Im siebten Teil versucht unsere Reporterin sich ökologisch korrekter zu ernähren. Warum sie dafür Linsen in die Bolognese mogelt.

Na, Prost Mahlzeit! Als ob diese grüne Mission alleine nicht schon schwer genug ist, geht es jetzt auch noch um Ernährung – und ums Kochen. Und davon verstehe ich schon unter normalen Umständen so wenig wie von der Bedienung meines iPhones und der Kindererziehung. Kein Wunder also, dass ich im Freundeskreis verschrien bin, für gemeinsame Abendessen nicht wirklich zu kochen – sondern lediglich Lebensmittel zu erhitzen. Entsprechend verzagt stehe ich vor der Monatsaufgabe – und dem Regal im Supermarkt. Denn vor dem Kochen steht der Einkauf und vor der klimafreundlichen Ernährung ein großes Fragezeichen. Sind Reis- oder Haferdrinks ökologisch sinnvoller als Kuhmilch? Darf ich Eier essen, wenn sie bio sind und aus der Region kommen – oder muss ich im Sinne der Umwelt ganz auf tierische Produkte verzichten? Und was soll ich in die Bolognese mogeln, wenn Hack wegen der verheerenden Klimabilanz von Rindfleisch tabu ist?

Es gibt mehr Fragen zu klären, als Lebensmittel in meinen Einkaufswagen passen. Die wichtigste beantwortet mir Gudrun Köster (60). Sie ist Referentin für Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein, selbst Mutter und weiß, wie man von heut’ auf morgen aus fleischfressenden Pflanzen (nämlich Kindern) Vegetarier macht. Nämlich gar nicht. „Statt Total-Verzichte empfehle ich immer, den Fleischkonsum einfach zu reduzieren“, sagt Gudrun Köster und erzählt, dass sie selbst für ihre Bolo­gnese nur die halbe Menge Hackfleisch nimmt – und die Soße stattdessen mit geraspelten Möhren, roten Linsen oder pflanzlichen Granulaten „streckt“. „Damit können Sie schon viel bewirken“, sagt Gudrun Köster und zitiert zur Bestätigung gleich noch die passende Statistik: Zwischen 20 und 30 Prozent der im Alltagsleben verursachten Umweltschäden entstehen durch das, was die Europäer essen und trinken.

Einer Studie der Verbraucherorganisation Foodwatch zufolge ist die Rinderzucht sogar der Klimakiller Nummer eins in der Landwirtschaft. Es wird geschätzt, dass die Tierzucht zur Hälfte an der weltweiten CO2-Emission beteiligt ist. Im Umkehrschluss heißt das: Wer weniger Fleisch isst und sich bewusst regional sowie saisonal ernährt, leistet einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz. Laut dem „Klima-Kochbuch“, das ich mir zur Unterstützung meiner Umwelt-Ernährungs-Umstellung zugelegt habe, kann man mit der Halbierung des eigenen Fleischkonsums sechs Prozent der Treibhausgase im Bereich der gesamten Ernährung einsparen.

„Und wann gibt es was Richtiges zu essen?"

Klingt einfacher, als ich dachte. Is(s)t es aber nicht. Der Mann des Hauses, dessen Name immer noch nicht genannt werden darf, will in diesem Monat gar nicht mitmachen, Claas (inzwischen 4) und Carlotta (6) nur widerwillig. Die Vorstellung, auf Fleisch und Wurst zu verzichten, schmeckt den anderen überhaupt nicht. Die Vorbehalte sind groß. Den Tofu picken Claas und Carlotta aus dem Essen heraus, die vegetarischen Grillwürstchen lassen die Kinder nach nur einem Bissen liegen, und den veganen Brotaufstrich wollen sie noch nicht einmal probieren.

Lediglich mit den kleinen Gemüse-Frikadellen und der fleischlosen Mortadella kann ich punkten. Die Kinder merken noch nicht mal, dass sie keine richtige Wurst essen – und ich werde mich hüten, es ihnen aufs Brot zu schmieren. Warum die Sache noch komplizierter machen, als sie eh schon ist? Denn Claa-Lo (so der Gemeinschaftsname von Claas und Carlotta) sind auf Fleisch fixiert. Keine Ahnung, warum. Schließlich gibt’s im Kindergarten supergesunde Vollwerternährung und wenig Fleisch – demnach müssten sie das doch gewohnt sein. Doch das Gegenteil ist der Fall. Als ich eines Abends einen Rohkostteller mit Gurkenschlange, Obst-Gesichtern und Brotstangen zaubere, hauen die Kinder zwar rein. Dann fragt Carlotta aber: „Und wann gibt es was Richtiges zu essen?“

