Hamburg. Zahl der Beschwerden über Flughafen auf Rekordniveau. Bürgerinitiative und BUND fordern strengere Regeln
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die BAW Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein haben deutliche Betriebseinschränkungen für den Flughafen Hamburg gefordert. Hintergrund ist die Rekordzahl von fast 20.000 Beschwerden über Fluglärm im ersten Halbjahr 2016 (siehe Seite 1). „Der Flughafen in Fuhlsbüttel hat jedes Maß verloren“, sagte Martin Mosel, Sprecher der BAW und des Arbeitskreises Luftverkehr beim BUND. „Es gibt keinen Tag, an dem die bestehenden Regeln zum Schutz der Bevölkerung vor unzumutbaren Fluglärm eingehalten werden. Regelkonformes Verhalten ist nur noch die absolute Ausnahme.“
Der Anfang 2015 beschlossene 16-Punkte-Plan zum Lärmschutz werde in großen Teilen nicht umgesetzt. Mit der formalen Einsetzung eines Fluglärmbeauftragten und der „Pünktlichkeitsoffensive“ des Flughafens seien lediglich zwei Punkte bisher abgearbeitet worden, so Mosel. „Wie sehr diese Selbstverpflichtung an der Wirklichkeit vorbeigeht, erleben die von Fluglärm Betroffenen allabendlich. Die Flugbewegungen nach 23 Uhr im ersten Halbjahr 2016 sind zum Vorjahreshalbjahr um fast 40 Prozent gestiegen.“
Aus Sicht der Linken sind die zunehmenden Fluglärmbeschwerden „direkte Folge von immer weiter steigenden Passagier- und Flugzahlen“. Tatsächlich wurden am Flughafen Hamburg im Juni 2016 insgesamt 1.468.116 Passagiere gezählt – das sind 4,4 Prozent mehr als im Juni 2015.
„Weil der Flughafen Hamburg bundesweit einer der am stärksten expandierenden ist, ist ein Ende dieser Entwicklung nicht abzusehen“, sagte Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch. „Der Expansionskurs des Flughafens geht auf Kosten der Menschen. Die Vertröstungspolitik der rot-grünen Flughafenkoalition auf ein besseres, lärmärmeres Leben nach irgendwann erfolgten technischen Fortschritten ist nichts anderes als das Abfeuern von Nebelgranaten.“
Aus der vom Grünen-Senator Jens Kerstan geführten Hamburger Umweltbehörde heißt es dagegen, dass der Anstieg der Beschwerden auf eine relativ kleine Zahl von Betroffenen zurückgehe. Künftig werde auch die Zahl der Beschwerdeführer wieder erfasst, um Klarheit zu gewinnen, ob sich tatsächlich mehr Betroffene beschweren - oder der Anstieg vor allem auf Dauerbeschwerdeführer zurückzuführen ist.
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel sagte dem Abendblatt, der 16-Punkte-Plan zum Lärmschutz werde „von allen Beteiligten weiter Schritt für Schritt umgesetzt“. Man könne aber „nicht irgendwo mal schnell einen Schalter umlegen, mit dem alles leiser wird“, so Dressel. „Mehr Einsatz von leiseren Flugzeugen, Weiterentwicklung der lärmabhängigen Landeentgelte, strengere Einhaltung der Betriebszeiten, das sind die aus unserer Sicht richtigen Stellschrauben, an denen weiter gedreht werden muss.“ Der Pünktlichkeitsoffensive müsse man „ein bisschen Zeit geben, bis sie greift“. Ein gutes Signal sei die Stärkung der Fluglärmschutzbeauftragten, die damit „zu einer echten Anwältin im Interesse des Lärmschutzes“ werde.
„Das Beschwerdewesen wird damit auch deutlich transparenter“, so Dressel. „Ich möchte gerne genau wissen, von wem, aus welcher Ecke, wann und warum welche und wie viele Beschwerden kommen – um dann noch konkreter über Konsequenzen beraten zu können.“ Die rot-grüne Koalition behalte die Entwicklung weiter im Blick – „auch und gerade im engen Austausch mit den kritischen Anwohnerinnen und Anwohnern sowie den örtlichen Initiativen – auch im Dialog mit dem Umland“. Dort hätten er und Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks gerade erst Gespräche geführt. „Wir wollen mehr und besseren Lärmschutz, ohne eine notwendige und sinnvolle Entwicklung unseres Flughafens einzuschränken. Es gilt immer einen fairen Ausgleich zwischen Flughafen- und Wirtschaftsinteressen auf der einen, sowie Lärmschutz- und Anwohnerinteressen auf der anderen Seite zu schaffen,“ Gerade die CDU, die das Thema Wirtschaft wieder stärker besetzen wolle, müsse nun auch benennen, „wie aus ihrer Sicht ganz konkret ein besserer Interessenausgleich aussehen soll“, so der Fraktionschef.
Farid Müller, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, sagte: „Mit der Stärkung der Fluglärmschutzbeauftragten haben wir eine starke und mit klaren Mitwirkungs- und Beteiligungsrechten ausgestattete Institution neu geschaffen, die bundesweit vorbildlich ist.“ Ziel von Rot-Grün sei es, „gemeinsam mit Flughafen und Fluggesellschaften funktionierende Lösungen zu entwickeln“.
Die Wirtschaftsbehörde wies derweil darauf hin, dass die steigenden Passagierzahlen keineswegs automatisch zu mehr Lärm führten. Auch wegen größerer Flugzeuge sei die Belastung pro Passagier zuletzt deutlich zurückgegangen, so Sprecher Richard Lemloh. „Als stadtnaher Flughafen nimmt Hamburg Airport seine Verantwortung gegenüber den Anwohnern sehr ernst“, so Lemloh. „Die ergriffenen Maßnahmen werden sicher eine gewisse Zeit brauchen, bis sich ihre Wirkung tatsächlich angemessen beurteilen lässt.“