Hamburg. Ohne mehr Geld und Personal verzögern sich Projekte zum Ausbau um Jahrzehnte. Die Kritik an den Ausbauplänen der Wirtschaftsbehörde.

Eine richtige Fahrradstadt soll Hamburg werden – mit vielen Kilometern neuer Radwege, neuen Leihradstationen, mehr Fahrradstreifen auf den Straßen und einer Steigerung des Radfahreranteils auf 25 Prozent am Verkehrsaufkommen. So jedenfalls steht es im 19-seitigen Entwurf für ein Bündnis für den Radverkehr (BfdR), das unter der Verantwortung der Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue von der Wirtschaftsbehörde erarbeitet wurde und mit 30 Millionen Euro finanziert werden soll. Nun aber könnten die hehren Vorhaben zunächst einmal ausgebremst werden. Denn die Bezirke sind zwar fast alle für den Ausbau des Radverkehrs und für das Bündnis – mit den vorgelegten Modalitäten aber in Teilen nicht einverstanden.

Fast alle Bezirksversammlungen fordern zusätzliches Personal für die Ausbauten und mehr Geld für die bezirklichen Routen, die neben den großen Velorouten das Wegenetz bilden sollen – außerdem mehr Bürgerbeteiligung und ein finanzielles Anreizsystem, wie es beim Bündnis für das Wohnen seit Längerem praktiziert wird.

Mitte fordert Maßnahmen der Polizei gegen Fahrradrüpel

„Das bezirkliche Radverkehrskonzept umfasst circa 100 Maßnahmen. Bei Beibehaltung der derzeitigen Mittelausstattung wäre damit voraussichtlich erst im Jahr 2066 das bezirkliche Radroutennetz fertiggestellt“, heißt es in einem Antrag von SPD und Grünen für die Bezirksversammlung Nord, der am Donnerstag beschlossen werden soll. Man fordere eine „deutliche Aufstockung der bezirklichen Radverkehrsmittel, um wirklich einen nennenswerten Beitrag zur Umsetzung des BfdR leisten zu können“. Auch müssten die „Tiefbauämter mit zusätzlichem Personal ausgestattet werden“.

Auch die rot-grünen Koalitionäre in Wandsbek sind unzufrieden mit dem bisherigen Entwurf und verlangen mehr Personal und mehr Mittel, außerdem eine verstärkte Bestrafung von auf Radwegen parkenden Autofahrern und eine Kommunikationsstrategie, um Umbauten vorher mit den betroffenen Bürgern zu erörtern. Ein entsprechender Antrag soll ebenfalls am Donnerstag in der Bezirksversammlung beschlossen werden.

Hamburgs Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue
Hamburgs Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue © dpa | Christian Charisius

Mitte und Altona haben ähnliche Beschlüsse gefasst, in Mitte hat Rot-Grün zusätzlich die Forderung aufgestellt, „den Radverkehr stärker in den Fokus der Polizei“ zu nehmen, offenbar eine Maßnahme gegen Fahrradrüpel. Zudem soll mit einer „Kommunikationskampagne vermittelt werden, dass die Zeit des Radelns (und Rasens) auf Bordsteinradwegen ... dem Ende entgegengeht und vor allem schnelle Radler auf die Straße gehören“. Die Eimsbütteler Bezirksversammlung soll am Donnerstag Veränderungen an den Velorouten 2, 3 und 14 beschließen.

Besonders harte Kritik am Bündnisentwurf aus der Wirtschaftsbehörde kommt von der großen Koalition in Harburg. „Leider sind die Bezirksversammlungen im Vorwege über Einzelheiten nicht informiert worden“, heißt es in einem Beschluss. „Gerade dies zeigt ein erhebliches Manko bei der Fertigung eines derartigen Entwurfs.“ Dieser enthalte „lediglich viele Selbstverständlichkeiten, jedoch wenig konkrete Umsetzungsmaßnahmen“. Zudem würden „die Entscheidungskompetenzen der bezirklichen Gremien erheblich beschnitten“.

Kommentar: Eine Fahrradstadt ist nicht teuer

Die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation von Senator Frank Horch (parteilos) müsse den Entwurf „dahingehend überarbeiten, dass die bezirklichen Gremien nicht nur angemessen beteiligt werden, sondern auch ihre Beschlusskompetenzen behalten“. Die Verwaltung dürfe zudem eine Vereinbarung nur abschließen, wenn „hierbei auch die Finanzierung der Maßnahmen selbst und des zu ihrer Bearbeitung erforderlichen zusätzlichen Personals im Bezirksamt durch die zuständige Fachbehörde gesichert wird“. Außerdem lehnen die Harburger den Aufbau einer Radzählstation ab.

Damit zeigen die Bezirke dem Senat ein Stoppzeichen in Sachen Radverkehr. Zwar sei das Bündnis „ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Fahrradstadt“, sagt der Grünen-Fraktionschef von Hamburg-Nord, Michael Werner-Boelz. „Neben der Fertigstellung der 14 Velorouten mit einer Gesamtlänge von rund 280 km bis 2020 ist es uns aber auch wichtig, die Bezirksrouten, wie wir sie in unserem Radverkehrskonzept Hamburg-Nord identifiziert haben, voranzubringen. Hier bedarf es einer Nachsteuerung im Bündnis für den Radverkehr. Die Bezirke müssen dringend zusätzliche Mittel erhalten, um die quartiersnahen Alltagsrouten attraktiv zu gestalten.“

Der Grünen-Fraktionschef von Mitte, Michael Osterburg, betont: „Wenn das Geld aus dem Bund auf der Straße verbaut werden soll, brauchen wir das versprochene Personal, eigene Planungsmittel und ein Anreizsystem.“

In Bergedorf gehen die Forderungen in eine ähnliche Richtung wie in den anderen Bezirken, einen Beschluss hat es dort aber bisher nicht gegeben.

Die Wirtschaftsbehörde reagiert gelassen auf die Kritik

Der FDP-Bürgerschaftsabgeordnete und Verkehrspolitiker Wieland Schinnenburg sieht sich angesichts der massiven Kritik aus den Bezirken in seiner Einschätzung bestätigt. „Offensichtlich trifft der Entwurf der Radverkehrskoordinatorin auf breiten Widerstand aus den eigenen Reihen“, so Schinnenburg. „Ich hatte den Entwurf ja schon als unzulänglich und teilweise falsch bezeichnet. Er muss nun vollständig überarbeitet werden.“

In der Wirtschaftsbehörde gibt man sich gelassen. „Der Prozess rund um das Bündnis für den Radverkehr ist sehr dynamisch und konstruktiv“, sagte Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue dem Abendblatt. „Alle Partner begrüßen, dass das Radfahren im Alltagsverkehr in Hamburg eine immer größere Be­deutung gewinnt, und fördern diese Entwicklung.“ Die Frist zur Stellungnahme durch die Bezirksversammlungen laufe am 15. Mai ab. „Danach werden diese bewertet und fließen in den weiteren Meinungsbildungsprozess ein. Die genaue Ausgestaltung steht längst nicht fest. Wir begrüßen den Diskurs und eine konstruktive Mitarbeit.“

Entscheidend dürfte am Ende eines sein: Bekommen die Bezirke mehr Geld, mehr Personal und vielleicht mehr Kompetenzen, um zu bauen, was der Senat sich ausgedacht hat?

Wenn das jedoch nicht umgesetzt werden sollte, könnte der Traum von der Fahrradstadt Hamburg ganz schnell ausgeträumt sein.