Klar, was sie meint. Fleisch oder Wurst. „Oder ein Stück Käse“, ruft Carlotta mir hinterher, als ich resigniert in der Küche verschwinde, um „was Richtiges“ aus unserem im Auftrag der Umwelt zensierten Kühlschrankinhalt zu zaubern. In Momenten wie diesen wünsche ich mir sehnlichst Gudrun Köster an unseren Esstisch. Damit sie den Kindern erklärt, warum Butter oder fetter Käse wie Gouda schlecht für die Umwelt sind. Warum ein Kilogramm Rindfleisch 17-mal mehr CO2 verursacht wie die gleiche Menge Kartoffeln. Warum der Anbau und die Produktion von Futtermitteln so klimaschädlich sind. Und warum dafür Teile des Regenwaldes abgeholzt werden.

Aber wie immer bei undankbaren Aufgaben wie diesen muss die Mama ran. Auch wenn die selbst keine Ahnung hat. Höchste Zeit, noch mal schnell einen Blick in das Buch „Sterneköche fürs Klima“ zu werfen, in dem kindgerecht erklärt wird, was Klimaschutz und Ernährung eigentlich mitei­n­ander zu tun haben. Lese den Kindern vor, dass jeder Deutsche durchschnittlich 500 Kilo Lebensmittel pro Jahr verbraucht und dadurch Treibhausgase verursacht – und zwar etwa genauso viele wie Autos oder Flugzeuge. Probiere zu erklären, dass diese Gase bei der Erzeugung und dem Transport von Lebensmitteln entstehen, merke aber schnell, dass das alles einfach zu abstrakt für die Kinder ist. Über die „pupsenden Kühe“, die unser Klima belasten, können sich Claas und Carlotta hingegen ausschütten vor Lachen. Weniger lustig finden sie, dass bei der Herstellung von zwei Paketen Butter genauso viel CO2 erzeugt wird, wie bei einer 100-Kilometer-Tour mit dem Auto. Claas und Carlotta haben natürlich keine Ahnung, wie viel 100 Kilometer sind. Doch als ich ihnen erkläre, dass das ungefähr die Strecke von uns bis zum Hansapark Sierksdorf ist, sind sie sich einig: lieber auf die Butter verzichten als auf den Hansapark.

Also Margarine statt Butter. Ein Problem gelöst. Den Rest noch lange nicht. Habe gelesen, dass jeder Deutsche statistisch gesehen 60 Kilo Fleisch verzehrt – pro Jahr. Himmel! Das ist mehr, als Claas und Carlotta zusammen auf die Waage bringen. Laut der Naturschutzorganisation WWF hat sich die weltweite Fleischproduktion seit 1961 mehr als vervierfacht: von 70 auf 300 Millionen Tonnen. Als ich lese, dass allein die Produktion von einem Kilo Rindfleisch bis zu 28 Kilo Treibhausgasemissionen verursacht, Obst oder Gemüse dagegen bei weniger als einem Kilo liegt, koche ich drei Tage lang nur Pellkartoffeln und Gemüse. Bis die Kinder schließlich wieder nach „was Richtigem“ verlangen und ich das Bolo-Experiment starte. Ich schummel Haferflocken, Kidneybohnen und Linsen in die Bolognese, strecke das Fleisch mit klein geschnittenen vegetarischen Frikadellen und füge eine vegetarische Trockenmischung für Vollkorn-Gemüse-Burger in das Hack. Die letzte Variante schmeckt den kleinen Fleischfressern so gut, dass ich mir vorstelle, wie ich abends um das Lagerfeuer tanzen und dabei singen werde: „Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Schummel-Bolognese heiß.“

Im Frühling lieber Äpfel aus Neuseeland kaufen

Es ist einer der wenigen Momente, in denen ich triumphiere – und nicht den Tränen nahe bin. Im Ernst: bin verzweifelt, verzagt, verunsichert. Es gibt einfach zu viel zu bedenken, zu viel zu beachten, zu viel abzuwägen. Soll ich Bio-Produkte auch dann kaufen, wenn sie vom anderen Ende der Welt kommen? Ist es besser einen Apfel aus der Region zu nehmen, der monatelang im Kühlhaus gelagert werden musste – oder einen, der aus Neuseeland, der eingeflogen wird? Darf ich im Herbst für Carlottas Geburtstagskuchen Erdbeeren aus der Tiefkühltruhe verwenden, obwohl für die Herstellung von TK-Lebensmitteln fast viermal so viel Energie benötigt wird wie für Frischwaren – oder sollte ich frische Beeren aus Chile oder einem spanischen Treibhaus kaufen, die per Flugzeug gekommen sind? Viele Fragen, noch mehr Antworten. Und viele Ausnahmen von der Regel. Die Erkenntnis: Vieles muss individuell abgewogen, entschieden werden. Und genau das macht es so schwierig. Beispiel Äpfel: Obwohl eine der obersten Klimaregeln besagt, Lebensmittel aus der Region zu kaufen, haben Äpfel aus Neuseeland im Frühling eine bessere Öko-Bilanz als deutsche Äpfel, die ein halbes Jahr lang im Kühlhaus gelagert werden müssen. So steht es zumindest im Buch „Der Kleine Weltretter“.

