Weggefährten erinnern an Henning Voscherau. Heute: Ortwin Runde

Zum letzten Male traf ich Henning vor etwa zwei Monaten im Universitätskrankenhaus Eppendorf. Ich, nach einem Schlaganfall der Rekonvaleszent, er, der seine heimtückische Erkrankung zu meistern suchte. Es war ein sehr emotionaler Moment, der sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt hat. Wir sprachen über unsere Erkrankungen, wir sprachen über Gemeinsames und natürlich überhaupt nicht über einen Abschied.

Ich trauere um Henning Voscherau.

Ich trauere um ihn als Menschen und als Sozialdemokraten. Als Menschen haben wir es uns immer einfach gemacht, als Sozialdemokraten in der Diskussion um die für Hamburg und die Menschen beste Politik war es nicht immer ganz einfach, wohl aber war es stets offen und von gegenseitigem Vertrauen zueinander geprägt – auch, wenn die veröffentlichte Meinung eher Lust darauf verspürte, lieber den Dissens denn den Konsens darzustellen.

Was bleibt? Mehr als genug, denn mit Henning Voscherau ist einer der profiliertesten Hamburger Politiker der Nachkriegszeit verstorben. Doch um ein möglichst gerecht werdendes Bild dieses politisch-strategischen Kopfes zu zeichnen, bedarf eines tieferen Rückgriffs.

Voscherau war immer für eine politische Überraschung gut

Dazu ist es aber zunächst erforderlich, den Blick über Hennings Zeit als Erster Bürgermeister hinaus zu richten. Als Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion setzte er bis 1988 sechs Jahre lang im „Eisernen Dreieck“, gemeinsam mit dem Ersten Bürgermeister Klaus von Dohnanyi und mir als Landesvorsitzendem der SPD, wesentliche sozialdemokratische Akzente. Um nur ein Beispiel zu nennen: die Übernahme der Neuen Heimat durch die SAGA; so wurden Zehntausende von Mietern nicht dem freien Wohnungsmarkt ausgeliefert – und das, als wir uns in einer Koalition mit der FDP befanden. Dabei bewahrte er sich – als Chef der Regierungsfraktion! – eine gelegentlich auch sehr kritische Distanz zum Senat, etwa während der Arbeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu Missständen bei der Stadtreinigung.

Zu erinnern ist auch Voscheraus Politik der Elbe, die, von Klaus von Dohnanyi eingefädelt, zu einer frühen Verbindung nach Dresden und Prag führte. Unvergessen, wie er unmittelbar nach der Wende mit einem ganz anderen Kurs dafür sorgen wollte, Persönlichkeiten wie Hans Modrow und Wolfgang Berghofer auch im vereinten Deutschland eine politische Chance zu geben. Und wie er die Möglichkeiten erkannte, die daraus entstanden, dass Hamburg nun sein fast 50 Jahre lang verloren geglaubtes Hinterland wiedergewinnen würde.

Bei diesem immer über Hamburg hinaus gerichteten Ansatz sah sich Voscherau in einer Kontinuität mit all seinen Vorgängern von Max Brauer bis Klaus von Dohnanyi; sie haben es wie seine sozialdemokratischen Nachfolger verstanden, stets Hamburgs Einfluss im Bund (Föderalismus, Länderfinanzausgleich), in Europa (Airbus) und auch in der Welt (internationale Wirtschaftsansiedlungen) zu stärken und damit die Interessen Hamburgs zu wahren.

Sehr sozialdemokratisch war auch sein Wirken in der Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik. Ich erinnere mich deutlich, wie wir mit gegenseitigem Vertrauen gemeinsam gewirkt haben, etwa bei den extrem sensiblen Vorbereitungen für die Hafencity – ich war damals als Finanzsenator auch für die Liegenschaften verantwortlich – die nötigen Grundstücke verfügbar zu machen, um jeder Spekulation vorzubeugen. Und auch bei den aus heutiger Sicht kaum noch vorstellbaren Sparrunden des Hamburger Haushaltes in den 1980er und 1990er-Jahren war es so: Sie kamen nur zustande und waren nur erfolgreich, weil zwischen dem Ersten Bürgermeister und seinem Finanzsenator Einverständnis und Vertrauen bestand mit dem Ziel, Sparen als klugen Prozess zu verstehen und dabei immer im Bewusstsein zu haben, dass nur Reiche sich einen armen Staat leisten können.

Und Henning Voscherau war auch immer für Überraschungen gut. So etwa, als er im Sommer 1986 den „Hamburger Kessel“, bei dem mehr als 800 friedliche Atomkraftgegner von der Polizei über Stunden eingekesselt worden waren, als „staatliche Geiselnahme“ bezeichnete – später bestätigten Gerichte diese Rechtsauffassung, die auch Teile des Senats vortrugen.

Dieses an Facetten überreiche Bild rundete sich ab, als in den vergangenen Jahren eine Freundschaft zwischen uns gedieh. In nächster Zeit wollten wir beide uns noch mit unserem Nachfolger Olaf Scholz treffen. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen. Mein Beileid und mein Mitgefühl gelten seiner Familie und seinem Freundeskreis.