Hamburg . Zum ersten Mal erstellen Experten eine Rote Liste der bedrohten Insekten für die Hansestadt. Wie Sie zum Erhalt beitragen können.

Locker schüttelt er das Fangnetz aus dem Handgelenk. Bei Christian Schmid-Egger kommt die Jagd auf Wildbienen sehr lässig rüber, obwohl Insektenkescher nicht unbedingt der Inbegriff von Coolness sind. Der Mann ist Experte für Wildbienen. Mit einem zackigen Schwung über die Blüten und Blätter von Virginia-Gelenkblume, Englischer Schwerlilie und Zittergras erwischt er eine Hummel. Der Insektenkundler und tierökologische Gutachter ist im Auftrag der Deutschen Wildtierstiftung im Loki-Schmidt-Garten Klein Flottbek unterwegs, um Hamburgs Wildbienen zu zählen und erstmals mit Kollegen eine Rote Liste zu erstellen.

Die Babyhummel hatte Schmid-Egger bereits aus vielen Metern Entfernung erspäht, bevor er sie im Kescher versenkte. „Zum Lesen brauche ich zwar eine Brille, aber für die Bienenjagd reicht es noch“, sagt er und lacht. Schritt für Schritt geht er durch die Blumen auf der Suche nach weiteren Wildbienen – denn auch Hummeln gehören zu den Wildbienen. Angst vor Stichen muss er nicht haben, denn: Wildbienen stechen gar nicht!

Besonders an den Blüten, die bei Sand- und Furchenbienen hier im Botanischen Garten beliebt sind, bleibt er länger stehen, bis er tatsächlich welche erwischt. Zur genauen Bestimmung der Art – es gibt knapp 600 Arten, von denen die Hälfte aber gefährdet ist – muss er die Bienen mit Essigäther töten und später unter dem Mikroskop zu Hause in Berlin genau bestimmen.

Genehmigung für das Fangen

Bevor es einen Aufschrei unter Tierschützern gibt: Für das Fangen von Bienen braucht Herr Schmid-Egger eine Genehmigung, die Jagd ist nur für Forschungszwecke erlaubt und dient letzten Endes dem Schutz der Insekten. „Bei jedem Hausbau werden mehr Bienen getötet als bei meiner Bestandsaufnahme“, sagt er. Der 53-Jährige ist einer der wenigen Experten, die die Kunst der Wildbienen-Bestimmung in Deutschland beherrschen.

Christian Schmid-Egger fängt Wildbienen und  muss sie mit Essigäther töten
Christian Schmid-Egger fängt Wildbienen und muss sie mit Essigäther töten © Andreas Laible | Andreas Laible

Ziel der Zählung und Bestandsaufnahme in Zusammenarbeit mit der Umweltbehörde ist es, die Lebensräume für die bedrohten Insekten zu verbessern. Die Lebensräume verschwinden zunehmend, weil es kaum noch passende Blüten für die Tiere gibt, Flächen werden bebaut, immer mehr Gräser verdrängen blühende Pflanzen. „Dabei sind die Wildbienen so wichtig für die Bestäubung, auch im Alten Land von Kirsch- und Apfelbäumen“, sagt Schmid-Egger. Der Nutzen einer Tierart spiele beim Naturschutz aber eine untergeordnete Rolle: „Tiere gehören zu unserer Kultur, es gehört dazu, Natur und Tiere zu schützen.“ Als wissenschaftlicher Leiter wertet Schmid-Egger vorhandene Altdaten des Zoologischen Museums aus. Daraus kann er bereits erkennen, wo es in Hamburg Wildbienen gibt, beispielsweise am Ohlsdorfer Friedhof, in der Eidelstedter Feldmark, im Volkspark in Altona, am Öjendorfer See oder am Höltigbaum. 20 bis 30 Gebiete werden nach Wildbienen durchsucht.

Hamburg ist bei der Erfassung Schlusslicht

„Bisher fehlt eine systematische Bestandsaufnahme“, sagt Professor Fritz Vahrenholt, Vorstand der Deutschen Wildtierstiftung. Hamburg ist bundesweites Schlusslicht in der Erfassung der Wildbienen, die Deutsche Wildtierstiftung will das in den kommenden vier Jahren nachholen und finanziert das 80 bis 100.000 Euro teure Projekt. Vahrenholt: „So ein Monitoring ist eine wichtige Grundlage, um Lebensräume für Wildbienen zu verbessern.“ Von Mai bis jeweils Anfang/Mitte September ist Wildbienensaison, so lange wird die Auswertung dauern. Im Jahr 2020 können die Daten ausgewertet und die Rote Liste erstellt werden. Diese Rote Liste gibt Auskünfte darüber, welche Arten in ihrem Bestand gefährdet sind und dienen später entsprechenden Schutzmaßnahmen.

„Wildbienen sind wahre Bestäuber-Profis, die von ihrer Arbeitsleistung noch effizienter sind als Honigbienen“, sagt Manuel Pützstück von der Deutschen Wildtierstiftung. Wer sie im Garten hat, sagt er, könne sich über eine große Blütenpracht freuen. Schutzmaßnahmen kann jeder ergreifen. Hier sind sieben Tipps:

Tipps, wie Sie Wildbienen retten können

 

Möglichst blühende und einheimische Pflanzen in Gärten und Balkonen pflanzen. Geeignet sind unter anderem Haselnuss, Kornelkirsche, Frühlings-Kroko, Gewöhnliche Kuhschelle, Schneeglöckchen und Weide, Johannisbeere, Löwenzahn, Himbeere oder Gänseblümchen, Thymian, Lavendel.

 

Bei den Pflanzen auf Artenreichtum und Vielseitigkeit achten.

 

Für Nistmöglichkeiten sorgen. Ein abgestorbener Baumstamm an einem sonnigen Platz ist ein idealer Nist- und Wohnraum. Die Wildbienen lieben Löcher und Spalten für ihre Brutzellen. Abgesägte Äste liegen lassen. Die Wildbienen legen ihre Eier gern in Nischen ab. Kleine Mauern mit Schlitzen sind auch wildbienenfreundlich. Leere Schneckenhäuser liegen lassen: Dort kann die seltene Scheckenhaus-Mauerbiene nisten.

 

Brombeerhecken wild lassen, große Äste nicht abschneiden. Wilde Ecken im Garten zulassen. Gartenabfälle zum Nisten lagern

 

Für Brutmöglichkeiten im Boden sorgen, 70 Prozent der Wildbienen nisten gern in der Erde, im Sand.

 

Naturrasen pflegen statt das Gras stutzen: wächst der Rasen natürlich, haben Insekten genug Unterschlupf-Möglichkeiten.

 

Kleine Erdwälle bauen, die sonnig liegen müssen, damit die Wildbienen dort ihre Eier ablegen.

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Und keine Sorge: Im Gegensatz zur Honigbiene interessieren sich ihre wilden Verwandten nicht für Süßigkeiten, Kaffee und Kuchen sind also auch im wildbienenfreundlichen Garten weiterhin möglich.