Hamburg/München. Verteidigung plädiert dagegen auf Freispruch für die angeklagte Hamburgerin. Urteil wird am 10. August erwartet

Der Körper der Frau bebt, die Tränen fließen. Zu groß ist die Anspannung für die Angeklagte im Prozess um einen Messerstich auf dem Oktoberfest. Und wohl zu überwältigend die Sorge, welches Ende das Verfahren nehmen könnte. Versuchter Totschlag oder Notwehr? Eine langjährige Haftstrafe oder Freispruch? Für Michaela S. (Name geändert), die Lebensgefährtin des sehr vermögenden Hamburger Immobilienkaufmanns Detlef F. und Mutter dreier Kinder, steht in diesem Prozess vor dem Landgericht München unendlich viel auf dem Spiel.

Zehn Monate sitzt die 34-Jährige mittlerweile in Untersuchungshaft, seit sie im vergangenen Jahr auf der Münchner Wiesn vor dem Käfer-Zelt einen Mann niedergestochen hat. Und nach dem Willen der Staatsanwaltschaft soll noch eine beträchtliche Zeit im Gefängnis hinzukommen: Wegen versuchten Totschlags sowie gefährlicher Körperverletzung fordert die Anklägerin am Mittwoch eine fünfjährige Haftstrafe für Michaela S. Die Verteidigung plädiert auf Freispruch. Ein Urteil wird für den 10. August erwartet.

Die Anklage hatte noch auf versuchten Mord gelautet. Am Eröffnungstag des Oktoberfestes war es zu einem Streit zwischen einem betrunkenen und unter dem Einfluss von berauschenden Pilzen stehenden Mann und einer Gruppe um die Verlobte von Multimillionär Detlef F. gekommen. Dabei hatte der äußerst aggressiv auftretende Lkw-Fahrer einen Bekannten von Michaela S., den Ex-Fußballprofi Patrick Owomoyela, rassistisch unter anderem als „Bimbo“ bezeichnet und auch die 34-Jährige massiv beleidigt.

Dann, so hatte die Angeklagte gesagt, habe der Mann sie bedroht und gepackt. Sie habe geglaubt, er bringe sie um und „in Panik gehandelt“, als sie ihr Messer zog. „Ich wollte das wirklich nicht“, sagte sie unter Tränen. Und auch zum Abschluss des Prozesses betont sie am Mittwoch erneut, die Tat tue ihr leid. „Ich wollte das zu keinem Zeitpunkt. Es vergeht kein Tag, wo ich nicht daran denke.“

Doch die Staatsanwältin bewertet die Handlung von Michaela S. als „zielgerichtet“ und spricht von einem „wuchtigen Messerstich“. Mit diesem Stich in den Oberkörper des Opfers habe die 34-Jährige den Tod des Mannes „billigend in Kauf genommen“, so die Anklägerin. „Er musste notoperiert werden, es bestand konkrete Lebensgefahr.“ Allerdings handele es sich nach ihrer Überzeugung um einen minderschweren Fall des versuchten Totschlags. Zwar spreche gegen die Angeklagte, dass das Opfer sehr schwer verletzt war. Jedoch müsse strafmildernd berücksichtigt werden, dass es sich um eine „Spontantat gehandelt“ habe. Michaela S. habe sich darüber hinaus bei dem 34-Jährigen entschuldigt, zudem sei ein erhebliches Schmerzensgeld vereinbart worden, nämlich 80.000 Euro.

In dem Prozess habe man insgesamt „eindrucksvoll gezeigt bekommen, was passieren kann, wenn Geld keine Rolle spielt“, so die Staatsanwältin. Es sei versucht worden, Zeugen zu beeinflussen, vor allem aber, einen Zeugen zu kaufen. Tatsächlich hat der wohlhabende Lebensgefährte der Angeklagten, Detlef F., laut Staatsanwaltschaft bei der Polizei gestanden, einem Mann viel Geld für eine entlastende Aussage geboten zu haben. Gegen den 63-Jährigen wird deshalb wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage ermittelt, kurzzeitig lag sogar ein Haftbefehl gegen den Multimillionär vor.

Der gekaufte Zeuge hatte die Angeklagte entlastet

Der gekaufte Zeuge hatte angegeben, ihm seien insgesamt 200.000 Euro in Aussicht gestellt worden, wenn sich seine Aussage günstig auf den Prozess auswirkt. Der Zeuge hatte sich im Verfahren überraschend gemeldet und mit seiner Schilderung vor Gericht die Angeklagte entlastet. Er sei damals selber beim Oktoberfest gewesen und habe einen Angriff des späteren Opfers gegen die Angeklagte beobachtet, hatte der 31-Jährige erzählt. Nach seiner Aussage war der Zeuge noch im Saal festgenommen worden wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage. In der Untersuchungshaft gestand er, dass er die Aussage für Geld gemacht habe. Er sei auf Mallorca von zwei Männern angesprochen worden, die gesagt hätten, eine Hamburgerin werde Opfer der bayerischen Justiz, und er könne helfen. Später habe ein Mann ihn mit detaillierten Unterlagen versorgt, einer Art Regieanweisung für seine Aussage. „Da stand alles drin, was man wissen musste.“

Um die Örtlichkeiten korrekt schildern zu können, habe er sich unter anderem auch mit Google Maps vorbereitet. Tatsächlich sei er selber nie auf der Wiesn gewesen.

Immobilienkaufmann Detlef F. schilderte laut Aussage eines Kripobeamten indes, der Kontakt zu dem Zeugen sei nicht von ihm ausgegangen. Er sei vielmehr angesprochen worden mit der Bemerkung, der Prozess könne für seine Verlobte eine günstige Wendung nehmen, das würde aber „etwas kosten“. Nach längerem Zögern habe er sich darauf eingelassen. Die Angeklagte hatte angesichts dieses Manipulationsversuchs einen Schwächeanfall erlitten und weinend gesagt: „Es tut mir unglaublich leid, was mein Mann gemacht hat. Ich wusste nichts davon.“

Diese verzweifelte Frau gehört nach Überzeugung der Verteidigung nicht ins Gefängnis. Rechtsanwalt Gerhard Strate sagt, in einer aufgeheizten Situation auf dem Oktoberfest, in der ein Mann aggressiv und bedrohlich auf den Tisch der Feiernden zugegangen sei, „besetzt mit Industriefürsten und Wirtschaftskapitänen, sind sie alle stiften gegangen wie die Hasenfüße“. Lediglich die Angeklagte habe „gemacht, was eigentlich erwartet“ werde, wenn jemand beleidigt werde: „Sie hat sich eingesetzt.“ Leider habe das ein ungutes Ende genommen.

Der Messerstich sei jedoch durch Notwehr gerechtfertigt, argumentiert die Verteidigung. Das spätere Opfer sei ex-trem aggressiv gewesen und habe laut Schilderung von Zeugen „völlig entfesselt gewirkt“ und mit erhobenen Fäusten dagestanden.

Rechtsanwältin Annette Voges bezeichnet die Aussage ihrer Mandantin als „schlüssig“, in der diese geschildert hatte, sie sei beleidigt, bedroht und gepackt worden. Voges: „In ihrer Verzweiflung hat sie zum Messer gegriffen, um dem Angriff zu entkommen. In hilfloser Lage sah sie sich einem aggressiven Wüterich gegenüber.“ Ihre Mandantin sei freizusprechen, der Haftbefehl solle aufgehoben werden. „Lassen Sie diese Mutter bitte endlich wieder zu ihren drei Kindern.“