Hamburg . Aufregung an der Kurt-Tucholsky-Schule. Lehrer boykottierten die Abitur-Feier. Für das Verhalten des Schülers gibt es zwei Erklärungen.
Aufruhr an der Kurt-Tucholsky-Schule in Altona-Nord. Ein Schüler muslimischen Glaubens hatte vor der Abiturfeier der Stadtteilschule angekündigt, der Schulleiterin bei der Übergabe des Zeugnisses aus religiösen Gründen nicht die Hand geben zu können. Direktorin Andrea Lüdtke hatte dem Schüler die Entscheidung überlassen. Das wollte ein Teil der Lehrer so nicht akzeptieren. Von den 13 Pädagogen, die die 45 Abiturienten auf dem Weg zum Abitur begleitet hatten, blieben laut Lüdtke am Donnerstagabend sieben der Feier im Harburger Phönix-Saal fern. „Das war sehr schade“, sagte Andrea Lüdtke am Freitagmorgen dem Hamburger Abendblatt. „Es war eine sehr schöne und harmonische Feier“. Und: Der betreffende Schüler habe ihr bei der Feier die Hand gereicht.
Junger Muslim verweigerte den Handschlag nach Abi-Prüfung
Der Wirbel um den Handschlag an der Kurt-Tucholsky-Schule hat eine Vorgeschichte und wird Folgen haben. Positive, hofft die Schulleiterin. Der Ausgangspunkt des Ärgers liege schon ein paar Wochen zurück, sagt die Schulleiterin. Der betreffende Schüler hatte die mündliche Abi-Prüfung bestanden. Seine Lehrerin habe ihm gratulieren und die Hand reichen wollen, erklärt Lüdtke. Der junge, volljährige Mann wies die Geste zurück. Anschließend habe er im Vier-Augen-Gespräch erläutert, dass sein Verhalten nicht als Beleidigung oder Respektlosigkeit aufgefasst werden dürfe, sondern dass er aus rein religiösen Gründen Frauen nicht die Hand gebe.
Es folgte große Aufregung in der Schule. „Eine Lehrerin forderte die Schulleitung auf, den Schüler von der Abi-Feier auszuschließen“, sagt Lüdtke. Der Fall sei ausführlich in den Schulgremien diskutiert und besprochen worden. Es habe noch ein Gespräch zwischen Schüler und Schulleitung geben, in dem der Jugendliche nicht gewusst habe, wie er sich bei der Zeugnisübergabe verhalten solle.
Die Frage: „Was tun, wenn der betreffende Schüler der Schulleiterin bei der Abi-Feier nicht die Hand gibt?“, habe in der Lehrerschaft nicht abschließend geklärt werden können. Deshalb entschied die Direktorin: „Ich akzeptiere die Entscheidung des Schülers“.
Lehrer haben Abitur-Feier boykottiert
Damit war offenbar ein Teil der Lehrerschaft nicht einverstanden und kündigte den Boykott der Abi-Feier an. Das Abendblatt erreichte am Morgen vor der Feier eine Mail mit dem Absender Klaus Störtebeker, unterschrieben von ein(e) LehrerIn der Kurt-Tucholsky-Stadtteilschule: „Mehrere Kollegen und Kolleginnen werden aus Protest an dieser Veranstaltung, die ein Radikaler für seine frauenverachtende Religionspropaganda mit Billigung der Schulleitung nutzen kann, nicht teilnehmen“. Auf Nachfrage des Abendblatts reagierte der Absender der Mail weder am Donnerstag noch am Freitag.
Katajun Amirpur, Professorin für islamische Studien und stellvertretende Direktorin der Akademie für Weltreligionen in Hamburg sagt, im Islam gebe es zu diesem Thema unterschiedliche Auslegungen. „Manche Männer geben Frauen die Hand. Manche tun es nicht. Dafür kann es zwei unterschiedliche Erklärungen geben.“ Manche reichten Frauen nicht die Hand, weil sie sie für „unrein“ hielten. „Andere sagen, man darf nur seiner Mutter, seiner Tochter, seiner Schwester, seiner Tante und ähnlich verwandten Frauen die Hand reichen. Dann ist es ein Ausdruck von Respekt, eine fremde Frau nicht berühren zu wollen. Nach dem Motto: Das macht man nicht.“ Die Ablehnung, die Hand einer Frau anzufassen, ist nicht grundsätzlich Ausdruck radikaler Gesinnung.
Abiturienten bitten Schule, Form des Umgangs zu finden
Schulleiterin Andrea Lüdtke ist erleichtert, dass die Stimmung trotz der Enttäuschung einiger Schüler über das Wegbleiben ihrer Lehrer und Tutoren, fröhlich und entspannt war. Sie will den Vorfall nun zum Anlass nehmen, für die Schulgemeinschaft eine Form des Umgangs für solche und ähnliche „herausfordernde Situationen “ zu finden. Darum hätten auch die 45 Schülerinnen und Schüler, die jetzt mit dem Abitur in der Tasche die Kurt-Tucholsky-Schule verlassen, die Schulleitung gebeten.
In Berlin verweigerte ein Imam einer Lehrerin den Handschlag
Der verweigerte Handschlag eines Imams an einer Schule hatte im Juni in Berlin Diskussionen ausgelöst. Der Mann soll einer Lehrerin zu Beginn eines Elterngesprächs den Handschlag verweigert und sich dabei auf Religionsfreiheit berufen haben. Die Lehrerin wiederum habe diese Form der Begrüßung mehrfach eingefordert und ihm Frauenfeindlichkeit und mangelnden Respekt vorgeworfen. Nun soll der Imam, laut RBB ein strenggläubiger Schiit aus der Osttürkei, Strafanzeige gegen die Lehrerin gestellt haben - dem Bericht zufolge wegen Beleidigung und Verletzung der Religionswürde.