Hamburg. Nikolai Bender fertigt in seinem Geschäft Habrima am Ballindamm individuelle Gestelle. Jetzt will der Gründer expandieren.
Nikolai Bender hält die Acetatplatte in das Licht. Der Braunton changiert leicht, der Farbwechsel zwischen beige und schokofarben verleiht dem Material, aus dem ein Brillengestell entstehen wird, die derzeit so beliebte Leo-Optik. Wer möchte, kann aber auch zu farblosen, schwarzen oder zu Rahmen in Dutzenden weiteren Farben greifen. Bender fertigt Brillen auf Wunsch, nach Maß, in Handarbeit. Der 28-Jährige sitzt in einem lichtdurchfluteten Geschäft am Ballindamm. Draußen gleiten die Schwäne über die Binnenalster, drinnen beherrschen außer wenigen Holzmöbeln aus vergangenen Jahrzehnten die Brillenfassungen den Raum. Ein Flugzeugpropeller über dem Regal deutet auf eine der Lieblingsformen des Brillendesigners hin: die Pilotenbrille.
Seit wenigen Monaten betreibt Bender Hamburgs einziges Maßbrillenstudio. Mit Habrima (Hanseatische Brillen-Manufaktur) hat sich der junge Mann den Traum von der Selbstständigkeit erfüllt. „Ich habe Schifffahrtskaufmann gelernt und BWL studiert, interessiere mich aber schon immer für das Kreative“, sagt der schlaksige Gründer. Nach ersten Gehversuchen in der Branche, als er mit Freunden ein Label für Brillen aus Holz gründete, wagte Bender nun erneut den Schritt auf unbekanntes Terrain. „Manufakturen gibt es in Deutschland praktisch nur noch im Süden“, fand er bei seinen Recherchen vor der Gründung heraus. Zwischen Pforzheim und Passau etwa arbeiten noch eine Handvoll Betriebe auf handwerkliche Weise an Fassungen. „Dort habe ich mich nicht abschütteln lassen und habe mir die Arbeitsschritte zeigen lassen“, sagt Bender über die Anfänge.
Dann experimentierte er eine Weile in einer gemieteten Garage, kaufte Maschinen aus den 50er-Jahren und komplettierte allmählich die Einrichtung seiner Manufaktur. Fräsen, Schleifen und Polieren brachte sich der Hamburger selber bei. Heute, wenige Monate nach der Eröffnung des Ladens in der City, kann der Unternehmer bereits von seiner Idee leben. „Ich verkaufe 100 bis 200 Gestelle im Monat“, sagt Bender. Der junge Selbstständige sitzt schon jetzt abends bis 22 Uhr in seiner Werkstatt, die er in Othmarschen in einer Garage eingerichtet hat, bald will er daher weitere Angestellte in den Betrieb nehmen. Bis Ende 2016 will er den Absatz verdoppeln.
Touristen mit dem Wunsch nach einem besonderen Hamburg-Souvenir, Brillenträger mit Sonderwünschen und andere Optiker, die Bender auf Messen anspricht, gehören zu den Kunden. „Die Zielgruppe reicht von der Studentin bis zum Reeder“, sagt Bender über die Käufer. Ab 350 Euro kosten die Gestelle, dazu kommen die Gläser, die Bender durch Optiker anpassen und fertigen lässt.
Die Möglichkeit, die Brille nach Maß fertigen zu lassen, bringt Bender einen Wettbewerbsvorteil in einem umkämpften Markt. Zwar ist das Potenzial recht groß, denn in Deutschland tragen mehr als 40 Millionen Menschen im Alter über 16 Jahren eine Brille. Wenn auch Sonnenbrillen ohne Sehstärke einbezogen werden liegt der Anteil der Brillenträger sogar bei knapp 80 Prozent. Vom leichten Wachstum des Marktes profitiert allerdings längst nicht jeder Optiker. Insbesondere die Filialisten, also große Ketten wie Fielmann oder Apollo ziehen die Kunden mit preiswerten Angeboten an.
„Ich habe eine Nische gefunden“, sagt Bender und wundert sich selber darüber, dass andere Unternehmer nicht längst die gleiche Idee hatten. Der Druck auf kleine Familienbetriebe in der Branche mit bundesweit gut 10.000 Ladengeschäften wächst, denn auch der Onlinemarkt legt seit einigen Jahren mit starken Wachstumsraten zu.
Handwerkliche Produktion steht im Vordergrund
Ähnlich wie Habrima experimentieren noch einige Pioniere in Berlin mit Maß-Brillen: Die Optiker FrameLApp und Frame Punk bieten Gestelle aus dem 3-D-Drucker. Die neue Drucktechnologie, die sich sogar schon die Luftfahrt und andere Industriebetriebe zunutze machen, bietet die Möglichkeit, am Computer Designs zu entwickeln und diese Entwürfe dann von einem Drucker produzieren zu lassen, etwa aus verschiedenen Kunststoffen. Sogar künstliche Organe werden bereits am
3-D-Drucker geschaffen. Die neuen Anbieter in der Hauptstadt ermöglichen ebenfalls die Herstellung von individuellen Fassungen für ihre Kunden mit dem Druckerverfahren.
Für Bender dagegen steht die handwerkliche Produktion im Vordergrund: Die Möglichkeit, die Fassungen mithilfe seiner historischen Maschinen zu polieren, schaffe auch eine besondere Haptik, wirbt Bender für seine Manufaktur-Produkte.
Ausgangsmaterial ist immer Acetat. Das Material wird mithilfe chemischer Prozesse aus Baumwolle gewonnen und ist das meistgenutzte Material für Kunststoffbrillen. Bei Bender lassen sich dabei nicht nur alle möglichen Farbnuancen, sondern auch Sonderwünsche für die Form umsetzen. Die Brillenglashöhe, die Breite, die Weite des Steges und die Stärke des Materials sind individuell anpassbar. „Wer seine Brille oft vorne auf der Nase trägt, wählt einfach einen längeren Bügel“, nennt Bender ein Beispiel für die individuellen Vorstellungen mancher Kunden.
Wem die maßgefertigte Brille noch nicht reicht, kann bei Habrima noch ein I-Tüpfelchen setzen lassen: Mit einer alten Graviermaschine, die Bender im rückwärtigen Teil seines Geschäftes aufgestellt hat, bekommt die Brille auch noch den Namen des Trägers verpasst. Klein eingraviert im Bügel.