Hamburg . Harald Vogelsang warnt im Abendblatt vor einer Isolation Großbritanniens und macht konkrete Vorschläge zur Reform der EU.

Er war überrascht, aber nicht geschockt: Hamburgs wichtigster Banker, Haspa-Chef Harald Vogelsang, spricht über seine Gefühle beim Brexit, die Folgen für die Finanzwelt und warnt davor, Großbritannien nun zu isolieren. Stattdessen fordert er eine Reform der EU und erklärt, warum Hamburg jetzt besonders wichtig für die deutsch-britischen Beziehungen ist.

Wann genau haben Sie vom Brexit erfahren?

Harald Vogelsang: Als ich am Freitag kurz nach dem Aufstehen ins Internet geschaut habe.

Was waren Ihre ersten Gedanken?

Vogelsang: Ich war schon überrascht, hatte am Abend zuvor noch daran geglaubt, dass die Briten sich – wenn auch mit knapper Mehrheit – für den Verbleib in der EU entscheiden. Geschockt war ich aber nicht, da mir klar war, dass es eine enge Entscheidung werden würde. Ich sehe im Brexit ohnehin kein schockierendes Ereignis. Ich habe mir zwar etwas anderes gewünscht, und es ist bedauerlich, dass ein Mitglied der EU sagt, es tritt aus, aber damit kann man umgehen. Wir sollten jetzt bloß nicht panisch reagieren, sondern mit kühlem Kopf – auf beiden Seiten – handeln.

Welche Folgen wird der Austritt Großbritanniens aus der EU für die europäische Wirtschaft haben?

Vogelsang: Wenn wir rational damit umgehen, werden sich die negativen Folgen auf beiden Seiten des Kanals in Grenzen halten. Die Wirtschaft wird sich ihren Weg suchen, um mit der neuen Situation vernünftig umzugehen, und gute Formen der Zusammenarbeit finden. Das klappt ja auch mit Nicht-EU-Ländern wie der Schweiz.

Sollte die EU jetzt besonders hart und kompromisslos mit Großbritannien umgehen, damit anderen Mitgliedstaaten die negativen Folgen eines EU-Austritts vor Augen geführt werden?

Vogelsang: Europa sollte nicht hart mit Großbritannien, sondern mit sich selbst umgehen. Denn der Brexit zeigt doch, dass viele Millionen Menschen der Meinung sind, dass es so wie bisher mit Europa nicht weitergehen kann. Mit dieser Meinung stehen die Briten ja nicht alleine da. Schauen Sie nach Österreich oder Frankreich. Wenn wir Großbritannien jetzt abstrafen, dann werden sich immer mehr Menschen in anderen Ländern überlegen, ob sie in einer solchen EU noch sein wollen.

Was muss konkret geschehen?

Vogelsang: Die EU muss dringend und umfassend reformiert werden. Ich habe immer wieder von Bekannten in Großbritannien gehört, dass sie die EU als nicht mehr demokratisch wahrnehmen. Und wenn sich eine solche Meinung in dem Land der ältesten existierenden Demokratie breitmacht, dann sollte man das ernst nehmen. Ich würde mir eine unabhängige Expertenkommission wünschen, die Antworten auf die wichtigsten Fragen in der EU sucht. Wie gehen wir mit der Sicherung der Außengrenzen um? Wie lösen wir das Problem der Zuwanderung? Wie sieht die Energiepolitik der Zukunft aus? Welche großen Infrastrukturprojekte müssen umgesetzt werden? Und gleichzeitig sollte die Gängelei der europäischen Bürger mit unverständlichen und zum Teil unsinnigen Verordnungen unterbleiben. Denn genau das bringt die Menschen gegen die EU auf. Zudem muss es endlich eine Demokratie mit einer klaren Gewaltenteilung in Europa geben. Die gewählten Abgeordneten im Europä­ischen Parlament müssen mehr Macht bekommen und die Rechte der EU-Kommission beschnitten werden.

Wie groß ist die Gefahr, dass andere Länder dem Beispiel Großbritanniens folgen werden und die EU verlassen?

Vogelsang: Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen – vor allem wenn die EU-Politiker sich jetzt ungeschickt gegenüber Großbritannien verhalten. Es wäre ein großer Fehler, die Briten mit dem Nasenring durch Europa führen zu wollen.

Welche Folgen hat der Brexit für die deutschen Banken und Sparkassen?

Vogelsang: Das kommt darauf an, wie stark die Geldinstitute mit Großbritannien verbunden sind. Für uns als deutsche Sparkasse ändert sich so gut wie nichts. Wir machen unser Geschäft im Inland auf regionaler Basis. Ist eine Bank international aufgestellt und hat zum Beispiel viel Geschäft in London, muss sie nun darüber nachdenken, wie sie sich künftig organisiert. Aber auch das dürfte eine lösbare Aufgabe sein.

In Frankfurt sollen schon die ersten Sektkorken geknallt haben, weil man dort hofft, London nun als wichtigsten europäischen Finanzplatz abzulösen.

Vogelsang: Ich hoffe, dass es billiger Sekt war (lacht). London war schon vor Gründung der EU der zweitwichtigste Finanzplatz weltweit – und wird es auch bleiben. Die Briten werden alles dafür tun, um die Bedeutung ihres wichtigsten Wirtschaftszweiges zu verteidigen. Und das sollte ihnen aus meiner Sicht auch gelingen.

Wie bedeutsam ist der Brexit für den Standort Hamburg?

Vogelsang: Ökonomisch ist er für die Stadt von nicht allzu großer Bedeutung. Allerdings sollte Hamburg – basierend auf seiner jahrhundertealten Beziehung zu England – dafür sorgen, dass die Kontakte auf die Insel eng bleiben, vielleicht noch enger werden. Hamburg könnte als Tor nach England hier eine Vorreiterrolle für Deutschland spielen.