Hamburg. Nach plötzlicher Freilassung eines Kinderschänders deckt ein Behördenbericht einen gefährlichen Irrtum auf

Im Zusammenhang mit der Freilassung des Kinderschänders Thomas B. aus der Sicherungsverwahrung hat es gravierende Versäumnisse in Hamburgs Justiz gegeben. So haben weder die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel („Santa Fu“) noch die Staats­anwaltschaft, noch die Aufsichtsabteilung in der Justizbehörde mit der Entlassung gerechnet. Zu diesem Schluss kommt die Leiterin der Personalabteilung der Justizbehörde und Richterin am Oberlandesgericht, Dörte Liebrecht, in dem Bericht, den Justizsenator Till Steffen (Grüne) in Auftrag gegeben hatte.

Der Grund für den Irrtum liegt demnach darin, dass eine Gesetzesänderung „sich nicht ausreichend im Vollzug niedergeschlagen hat“, wie es heißt. In der Gesetzesänderung von 2013 geht es um den neu geregelten Umgang mit Sicherungsverwahrten. Es ist seitdem Pflicht, ihnen ein umfassendes Therapieangebot zur Verfügung zu stellen. Nur hat das in der Hamburger Justiz wohl niemand verstanden. „Die Behörde hätte das Risikopotenzial dieser Vorschrift deutlich in den Fokus richten und überprüfen können, ob Staatsanwaltschaft und Justizvollzugsanstalt ihre Geschäftsprozesse darauf einstellen“, sagte Liebrecht bei der Vorstellung ihres 50-seitigen Berichts.

Wie berichtet, hatte die JVA dem Triebtäter nicht fristgerecht eine Therapie außerhalb der Anstalt ermöglicht und damit gegen eine Anordnung des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) verstoßen. Daraufhin musste Thomas B. Anfang Mai aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden. Allerdings kam er bereits nach zwei Tagen in Untersuchungshaft, da er kurz nach seiner Entlassung gegen mehrere Weisungen verstoßen hatte – unter anderem gegen ein striktes Alkoholverbot. Seit Ende Juni ist Thomas B. wieder in der Sicherungsverwahrung.

Disziplinarische Ermittlungen seien allerdings nicht einzuleiten, sagte Liebrecht. „In den verschiedenen Einheiten der Justiz sind lediglich suboptimale Leistungen festzustellen“, sagte sie. Diese beruhten auf dem sachlich erklärbaren Irrtum, dass die Möglichkeit einer Freilassung nicht bestanden hatte. „Vielmehr rechneten alle Beteiligten damit, dass im Rahmen einer weiteren Verhältnismäßigkeitsprüfung die Gefährlichkeit des Sicherungsverwahrten eine wichtige Rolle spielen würde.“ Dem war aber nicht so. Tatsächlich urteilte das Gericht laut Liebrecht bundesweit erstmals nach neuem Recht – und verfügte die Entlassung.

Es gibt jedoch personelle Konsequenzen. Justizsenator Till Steffen trennt sich von Lars Röhrig, dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel. Seine bis Ende August befristete Stelle wird neu ausgeschrieben. Der in Justizkreisen geschätzte Oberstaatsanwalt kehrt in die Staatsanwaltschaft zurück (Steffen: „Er wird weiter wichtige Führungsaufgaben wahrnehmen.“). Zudem wird der Leiter des Vollzugs in Fuhlsbüttel künftig nur noch für Strafgefangene zuständig sein. Die Abteilung für Sicherungsverwahrte soll eine eigene Vollzugsleitung bekommen. Steffen hält diese „personelle Bewegung für erforderlich“, um die Sicherungsverwahrung neu auszurichten.

„Es geht nicht um das Fehlverhalten Einzelner, sondern insgesamt wurde die Wende in der Gesetzgebung nicht in erforderlichem Maße umgesetzt“, sagte Steffen. Künftig setzt Steffen auf eine therapeutische Zusammenarbeit mit der Asklepios Klinik Nord. Diese wird dann für die 21 in „Santa Fu“ untergebrachten Sicherungsverwahrten zuständig sein. Weitere sieben Sicherungsverwahrte seien in der sozialtherapeutischen Anstalt untergebracht.

Die Opposition kritisierte den Justizsenator scharf. „Der Justizvollzugsleiter ist ein Bauernopfer“, sagte Richard Seelmaecker, justizpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Alle, nur nicht er, tragen die Schuld. Damit macht sich Steffen vollends lächerlich.“ Versagt habe in erster Linie die Behörde, die die Gesetzesänderung 2013 nicht verstanden und nicht umgesetzt habe. „Es wäre aber Aufgabe der Justizbehörde gewesen, das Bundes­gesetz für Hamburg umzusetzen.“

Anna von Treuenfels-Frowein, Justizpolitikerin der FDP, kritisierte, dass Steffen aus ihrer Sicht keine Verantwortung übernehme. „Was offensichtlich gefehlt hat und was Steffen dringend beheben muss, sind strukturelle Probleme in den Arbeitsabläufen, eine mangelhafte Berichtsstruktur und ein lückenhaftes Controlling.“ Hier habe Steffen versagt. Es zeige sich einmal mehr, „dass Steffen nicht in der Lage ist, diese Behörde zu leiten“.

SPD und Grüne finden, dass Steffen mit der Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung die richtigen Schlüsse ziehe. In einer gemeinsamen Erklärung der beiden Fraktionen heißt es, dass „nicht einfach an Althergebrachtem festgehalten werden“ dürfe, „auch wenn die derzeitige Situation der Sicherungsverwahrung mangels gefestigter Rechtsprechung schwierig ist“.