Gudrun Köster hingegen sieht das ganz anders! „Ich würde bei meiner Kaufentscheidung auch andere Aspekte betrachten. Dass man mit dem Kauf von Äpfeln aus der Region auch heimische Bauern unterstützt.“ Ein Thema zum Zähneausbeißen. Bei den Erdbeeren ist es übrigens genau anders! Außerhalb der Saison sind TK-Erdbeeren immer noch umweltschonender und energiesparender als eingeflogene. Für Carlottas Geburtstagstorte ist das allerdings egal! Sie wünscht sich inzwischen einen Einhorn-Kuchen – und ich frage mich, ob es umweltfreundliche Lebensmittelfarbe gibt. Und ob ich die Eier im Kuchen zwecks Verzicht auf tierische Produkte durch Apfelmus, Sojamehl oder zerquetschte Bananen ersetzen muss – oder ob es reicht, einfach auf Bio-Eier umzusteigen?

Der schwerste Monat bisher

Schließlich ist der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen bei einem gekochten Bio-Ei 47 Gramm geringer als bei einem herkömmlichen Ei. Undenkbar, was da bei zehn Eiern in der Woche zusammenkommt. Und erst mal im Monat! Im Jahr!!! Die Summe ist beachtlich – aber was genau bedeutet sie eigentlich? Was steckt dahinter? Selbst nach einem halben Jahr Öko-Serie ist der CO2-Ausstoß für mich immer noch eine abstrakte Größe. Nicht richtig fassbar. Muss mir bei jeder Zahl mühsam vor Augen führen, was sie bedeutet, was dahintersteckt. Dass wir mit der Umstellung auf Bio-Eier jährlich bis zu 25 Kilo CO2 einsparen können – was in etwa der Durchschnittsemission mancher Mittelklassewagen auf 100 Kilometern entspricht. Wenn ich das Claas und Carlotta erzähle!

Wieder so viel wie eine Fahrt in den Hansapark – oder wie zehn Hin- und Rückfahrten zum Gut Wulksfelde, einem Bio-Betrieb mit angeschlossenem Hofladen, in dem ich jetzt öfter einkaufe. Auch wenn ich bei den Preisen erst mal schlucken muss. Bei 42 Cent pro Ei werden wir künftig wohl noch mehr CO2 einsparen und nicht nur auf Bio umsteigen – sondern auch unseren Eierkonsum reduzieren. Ich weiß nur noch nicht, wie ich den anderen den Verzicht auf ihr Frühstücksei und Rühreier mit Speck schmackhaft machen soll?

Es ist einer der schwersten Monate bisher. Weil Ernährung so einen großen Teil des Lebens ausmacht, existenziell ist. Weil es jeden Tag darum geht, sogar mehrmals. Morgens, mittags, abends. Beim Pausenbrot und dem Kaffee am Nachmittag. Beim Wein mit Freunden und dem Picknick am Wochenende. Beim Eis auf dem Ausflug und beim Grillen. Grillen! Grillen! Grillen! Und wir grillen oft diesen Monat. Und noch öfter bleibe ich auf Vegan-Würstchen und Tofu-Grillknackern sitzen. Am Ende des Monats habe ich resigniert. Besser Bio-Fleisch kaufen und grillen, statt ständig Ersatzprodukte wegwerfen zu müssen, weil sie außer mir niemand essen mag.

Der Monat ist vorbei, die Probleme sind es noch lange nicht. Weiß immer noch nicht genau, welchen Fisch ich essen darf und was es mit diesen ganzen Bio-Siegeln auf sich hat. Aber ich weiß, dass man für die Herstellung eines Liters Olivenöl 14.000 Liter Wasser braucht und ich besser Rapsöl nehmen sollte. Dass ich keinen Reis aus China kaufen sollte, sondern aus Thailand oder Indien. Und ich weiß, was es für einen Geburtstagskuchen gibt. Mit Äpfeln. Im September gibt’s die ja wieder aus der Region. Aus unserem Garten.

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