Die jüngsten Taten des islamistischen Terrors verunsichern die Menschen. Sie sind aber auch eine Chance, eigene Werte neu zu beleben.
Wer bei Google als Suchbegriff „Angst vor Terror“ eingibt, erhält 877.000 Treffer. Das ist weit mehr als unter „Angst vor Krankheiten“ (560.000 Treffer). Auch wer „Dr. Google“ nicht glaubt, spürt längst, womöglich am eigenen Leib: Die Angst vor dem islamistischen Terror wächst. Gestern das bayerische Ansbach und morgen vielleicht eine norddeutsche Stadt? Fast drei Viertel der Bundesbürger fürchten sich vor Terror, hat jetzt die Umfrage eines großen Versicherungskonzerns ergeben. Erstmals führt die Terrorangst die Liste der möglichen Bedrohungen in Deutschland an – vor Geldentwertung, Naturkatastrophen und Pflegeproblemen im Alter.
„Fürchtet euch nicht!“, heißt es in den Heiligen Schriften der Juden wie der Christen. Die christliche und jüdische Religion versprechen, Ängste zu überwinden und Hoffnung zu wecken. Was einen angst und bange macht, die Kehle zuschnürt oder den Puls rasen lässt, schmilzt mit der Kraft des Glaubens. „Du stellst meine Füße auf weitem Raum“, heißt es im Psalm 31,9.
Doch verschwindet die Angst vor dem Terror wirklich, nur weil man mal wieder in die Kirche geht? Nein, lautet die Antwort, so einfach funktioniert das nicht. Aber der Glaube hilft, der Terrorangst einen existenziellen Sinn abzugewinnen: So abscheulich die Bluttaten dieser irren Mörder sind – Angst und Furcht vor weiteren Anschlägen haben auch eine soziale und religiöse Funktion: Sie lehren uns, die Einzigartigkeit unseres Lebens wertzuschätzen und Gott vielleicht neu zu entdecken.
Philosophen wissen, Sorge und Angst gehören zur Existenz
Jeder hat Angst, mehr oder weniger. Da ist die Angst vor Krankheiten und vor dem Verlust eines geliebten Menschen oder eines Haustiers. Da ist die Angst vor Arbeitslosigkeit, vor dem Alter, dem Sterben, dem Tod. Da ist die Angst vor dem blanken Nichts. Ängste gehören zu unserer Existenz. Keiner hat diesen Zusammenhang im kriegsgeprägten 20. Jahrhundert philosophisch treffender beschrieben als Martin Heidegger. Das In-der-Welt-sein sei von Sorge und Angst geprägt, die den Menschen auf sich selbst werfe und einsam mache. Auch Jesus Christus weiß davon: „In der Welt habt ihr Angst“, heißt es im Johannes-Evangelium, „aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Allerdings haben die religiösen Institutionen in den vergangenen Jahrhunderten selbst Ängste geschürt, indem sie mit schlimmsten Höllenqualen drohten. Wie klerikale Szenarien bei den mittelalterlichen Menschen Furcht und Zittern auslösten, kann übrigens derzeit in der Hieronymus-Bosch-Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum besichtigt werden.
Selbst der Reformator Martin Luther litt als Mönch unter schlimmen Ängsten vor dem strafenden Christus und stöhnte unter der Last der dauernden Messfeiern: „Hier brach mir warlich der Schweis aus, und das Hertz begonst mir zu zittern und pochen.“ Dann aber entdeckte Luther den gnädigen Gott der Liebe. Luthers Freund Philipp Melanchthon: „Ich habe selbst gesehen, dass der Herr D. Martin Luther oft in großer Angst gewesen ist, und hat sich an diesen Spruch Pauli gehalten: Gott hat alles unter die Sünde geworfen oder beschlossen, dass er allen Gnade erzeige. Also muss ein jeder Gläubiger lernen, was Glaube ist, und muss fechten wider das Zweifeln und Zappeln.“
Glaube, Angst und Zweifel schließen daher einander nicht aus. Jesus selbst hatte Angst. Er hat sie aber im Gebet ausgesprochen, sie zugelassen, angeschaut und nicht geleugnet. Der christliche Glaube ist für viele Menschen heute der Resonanzraum, in dem die Angst zur Sprache kommen kann. Auch die Terrorangst.
