Hamburg. Mit einer Sozialen Erhaltungsverordnung soll die Gentrifizierung in drei Stadtteilen gestoppt werden
Auf dem umkämpften Hamburger Wohnungsmarkt soll der Mieterschutz auf drei weitere Stadtteile ausgedehnt werden. Mit einer Sozialen Erhaltungsverordnung will der Senat künftig auch etwa 63.000 Bewohner in den Wohnquartieren Hoheluft-West, Eimsbüttel-Nord und Stellingen-Süd vor der Verdrängung durch einkommensstärkere Wohnungssuchende bewahren. Unter anderem können damit horrende Mietsteigerungen, Luxussanierungen oder der Zuwachs von Eigentumswohnungen eingedämmt werden. Nachdem der Bezirk Eimsbüttel die drei Viertel bereits als schutzbedürftig eingestuft hat, prüft nun der Senat den Erlass eines Milieuschutzes. Das verkündeten Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) und Eimsbüttels Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke (SPD).
Für die Prüfung der Schutzbedürftigkeit werden von Herbst an etwa 1800 zufällig ausgewählte Haushalte befragt, wobei es sowohl um das allgemein empfundene Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial der Nachbarschaft als auch um die persönliche Lebenssituation geht. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen im Sommer 2017 vorliegen, der Erlass im Herbst folgen. „Dieses große attraktive Wohngebiet soll ein gemischtes Quartier bleiben“, sagte Stapelfeldt. Zum Schutz der angestammten Bewohner.
Zuvor war der Bezirk in einem Gutachten schon zu der Erkenntnis gelangt: Die Wohnungsnachfrage übersteigt das Angebot, was zu einem Verdrängungswettstreit führt. Besonders Gering- und Normalverdiener könnten mit einem Milieuschutz aus dieser Spirale befreit werden. Torsten Sevecke sprach von einer „Vollbremsung“ , die hingelegt werden müsse. Gerade im Norden Eimsbüttels, so das Gutachten des Bezirks, sei die Tendenz zur Gentrifizierung groß. Insofern sei ein Milieuschutz dort „vernünftig“, so Sevecke. Noch gebe es einen „stabilen sozialen Status“ in Eimsbüttel, wie Stapelfeldt betonte. „Den wollen wir erhalten.“ Das Prinzip: Aufwertung ohne Verdrängung.
Tatsächlich sind laut Mieterverein die Neuvermietungspreise in den vergangenen neun Jahren um 30 Prozent gestiegen. Inzwischen werden pro Quadratmeter 12 bis 13 Euro aufgerufen. Die Preise für Eigentumswohnungen stiegen im gleichen Zeitraum laut Senat sogar um 80 Prozent in Eimsbüttel und 90 Prozent in Hoheluft-West. 4100 und 4400 Euro pro Quadratmeter seien jeweils der Regelpreis. Insgesamt gibt es im Untersuchungsgebiet 37.000 Wohnungen, von denen weniger als ein Prozent eine Sozialbindung haben.
„Mit dem Instrument der Sozialen Erhaltungsverordnung haben wir bisher gute Erfahrungen gemacht“, sagte Stapelfeldt bei der Präsentation der Pläne. In der südlichen Neustadt, besser bekannt als Portugiesenviertel, hätte sich der seit 1995 geltende Milieuschutz bewährt. „Seit zehn Jahren haben wir dort keine nennenswerten Umwandlungen in Eigentum mehr registriert“, so Stapelfeldt. Die Verdrängungsmechanismen hätten gestoppt werden können. Auch auf St. Pauli und in St. Georg, wo erst vor Kurzem ein Milieuschutz verhängt wurde, seien „erste Erfolge“ erkennbar. Insgesamt unterliegen bereits acht Hamburger Quartiere einer Sozialen Erhaltungsverordnung – das betrifft mehr als 200.000 Menschen in mehr als 100.000 Wohnungen.
Der Mieterverein zu Hamburg begrüßt den Plan einer weiteren Sozialen Erhaltungsverordnung. Vorstandschef Siegmund Chychla sagte: „Es ist sehr gut, dass sie kommt. Aber es ist schlecht, dass sie zehn Jahre zu spät kommt.“ Er würde sich wünschen, dass der Senat dieses Mittel künftig zum Agieren und nicht zum Reagieren nutzt – in Vierteln, die absehbar von abrupten Mietsteigerungen bedroht seien. „Sonst ist der Patient zwar nicht tot, hat aber bereits bleibende Schäden wie jetzt in Eimsbüttel“, so Chychla. Die nun ausgewählten Viertel gehörten „zu den dynamischsten Märkten in Hamburg“, vielerorts sei die Verdrängung schon so gut wie abgeschlossen.
Der stadtentwicklungspolitische Sprecher der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Jens P. Meyer, kritisiert den Aufstellungsbeschluss als „ideologische und gleichzeitig wirkungslose Symbolpolitik“. Die angestammte Bevölkerung werde damit nicht vor Marktentwicklungen geschützt. Zudem würden Investitionen in den Wohnungsbau gehemmt.
Die soziale Erhaltungsverordnung wird in Hamburg seit den 1990er-Jahren eingesetzt. Sie macht bestimmte Um- und Ausbauten genehmigungspflichtig, um damit einhergehende Mieterhöhungen zu verhindern. Auf die Mietpreise bei Neubauten, Nachverdichtungen sowie Neuvermietungen hat sie keinen Einfluss. Dennoch plant der Senat in Bahrenfeld-Süd, der nördlichen Neustadt, in Altona-Nord, Barmbek und Eilbek weitere Erhaltungsverordnungen.