Fälle, wo gar keine demenzielle Erkrankung vorliegt.

Die Einnahme von Schlafmitteln über einen langen Zeitraum kann Symptome auslösen, die der Demenz durchaus ähneln. Werden die Schlafmittel abgesetzt, verschwinden diese zumeist binnen weniger Wochen. Auch Depressionen können die Konzentration mindern, klassisches Symptom einer demenziellen Erkrankung.

Kommen Betroffene eigentlich aus eigenem Antrieb zu Ihnen? Oder werden sie von Angehörigen überredet?

Es gibt sehr wohl Menschen, die spüren, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist, und die sich dann von sich aus bei uns melden. Manche kommen sogar von weit her, obwohl es auch in ihrer Nähe eine entsprechende Einrichtung gibt. Aber sie befürchten, dass sich dann in ihrem Umfeld ihre Krankheit herumsprechen könnte, leider ist Demenz in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabu. Ich bedauere das sehr. Wir beobachten auch oft, dass Angehörige ihr Familienmitglied über Monate überreden mussten, einen Arzt zu konsultieren.

Wie läuft eine Untersuchung bei Ihnen ab?

Nach einer klinischen Untersuchung sprechen wir ausführlich über die Krankheitsgeschichte. Dann machen wir mehrere Tests zur Gedächtnisleistung. Wir nennen zum Beispiel drei Begriffe und fragen diese ein paar Minuten später wieder ab. Das Zeichnen einer bestimmten Uhrzeit auf einem Zifferblatt gehört auch dazu. Dies alles dauert ungefähr zwei Stunden. Bei Bedarf vereinbaren wir weitere Termine, wo wir dann etwa Schichtaufnahmen des Gehirns machen oder das Nervenwasser untersuchen.

Wie reagieren die Patienten auf die Diagnose Demenz?

Das ist völlig unterschiedlich. Es gibt Betroffene, die sind erleichtert, weil sie endlich Klarheit haben. Andere weinen und sind verzweifelt. Aber jeder kann sich darauf verlassen, dass wir uns Zeit für intensive Gespräche nehmen.

Gibt es Betroffene, die mit Selbstmordgedanken reagieren?

Wir untersuchen 600 Patienten jedes Jahr. Aber wir haben noch niemanden durch einen Suizid verloren. Eine Botschaft ist mir da ganz wichtig: Die Diagnose Demenz bedeutet einen schweren Einschnitt. Aber das Leben ist nicht vorbei, auch Demenzkranke können ganz viel Freude am Leben haben.

Kann man der Demenz vorbeugen?

Auch mit einer noch so gesunden Lebensweise kann man das Risiko einer Demenz nicht völlig ausschalten. Aber die Forschung zeigt, dass es Risikofaktoren gibt. Dazu zählt vor allem das Rauchen. Nikotin beschleunigt die Verkalkung der Gefäße, was die Gefahr von Durchblutungsstörungen erhöht – und damit auch das Risiko einer vaskulären, also gefäßbedingten Demenz. Das gilt auch für Bluthochdruck und eine falsch eingestellte Zuckerkrankheit. Eine ausgewogene Ernährung mit regelmäßig Fisch sowie viel Bewegung wirken dagegen vorbeugend. pw