Wer sie im Gebet ausspricht, schaut ihr ins Gesicht und gibt sie ab. Das Grauen und die Schockstarre fließen wie durch einen Kanal und verlieren ihre Wucht. Die Stürme des Lebens legen sich, wie es die Episode von der Sturmstillung Jesu beschreibt (Markus 4, 35–41). Wichtig ist, dass eine Vertrauensbeziehung zu Jesus entsteht. Eine solche Verbindung hält Furcht und Schrecken aus.
„Ostern wird nicht verdunkelt durch das Dunkel dieser Welt“
Michel-Hauptpastor Alexander Röder sagte es bei seiner Predigt am vergangenen Sonntag so: „Ostern wird nicht verdunkelt durch das Dunkel dieser Welt – durch Mörder, Attentäter, Amokläufer, Kriegstreiber, Tyrannen und Diktatoren.“ Die Wirklichkeit der Auferstehung sei stärker als der Tod, mit dem die Terroristen uns Angst und Bange machen wollten.
Es ist kein Zufall, dass viele Predigten in evangelischen und katholischen Kirchen in diesen Tagen das Thema Terror aufgreifen. Die Angst und ihre Bewältigung sollen eben nicht im heideggerschen Sinne bei der Einsamkeit stehen bleiben, sondern in der Gemeinschaft mit anderen ausgesprochen werden. Über die Angst mit anderen zu reden ist heilsam. In den Psalmen gemeinsam zu lesen und zu beten „Der Herr ist mein Hirte“ (Psalm 23) verändert ein Denken, das nur auf Horrorszenarien programmiert ist. Das Evangelium, sagte schon Luther, hält nicht allein Leseworte, sondern „Lebeworte“ bereit.
Gegen den Terror setzen Christen den Mut zum Sein (Paul Tillich). Es ist die große Hoffnung gegen den Tod. Es ist ein unbedingtes Ja zum Leben. Gerade die christlichen Märtyrer – viele von ihnen von der katholischen Kirche heiliggesprochen – zeigten mit ihrem Schicksal: habt keine Angst. Die Abschiedsbriefe der vier Lübecker Märtyrer, 1943 wegen angeblichen Hochverrats von den Nazis im Gefängnis am Holstenglacis ermordet, sind bei allem Schmerz bis heute eine Quelle des Mutes: „Ich kann Euch nur um eins bitten: Seid stark und sucht Euch Kraft bei Dem, der in allem Leid uns allein letzte Kraft zu geben vermag“, schrieb der später hingerichtete katholische Vikar Hermann Lange seinen Geschwistern. Diese Briefe sind Dokumente der Hoffnung. Sie machen Mut, unser Leben, möglichst jeden Augenblick, wertzuschätzen. Der existenzielle Sinn der Angst vor dem Terror liegt daher darin, das Leben mit all seinen Facetten achtsam zu lieben. Und eines zu tun: es zu leben! In den buddhistischen Zen-Klöstern erschallt am Ende eines jeden Tages der uralte Ruf: „Eines lege ich euch allen ans Herz: Leben und Tod sind eine ernste Sache. Schnell vergehen alle Dinge. Seid ganz wach, niemals achtlos, niemals nachlässig.“
Diese Erkenntnis, die jetzt in Terrorzeiten neu ins Bewusstsein gelangt, hat die Begründerin der Palliativmedizin, Cicely Saunders, einmal so auf den Punkt gebracht: „Es ist nicht das Schlimmste für einen Menschen festzustellen, dass er gelebt hat und jetzt sterben muss; das Schlimmste ist festzustellen, dass man nicht gelebt hat und jetzt sterben muss.“
Deshalb haben die Menschen nach den Anschlägen in Paris mit symbolischen Gesten ihrer Lebensfreude Ausdruck verliehen. Statt Konzerte und Restaurants zu meiden, sind sie dorthin gegangen. Seit Jahren lassen sich die Juden in Israel nicht von Selbstmordattentätern einschüchtern. „L’Chaim!“ ist ein beliebter jüdischer Trinkspruch. Er heißt so viel wie: Auf das Leben – und machen wir das Beste daraus!