Hamburg. 60 Minuten begleitet das Abendblatt einen Hamburger an seinem Arbeitsplatz. Teil 14, 13–14 Uhr: Dungeon-Darsteller Emanuel Möllers.
Schon wenn Emanuel Möllers auf den Eingang zugeht, bekommt er eine Ahnung davon, ob es ein harter Arbeitstag wird oder ob Muße bleibt für kleine Entspannungspausen. Wenn die Schlange lang ist, weiß er, dass er wenig Zeit haben wird, sich zwischendurch auszuruhen. Dann geht es Schlag auf Schlag, stundenlang, denn im Hamburg Dungeon werden alle sieben Minuten bis zu 36 Besucher eingelassen und durch die Show geleitet. Sie begeben sich auf eine 90-minütige Reise durch etwa 600 Jahre hamburgischer Geschichte mit echten Darstellern und schaurigen Spezialeffekten.
Der 27-jährige Möllers ist Schauspieler in der Gruselshow. Als er zum Dienst erscheint – in weißem Hemd und heller Strickjacke –, könnte man ihn für einen Studenten halten. Doch wenn er seine Maskerade beendet, hat man einen Typen vor sich, der aussieht, als sei mit ihm nicht gut Kirschen essen.
Bis zu 24 Schauspieler sorgen täglich für die Portion Grusel
Maximal 24 Schauspieler sind im Dienst – mit wechselndem Arbeitsbeginn. Emanuel Möllers’ Schicht fängt um 13 Uhr an. Die Garderobe ist kleiner als erwartet. Möllers geht in den Nebenraum, wo die Kostüme hängen, und tauscht Hemd und Hose gegen Kleidung mit entsprechender Patina. Das Hemd hat Biesen und ist zerknittert, der braune Ledermantel hat große Löcher, die Hosenbeine steckt er in ein Paar Lederstiefel. „Jeder hat hier seine eigene Figur und zwei bis drei komplette Outfits“, sagt Möllers.
Wider Erwarten gibt es keine Maskenbildner. Die Darsteller schminken sich selbst. Die Farben stehen vor dem großen Spiegel am Schminktisch für alle bereit, „aber jeder Schauspieler bringt seine eigenen Pinsel mit“, erzählt Möllers, der routiniert an die Farbtiegel geht. „Das ist learning by doing. Den Frauen fällt es natürlich leichter, aber das, was ich jetzt hier mache, mache ich ja mittlerweise fast täglich.“ Erst wischt sich der Schauspieler mit einem Schwämmchen helle Farbe in sein Gesicht, „damit es etwas ungesund aussieht“, danach trägt er stellenweise dunkelgraue Farbe auf – auch hinter den Ohren und am Hals, denn in früheren Jahrhunderten hatte man es nicht so mit der Sauberkeit.
Eine halbe Stunde Rüstzeit werden jedem Schauspieler bei Schichtbeginn zugestanden – für das Umkleiden und Schminken. Die ersten fangen um 9.30 Uhr an, die nächsten um 9.45 Uhr. Eine Schicht dauert acht Stunden, davon ist eine Stunde Pause. Dann kommt ein Vertreter, ein sogenannter Springer, auf den jeweiligen Posten und vertritt den Kollegen.
Während sich Möllers dunkle Ränder um die Augen malt und noch ein Rot aufträgt, damit sie blutunterlaufen wirken, hört man immer wieder ein lautes vielstimmiges Kreischen. Die Besucher befinden sich im freien Fall – acht Meter geht es in einem Turm in die Tiefe. Und weil es darin recht dunkel ist, weiß keiner vorher so genau, was ihn erwartet. Umso größer ist das Gekreische.
Möllers trägt ungerührt pastöse rote Farbe als Striemen über die Nase auf, das Ergebnis ist eine täuschend echte Narbe. „Es gibt Kollegen, die sich mit Latexmilch offene Wunden schminken“, sagt er und grinst. „Wir waren früher blutiger“, sagt Linda Best vom Marketing des Dungeon. Im Jahr 2013 sei das Konzept etwas geändert worden. „Es ist nun familientauglicher, es gibt weniger Blut, mehr Witz, aber immer noch Grusel“, so Best.
Die Besucher müssen mindestens zehn Jahre alt sein, bis 14 Jahre haben sie nur in Begleitung eines Erwachsenen Zutritt. Immer wieder gebe es Besucher, die dem Nervenkitzel nicht standthielten, sagt Best. Für kleine Krisen hält das Dungeon Traubenzucker und Wasser zur Erstversorgung bereit, für größere Gesundheitsprobleme würden die Sanitäter des benachbarten Miniatur Wunderlands gerufen. „Manchen Leuten wird schwummrig, andere haben Platzangst, manche haben Angst und wollen raus“, sagt Best.
Fünf bis zehn Minuten – länger dauert das Schminken nicht
Fünf bis zehn Minuten braucht Möllers üblicherweise, bis sein Gesicht so richtig schön ungesund und fies aussieht. Bleibt noch Zeit für einen Kaffee, bis er seinen Posten beziehen muss. Der 27-Jährige übernimmt täglich bis zu vier Positionen: Mal ist er ein Zuchthausinsasse aus dem 19. Jahrhundert, mal ein Schankwirt, der Piraten sucht, damit sie Störtebeker retten, dann wiederum ist er ein Pestarzt von 1713 oder ein Brandstifter beim Feuer 1842.
Heute wird Möllers Einsätze im Zuchthaus und als Schankwirt am Hafen haben. Der Schauspieler packt sich noch einen kleinen Stoffbeutel mit Bonbons („für die Stimme“), Wasser und seinem Handy („das ist aber ausgeschaltet) und macht sich durch mehrere Hintertüren auf den Weg zum Einsatzort. In einer kleinen Kammer mit einer Holzbank deponiert er seine Sachen und lauscht auf die Signale aus dem Raum, in dem die Schankwirtschaft dargestellt ist. Wenn man ein Schaf hört, bedeutet das, dass die Gruppe gleich den Raum verlassen wird. Ertönt ein Hundegebell, ist klar, dass gleich die nächste Gruppe die Schankwirtschaft im Hafen entern wird. Das ist der Zeitpunkt für den Wechsel. Auftritt für Emanuel Möllers!