Zum ersten Mal seit dem Start von Rot-Grün hat ein Regierungsmitglied einen koalitionsinternen Konflikt öffentlich angezettelt.

Die Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank ist eine auf Ausgleich, ja Harmonie bedachte Politikerin – gerade in Zeiten der rot-grünen Koalition. Ausgerechnet Fegebank fiel in der Senatssitzung am vergangenen Dienstag die undankbare Aufgabe zu, den angestauten Ärger von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) auf seinen Koalitionspartner ertragen zu müssen. Fegebank hatte einfach das Pech, in der Ferienwoche als einziges grünes Regierungsmitglied anwesend zu sein.

Grünen-Umweltsenator Jens Kerstan, der den Zorn des Regierungschefs auf sich gezogen hatte, war nach Mallorca entschwunden. Kurz vor seiner Abreise hatte Kerstan dem Abendblatt gesagt, er sei „sehr verärgert“ darüber, dass Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) den Abschluss der Vereinbarung über das „Bündnis für Wohnen“ mit der Wohnungswirtschaft per Pressemitteilung verkündet hatte. Noch seien wichtige Fragen, so Kerstan, nicht geklärt. Zum Beispiel die, wie ein finanzieller Ausgleich zugunsten des Naturschutzes geschaffen werden könne („Naturkapital“), wenn im Zuge des forcierten Wohnungsbaus mit 10.000 Genehmigungen pro Jahr auch Landschaftsschutzgebiete planiert werden sollten. Unter diesen Umständen, so der Umweltsenator, könne er das „Bündnis für Wohnen“ – eines der zentralen Projekte der rot-grünen Koalition – nicht unterschreiben.

Streit kratzt kräftig an Scholz’ Autorität

Diese Kampfansage des bisweilen durchaus rauflustigen Grünen verfehlte ihre Wirkung nicht. Andere Ministerpräsidenten mögen zu cholerischen Anfällen neigen – Scholz wechselt seine gemäßigte Tonlage kaum, und doch ist die Botschaft unüberhörbar. Solch ein Verhalten – Kerstans öffentlich bekundetes Veto – dürfe sich am Ende nicht lohnen und nicht wiederholen, schärfte der Erste Bürgermeister der Zweiten Bürgermeisterin ein. Der Vorgang ist in der Tat einmalig: Zum ersten Mal seit dem Start von Rot-Grün vor gut einem Jahr hat ein Regierungsmitglied einen koalitionsinternen Konflikt öffentlich angezettelt. Scholz tut üblicherweise alles dafür, um Differenzen unter Ausschluss des interessierten Publikums zu klären. Für den Sozialdemokraten ist auf dem Marktplatz ausgetragener Streit unter Partnern ein Zeichen der Schwäche, insofern kratzt der ganze Vorgang kräftig an Scholz’ Autorität.

Ein heftiger Koalitionskrach und eine tagelange Hängepartie drohten als unmittelbare Folge. Nicht zuletzt standen Scholz’ Glaubwürdigkeit und die des gesamten Senats gegenüber der Wohnungswirtschaft auf dem Spiel, die das ehrgeizige Wohnungsbauprogramm maßgeblich wuppen muss, weil der Senat selbst schließlich keine Wohnungen baut. Mit anderen Worten: Hier war zügiges Krisenmanagement gefragt. Und das heißt in der Regel, dass zwei Männer auf den Plan des rot-grünen Koalitionsgebälks treten, deren Erscheinung stets freundlich und verbindlich ist: die beiden Bürgerschafts-Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne).

Während andere in den Pfingsturlaub entschwanden, wurde Dressels Büro im Rathaus gewissermaßen zur Nebenregierungszentrale. Im Laufe von nur zwei Stunden gelang es ihm und Tjarks, zusammen mit den beiden Staatsräten Matthias Kock (Stadtentwicklung) und Michael Pollmann (Umwelt), den Knoten durchzuschlagen, nachdem es zuvor wochenlang gehakt hatte. Kerstan bekam seine ökologischen Ausgleichsregelungen, einschließlich der „Naturkapital“-Finanzierung. „Wenn zwei Behörden sich nicht einigen können, müssen wir eben Nägel mit Köpfen machen“, sagt Tjarks selbstbewusst. Er und Dressel sind auf Interessenausgleich in heiklen Fällen spezialisiert.

Verhandlung mit der Volksinitiative für gute Integration

Das gilt auch für zwei andere Baustellen: Dressel und Tjarks verhandeln mit der Volksinitiative für gute Integration, die gegen Großunterkünfte für Flüchtlinge ist. Erklärtes Ziel ist die Vermeidung eines Volksentscheids. Initiativensprecher Klaus Schomacker sieht die Chancen zur Einigung mittlerweile bei 70 : 30. Und auch mit der Volksinitiative „Guter Ganztag“ führt das rot-grüne Duo Gespräche, um im Vorfeld einen Konsens zu erzielen.

Durchaus nicht nur in Anspielung auf die ersten Buchstaben ihrer Vornamen bezeichnen sich Dressel und Tjarks in aller Bescheidenheit gern als „A-Team“. Dressel sieht es als gut an, dass die Akteure im parlamentarischen Raum auch in dieser Form Verantwortung übernehmen. „Ressortchefs müssen damit leben, dass am Schluss das Parlament entscheidet“, sagt Dressel. Und Tjarks zitiert ausgerechnet SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann, der einmal gesagt hat, die Fraktionschefs seien „die Stabilitätsanker einer Koalition“.

Zwei Fragen bleiben: Was war Kerstans wahre Motivation? Und: Wie wirkt sich der Streit auf das Klima in der Koalition aus? Was die Gründe für das öffentliche Veto des Senators angeht, so erzählt jede Seite ihre Geschichte. Das gehört zum politischen Geschäft. Nach grüner Lesart war Kerstans markiges So-nicht die letzte Chance, um sich gegen die SPD und besonders Scholz durchzusetzen, die das Thema Ausgleichsregelungen am liebsten auf die lange Bank geschoben hätten. „Stimmt nicht“, heißt es bei der SPD. Die Verhandlungen waren ohnehin auf der Zielgeraden, es gab die Zusage des Bürgermeisters, zu einer Einigung zu kommen. Nur zu welcher, möchte man hinzufügen. Sozialdemokraten deuten Kerstans Vorgehen eher als Profilierungsversuch in Richtung der eigenen Partei und der anspruchsvollen Umweltverbände.

Was die rot-grüne Stimmungslage angeht, wird der kommende Dienstag entscheidend sein. Dann haben sich Scholz und Kerstan zum Vier-Augen-Gespräch verabredet. „Öffentliches Intervenieren sollte immer letztes Mittel sein“, sagt Dressel. Viel spricht dafür, dass der Bürgermeister genau dies Kerstan normverdeutlichend nahebringen wird. Aber klein beizugeben, ist nicht unbedingt Kerstans Sache. „Der Bürgermeister ist gewohnt, die Dinge mit seinen Senatoren zu regeln. Aber ich bin nicht sein Senator“, sagt Kerstan. Er sei als Senator seiner Partei und den Grünen-Wählern gegenüber verantwortlich. Könnte also sein, dass es noch ein Nachspiel gibt.