Altstadt. Für neun der geplanten Flüchtlingssiedlungen gibt es bislang weder einen Bauantrag noch eine Baugenehmigung.
Zweifel gab es von Anfang an. Als Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) im vergangenen Herbst den Beschluss über den Bau von 5600 Flüchtlingswohnungen verkündete und versprach, diese könnten zu Weihnachten dieses Jahres bezogen werden, schüttelten die meisten Experten mit dem Kopf. Sie sollten Recht behalten: Bis zum heutigen Tag wurde lediglich in Billwerder und in Jenfeld der Bau von Expresswohnungen für Flüchtlinge gestartet. Für eine weitere Siedlung – in Poppenbüttel – wurde die Baugenehmigung erteilt, für zwei weitere der Bauantrag gestellt.
Bundestag und Bundesrat hatten die Regelungen im Herbst beschlossen
Für neun Siedlungen hingegen gibt es weder einen Bauantrag geschweige denn eine Baugenehmigung. Das geht aus der Senatsantwort auf eine parlamentarische Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Jennyfer Dutschke (FDP) hervor. Im Widerspruch dazu steht die Senatsaussage, wonach neun Flüchtlingssiedlungen auf der Grundlage von Ausnahmeregelungen des Paragrafen 246 des Baugesetzbuches errichtet werden sollen.
Bundestag und Bundesrat hatten diese Regelungen im vergangenen Herbst beschlossen. Angesichts der sprunghaft gestiegenen Flüchtlingszahlen sollten Flüchtlingsunterkünfte besonders rasch errichtet werden können. In Hamburg legte man diese Regelungen weit aus und plante, die Flüchtlingsunterkünfte von Anfang an als Wohnhäuser zu bauen. Die kostensparende Idee hat allerdings einen Haken: Sie ist rechtlich umstritten.
Die Hamburger Auslegung des Paragrafen 246 ist umstritten
So wurden die Ausnahmeregelungen des Baugesetzbuches bis 2019 befristet. Den Volksvertretern in Berlin erschien es angesichts dieser Befristung vertretbar, alle sonst bei Bauprojekten üblichen Mitspracherechte der Anwohner auszusetzen. In Hamburg aber – das war ausdrücklich politischer Wille des Senats – sollen die sogenannten Expresswohnungen auf viele Jahrzehnte hinaus Bestand haben. Daher hieß es von Anfang an, parallel zum Bau der Wohnungen solle ein sonst übliches Bebauungsplanverfahren stattfinden.
Die Hamburger Auslegung des Paragrafen 246 ist umstritten. Der Braunschweiger Staats- und Verwaltungsrechtler Prof. Edmund Brandt stellte in einem Gutachten fest, die Flüchtlingssiedlungen seien rechtswidrig. Die Unterkünfte könnten später keinesfalls als reguläre Wohnungen genutzt werden, wenn dadurch Bebauungspläne überflüssig gemacht würden.
"Bewusste Nicht-Beteiligung der Bevölkerung"
Die FDP-Abgeordnete Jennyfer Dutschke äußerte gestern ähnliche Kritik und sprach von einer „bewussten Nicht-Beteiligung der Bevölkerung an der Mehrzahl der Standorte“. Zugleich verwies sie auf eine zunehmende Flächenkonkurrenz. Vier der für Flüchtlingssiedlungen vorgesehenen Flächen würden derzeit für Gewerbe genutzt, zwei weitere Flächen seien landwirtschaftliche Nutzflächen. „Ob und wie dieser Flächenverlust kompensiert werden soll, ist bislang offen.“
Der Senat müsse dringend ein umfassendes Flächenentwicklungskonzept vorlegen, sagte Dutschke. Darin müssten „die Standorte der Flüchtlingsunterbringung berücksichtigt und Perspektiven für die wegfallenden Gewerbeflächen aufzeigt“ werden. „Andernfalls droht eine Kannibalisierung der Nutzungszwecke.“
CDU-Fraktionsvize Karin Prien bezeichnete es als Schwachstelle des mit den Bürgerinitiativen gefundenen Konsenses, dass immer noch auf neun Flächen unter Berufung auf das Notstandsrecht des Paragrafen 246 des Baugesetzbuches Wohnungen gebaut werden sollten. „Die Nagelprobe wird jetzt sein, wie die Ausgestaltung der Bauvorhaben und der Folgeunterkünfte in den Stadtteilen sein wird, für die es keine gesonderten Bürgerverträge gibt“, erklärte Prien. „Gilt der Geist des Kompromisses auch dort?“